Eine Weltmacht lähmt sich selbst

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Die politische Architektur der USA ist auf Kompromiss ausgerichtet. Das entpuppt sich, wie sich im absurden Budgetstreit drastisch zeigt, in der neuen Ära der albernen Polarisierung als Systemfehler.

Nichts geht mehr in Washington. In einem peinlichen Schauspiel lähmt sich eine Weltmacht auf offener Bühne selbst. Von Tag zu Tag zeitigt der Haushaltsstreit, in den sich die USA verstrickt haben, groteskere Folgen. Am kommenden Montag sollten die Gespräche über eine transatlantische Freihandelszone weitergehen. Doch die Amerikaner mussten das Treffen mit der EU absagen. Die US-Verhandler können nicht nach Brüssel reisen, zumindest nicht beruflich. Sie sind, wie 800.000 andere Regierungsangestellte, in den Zwangsurlaub geschickt worden.

Seit 1.Oktober hat der mächtigste Staat der Welt bis auf Weiteres geschlossen. Der US-Kongress war bis zu diesem Stichtag nicht in der Lage, sich auf ein Budget zu einigen. Danach gingen die Rollbalken hinunter. Shutdown. Der US-Staat schaltet sich selbst herunter, wenn er nach Ablauf eines Haushaltsjahrs keine gesetzliche Bewilligung hat, Geld aus der Kasse zu nehmen. Nur die unerlässlichen Aufgaben werden von den Behörden dann noch wahrgenommen. Ein gutes Drittel der amerikanischen Staatsdiener bleibt derzeit der Arbeit fern.

John Kerry sprach, wie es sich für einen Chefdiplomaten gehört, abwiegelnd von einem „Moment der Albernheit“, der bald vorübergehen werde. Das ist untertrieben. Denn albern verhalten sich einzelne Kongressabgeordnete schon ein paar Monate zu lang. Mehr als 40 Mal haben die Republikaner in den vergangenen drei Jahren versucht, die Gesundheitsreform und damit das zentrale Prestigeprojekt von US-Präsident Barack Obama zu Fall zu bringen. Sie verloren in der Zwischenzeit Wahlen und ein Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof. Doch das bremste ihren Eifer nicht. Bis zuletzt wollten sie dem Budget nur zustimmen, wenn die US-Demokraten die Gesundheitsreform auf Eis legen. Doch das ließ sich Obama nicht mehr gefallen. Diesmal reagierte der Präsident nicht auf den Erpressungsversuch, er blieb hart und riskierte das absurde Theater, für das sich danach vor den Augen der verblüfften Welt der Vorhang hob.

Es ist nicht der erste Shutdown in der Geschichte der USA. Statistiker verzeichnen nun den achtzehnten seit dem Jahr 1976; die Sperrstunden gingen alle nach ein paar Tagen vorbei. Der letzte Shutdown dürfte Obamas Demokraten noch besonders gut in Erinnerung sein. Über Weihnachten 1995 verweigerten die Republikaner dem Budget der damaligen Regierung Bill Clintons die Zustimmung. Danach fuhren sie krachende Wahlniederlagen ein.


Obamas Kalkül. Das spielt in Obamas Kalkül eine Rolle. Je länger der Shutdown dauert, desto stärker wird wohl der öffentliche Unmut gegen die Gegner des schwachen Präsidenten, der die Dinge im Kongress einfach treiben ließ. In den kommenden Tagen dürfte sich der Einsatz im Budgetpoker noch erhöhen. Am 17.Oktober müsste der Kongress die Schuldengrenze anheben. Wird das derzeit geltende Limit von 16,7 Billionen Dollar nicht hinaufgesetzt, droht den USA die Zahlungsunfähigkeit. Die gesamte Weltwirtschaft könnte dann in Mitleidenschaft gezogen werden.

Amerika erlebt mehr als einen „Moment der Albernheit“, es steckt in einer „Ära der Albernheit“. Die Polarisierung der US-Politik führt die Supermacht an den Rand der Entscheidungsunfähigkeit. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten zimmerten ein System, das zum Kompromiss zwingt, weil die Macht aufgeteilt ist. Das erweist sich nun als Systemfehler. Denn in den vergangenen Jahrzehnten ist die Kunst des Kompromisses verloren gegangen, die Mitte geschrumpft. Den Ton geben Ideologen an, wie die Tea Party am Rand der Republikaner. Sie denken nicht mehr ans Ganze, ans Gemeinwesen, sondern an ihre Glaubenssätze – und ihre Wiederwahl. Da liegt auch der Ausweg aus dem Dilemma. Die Wähler müssten die Kompromissverweigerer abstrafen. Das jedoch wird kaum passieren, solange aggressive Medien derart große Echoräume für die schrecklichen Vereinfacher bereitstellen.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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