Die offizielle Totenzahl der Flüchtlingstragödie vor der Mittelmeerinsel Lampedusa ist auf 189 angewachsen.
Vier Tage nach der Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa haben Taucher die Suche nach weiteren Leichen wieder aufgenommen. Nach dem Untergang eines Bootes werden noch mehr als 100 Menschen vermisst. Nach Angaben der Küstenwache werden Suchmannschaften am Montag vier Tauchgänge zu dem am Donnerstag gesunkenen Boot unternehmen.
Am Sonntag waren die Leichen von 83 ertrunkenen afrikanischen Bootsflüchtlingen an die Wasseroberfläche gebracht worden. Damit wurden nach Behördenangaben bisher 194 Menschen tot geborgen, darunter sechs Kinder. Hoher Seegang und starker Wind behinderten die Arbeit der rund 40 Bergungstaucher. Das Schiffswrack befindet sich in über 40 Metern Tiefe.
Barroso will nach Lampedusa reisen
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso will am Mittwoch nach Lampedusa reisen, um seine Dankbarkeit und Solidarität mit den Bewohnern Lampedusas auszudrücken.
Die Flüchtlingswelle in Richtung Süditalien reißt inzwischen nicht ab. Am Montag erreichten ein französisches Schiff und ein afrikanischer Tanker, die zwei Boote mit insgesamt 200 Migranten in Sicherheit gebracht hatten, die Küste Siziliens. Die Migranten wurden in einem Flüchtlingslager in Pozzallo nahe der sizilianischen Stadt Ragusa untergebracht.
Überlebende berichteten, dass sich insgesamt 518 Personen an Bord des gekenterten Bootes befanden. Es wird damit gerechnet, dass sich noch rund 100 Leichen in oder in der Nähe des Schiffes in 47 Metern Tiefe befinden. Viele Opfer könnten nach Einschätzung der Behörden nie gefunden werden.
Beim Angelus-Gebet am Sonntag gedachte auch der Papst der Opfer der Flüchtlingstragödie. "Unsere Herzen weinen, lasst uns in Stille beten", sagte Franziskus in Anspielung auf den Tod der vielen Migranten vor Lampedusa. Er hatte im Juli Lampedusa besucht, um auf das Schicksal Tausender Bootsflüchtlinge aufmerksam zu machen, die ihr Leben riskierten, um nach Europa zu gelangen. Der Papst hatte damals mehrere Migranten getroffen.
Schwierige Bedingungen für Suchaktion
Das Schiff mit Flüchtlingen, die überwiegend aus Somalia und Eritrea stammten, war am Donnerstagfrüh mehrere Hundert Meter vor der Küste Lampedusas gekentert. Wegen starkem Schirokkowind musste die Suchaktion zwei Tage lang eingestellt werden.
In Lampedusa ist am Sonntag auch Italiens Integrationsministerin Cecile Kyenge eingetroffen, die in den 1990er-Jahren selbst als Illegale aus dem Kongo nach Italien eingewandert war. "Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass solche Tragödien wieder vorkommen", betonte Kyenge.
Letta will Einwanderungsgesetz überdenken
Premier Enrico Letta erklärte sich bereit, das Einwanderungsgesetz zu überdenken, das seit 2002 in Italien in Kraft ist und das vor allem vom Mitte-Rechts-Lager verteidigt wird. Das Gesetz war vom ehemaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Gianfranco Fini, und vom Gründer der Lega Nord, Umberto Bossi, entworfen worden und trägt die Namen beider Politiker. Das strenge Gesetz zwinge immer mehr Migranten, illegale Wege zur Einwanderung nach Italien zu suchen, behaupten seine Kritiker.
"Ich überprüfe die Frage einer Revision des Einwanderungsgesetzes", sagte Letta nach Medienangaben. Darüber wolle er im Ministerrat diskutieren. Sein Vorhaben dürfte scharfe Auseinandersetzungen mit der Partei seines Koalitionspartners Silvio Berlusconi, "Volk der Freiheit" (PdL), auslösen, die sich hartnäckig gegen die Revision des Einwanderungsgesetzes stemmt.
Bossi-Fini-Gesetz
Nicht-EU-Ausländer erhalten nur dann eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie bereits einen Arbeitsvertrag vorweisen können. Dieser muss in einer italienischen Vertretung im Ausland ausgestellt worden sein. Bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss die betroffene Person das Land verlassen.
Die Höhe der jährlichen Quoten für Arbeitsmigranten unterliegt dem Ermessen der Regierung. Die Möglichkeit der Familienzusammenführung ist auf Kinder unter 18 Jahren beschränkt. Ausnahmefälle sind nur bei Pflegebedürftigkeit vorgesehen. Ferner ist eine Fingerabdruckspflicht für alle Nicht-EU-Einwanderer vorgesehen.
2009 war das Vergehen der illegalen Einwanderung in das italienische Strafbuch eingeführt worden. Justizermittlungen können seither gegen all jene Migranten eingeleitet werden, die illegal einwandern. Ihnen drohen unter Umständen auch Haftstrafen. Ermittlungen wurden demnach auch gegen die 155 Überlebenden der Flüchtlingstragödie aufgenommen, was bei der politischen Linken für helle Empörung sorgte.
Premier Letta berichtete, dass EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso am kommenden Mittwoch Lampedusa besuchen werde. Dabei wolle die Regierung in Rom Druck auf die EU machen, damit Italien mehr Hilfe bei der Kontrolle der südlichen EU-Meeresgrenze erhält.
(APA)