Die Marine startet in Koordination mit maltesischen Einheiten verstärkte Patrouillen im Mittelmeer. In der ersten Nacht wurden 400 Migranten gerettet.
Rom/Lampedusa. Nach den jüngsten Flüchtlingsdramen vor der italienischen Insel Lampedusa zwischen Sizilien und Tunesien begann Italien am Montag mit der angekündigten stärkeren Seeüberwachung im Mittelmeer: Die Marina Militare stellt vorerst drei Schiffe für eine permanente Patrouille in den südlichen Gewässern ab, nämlich die Fregatte Espero, die Korvette Libra und ein größeres Wachboot. Der humanitäre Einsatz, an dem auch Hubschrauber und Flugzeuge teilnehmen und der mit maltesischen Einheiten abgestimmt wird, firmiert unter dem Namen „Mare sicuro“ („Sicheres Meer“).
Resultate der Aktion gab es bereits in der ersten Nacht: Etwa 400 Migranten wurden in der Nacht auf Dienstag vor Lampedusa gerettet. Ein erstes Schlauchboot mit 80 Personen an Bord wurde in libyschen Gewässer lokalisiert und von der italienischen Küstenwache nach Sizilien geführt. Zwischen Malta und Lampedusa, wo sich am Freitag ein Flüchtlingsunglück mit 35 Toten ereignet hatten, wurde ein Boot mit 250 Menschen aus Eritrea von Schiffen der italienischen Marine gerettet. Die Migranten wurden auf Lampedusa gebracht. Ein weiteres Boot mit 80 Personen an Bord wurde 35 Seemeilen von Sizilien lokalisiert.
EU zur Nachahmung auffordern
Regierungschef Enrico Letta wollte am Montagnachmittag in Rom mit seinen Ministern für Verteidigung, Außen- und Innenpolitik die letzten Details der Mission festlegen. Am Montagvormittag kam auf Lampedusa ein weiteres Boot mit 137 Tunesiern an Bord sicher an, darunter 22 Frauen. Letta kündigte an, der Einsatz von Marine und Luftwaffe in der Straße von Sizilien werde weiter verstärkt, jedenfalls verdreifacht. „Damit wollen wir Menschenleben im Mittelmeer, das zu einem Massengrab geworden ist, retten.“
Vor dem Kabinettstreffen am Nachmittag meinte Verteidigungsminister Mario Mauro: „Es ist ein Einsatz, der es uns erlaubt, die Europäische Union zur Nachahmung aufzufordern.“ Maltas Regierungschef Joseph Muscat forderte eine „klare Strategie“ der EU in der Flüchtlingspolitik. „Die Situation kann nicht mit Geld gelöst werden, sondern mit politischem Einsatz und einer klaren Strategie“, sagte er bereits am Sonntag.
„Flucht stoppen unmöglich“
Flüchtlinge vor der Überfahrt von Libyens Küsten aus zu stoppen sei unmöglich, meinte indes der libysche Ministerpräsident Ali Seidan im Gespräch mit der Zeitung „La Repubblica“. Libyen sei lediglich ein Durchgangsland, das Problem könne wohl allein durch eine Politik Europas gelöst werden, die sich auf die Herkunftsländer der Flüchtlinge konzentriere.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz forderte angesichts der jüngsten Flüchtlingsdramen im Mittelmeer einen Kurswechsel in der gesamten europäischen Einwanderungspolitik. Europa müsse „endlich anerkennen, dass es ein Einwanderungskontinent ist“, und es brauche daher „dringend eine Reform unserer Einwanderungsgesetze“, sagte Schulz zu „Spiegel online“. Der gebürtige Deutsche forderte die Einführung eines EU-weiten Verteilungsschlüssels, der die Aufnahme von Einwandern in den Mitgliedstaaten regelt.
Kritik an Schulz kam vom FPÖ-Europaabgeordneten Andreas Mölzer: Schulz' Vorschläge hätten verheerende Folgen, da sie „eine Einladung an Afrikaner“ wären, „nach Europa zu kommen“, so Mölzer.
„Die Grenzkontrollen sollen verstärkt sowie wirtschaftliche Perspektiven in den Heimatländern der Flüchtlinge eröffnet werden“, forderte unterdessen EU-Kommissar Günther Oettinger. Die süd- und südosteuropäischen Staaten, über die Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten nach Zentraleuropa kommen, brauchten ebenfalls „eine glaubwürdige Nachbarschaftshilfe“, sagte der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident.
Korvette als Totenschiff
Die Korvette Libra soll zunächst die bisher 364 gefundenen Leichen jener Flüchtlinge von Lampedusa wegbringen, die am 3.Oktober bei einem Schiffsuntergang ertranken. Die Toten sollen auf Sizilien beerdigt werden. Nur 155 Flüchtlinge haben den Schiffbruch überlebt. Nach ihren Angaben sollen insgesamt 545 Menschen an Bord gewesen sein. Bei einem weiteren Schiffsunglück zwischen Malta und Lampedusa kamen vorigen Freitag mindestens 35 Flüchtlinge um, darunter zwölf Kinder. Etwa 200Menschen wurden gerettet, sie wurden nach Lampedusa und Malta gebracht. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2013)