Die Zukunft von Lenzing liegt in Asien

Spinnerei in Indonesien
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Der oberösterreichische Faserkonzern Lenzing betreibt in Indonesien die größte Viskosefabrik der Welt. Um das 80 Hektar große Areal siedeln sich tausende Menschen an. Die Fabrik bringt nicht nur Arbeit.

Es sind nicht mehr als 100 Kilometer von Purwakarta nach Jakarta, doch die Autofahrt kann Stunden dauern. Und täglich nimmt der Verkehr in der indonesischen Hauptstadt zu. „Zu viele Autos“, meint der Europäer. „Zu kleine Straßen“, antwortet Mohammad Chowdhury und lächelt. Jedes Auto mehr bedeutet hier auch ein Stück mehr Wohlstand. Und mit jedem Kilometer Richtung Jakarta nimmt dieser zu. In Purwakarta dominieren noch die Mopeds, mitunter sitzen zwei Erwachsene und drei bis vier Kinder auf den zusammengeflickten Motorrädern. Der Straßenverkehr ist hier überall beängstigend. Er wird nicht von Polizisten, sondern teilweise von Kindern geregelt. Sie stellen sich mitten ins Getümmel und lotsen Autos und Lkw für ein bisschen Trinkgeld über eine Kreuzung. Vor 35 Jahren war in Purwakarta nichts los. Bauernhütten, Reisfelder, Armut.

„Heute leben in dem Dorf 10.000 Menschen“, erzählt Chowdhury. Vice President steht auf seiner Visitenkarte. Er ist einer der leitenden Manager bei South Pacific Viscose. Es ist die größte Viskosefabrik der Welt; die riesigen Industriehallen, die Wasseraufbereitungs-, Kläranlagen und Nebengebäude erstrecken sich über ein Areal von knapp 80 Hektar. Auch eine Moschee ist auf dem Fabriksgelände untergebracht. 2000 Menschen arbeiten hier. Die Arbeiter haben Tücher über Nase und Mund gebunden, so schützen sie sich vor den Dämpfen und dem Gestank. Auch Hans Gutleben hat auf seiner Karte Vice President stehen. Der Tiroler Akzent ist unverkennbar. In Innsbruck hat er einst Chemie studiert, arbeitete dann in der Forschungsabteilung von Lenzing, bevor er vor nunmehr 16 Jahren hierhergekommen ist. Lenzing hält fast 93 Prozent an South Pacific Viscose.

„Wir produzieren hier 320.000 Tonnen Viskose pro Jahr“, erzählt Gutleben bei einem Rundgang in der Fabrik – besser gesagt: Rundfahrt. Das Areal zu begehen wäre ein Tagesprogramm. Es ist schwül, und der Himmel ist grau. Regenzeit.

Alle paar Stunden setzt die Sintflut ein. In den Zeitungen ist von Toten und Muren die Rede. Irgendwo, vermutlich weit weg. Manchmal schaffen es diese Bilder auch in europäische Medien, wenn die Zahl der Toten groß genug ist. An diesem Tag sind es die Bilder aus Harbin. In der chinesischen Millionenmetropole ist aufgrund des dichten Smogs alles zusammengebrochen. Die „Fratze der Globalisierung“ erzeugt wohligen Schauer vor den überdimensionierten Flachbildschirmen.


Dorf rund um Fabrik wächst rasant. Hans Gutleben schüttelt über diese europäische Sicht der Dinge nur den Kopf. „Ohne Kapitalismus kein Sozialstaat“, sagt er, der hier nicht nur einen spannenden Job gefunden, sondern auch eine Familie gegründet hat. „Einmal im Jahr, im Sommer, besuchen wir Tirol“, erzählt er. Seine Kinder sind sieben, elf und 15. Dass sich rund um das Fabriksgelände immer mehr Menschen ansiedeln, beobachtet er auch mit Sorge. „Sie kommen wie die Fliegen.“ Der Konzern habe schon versucht, den Leuten in unmittelbarer Nachbarschaft den Grund abzukaufen und umzusiedeln. Immerhin werde hier mit Chemikalien gearbeitet, mit Schwefelsäure, Bleichmitteln. Immerhin wird hier Viskose produziert: Riesige, zusammengepresste, hunderte Kilo schwere Wattebausche werden von den gigantischen Apparaturen ausgespuckt. Ein Funke genügt. „Kleinere Brände kommen leider vor“, erzählt ein Arbeiter. Zum Glück sei bisher nichts Gröberes passiert.

Die Menschen bauen direkt an der Hauptstraße. Dort, wo die Sattelschlepper das Eukalyptusholz herankarren, das für die Viskose-Erzeugung benötigt wird. Es kommt aus Südafrika, wächst dort auf Plantagen. Den Regenwald holzen andere ab.

Titi Hidayatun versteht, warum die Leute ihre Häuser direkt an die Fabriksmauer bauen. Sie finden hier nicht nur Arbeit, sondern auch ein bescheidenes soziales Netzwerk. Seit einigen Jahren leitet die junge Frau das CSR-Projekt hier. Corporate Social Responsibility, als soziale Verantwortung von Unternehmen, wird in den reichen Industrieländern in der Regel als PR-Gag gesehen. Als karitative Mäntelchen über den Managermaßanzügen.

Und 100.000 Dollar klingt auch nicht gerade beeindruckend für ein Unternehmen wie Lenzing, das im vergangenen Jahr zwei Milliarden Euro Umsatz verbucht hat. Aber mit 100.000 Dollar im Jahr schafft Titi Hidayatun Dinge, die für die Insel Java keine Selbstverständlichkeit sind. Sie finanziert eine Grundschule, in einem Land, in dem sich die wenigsten leisten können, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Sie stellt medizinische Versorgung sicher. Und sie vergibt Mikrokredite. Hundert Dollar entscheiden hier mitunter über eine Zukunft oder keine Zukunft. In ein paar Jahren wird sich die Zahl der Dorfbewohner vermutlich wieder verdoppelt haben, weiß Titi Hidayatun. Weil hier Zukunft entsteht. Bald wird eine neue Straße gebaut. Und wer weiß, vielleicht bald auch eine sechste Fertigungshalle? Dann werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Lenzing-Vorstandschef Peter Untersperger winkt vorerst ab. 300 Millionen Euro wurden in den vergangenen fünf Jahren hier investiert. Damit ist vorerst einmal genug. Aktuell werde ohnehin das Stammwerk im oberösterreichischen Lenzing modernisiert und ausgebaut. Zudem ist der Konzern auf der Suche nach einem vierten Vorstandsmitglied, das sich vor allem auch um die Geschäftsfelder in Asien kümmern soll. „Ist es nicht Zeit für einen Asiaten im Vorstand?“ – „Besser noch: eine Asiatin?“ Untersperger hält sich bedeckt. Verrät nur so viel: „Bis Weihnachten wird die Entscheidung gefallen sein.“

Die Zeiten waren schon einmal besser für die Textilindustrie. Soeben absolvierten Untersperger und sein Vorstandskollege Friedrich Weninger in Jakarta eine Aufsichtsratssitzung. Konferenzen in einem der zahlreichen Luxushotels in der indonesischen Hauptstadt gehören für die Lenzing-Manager zum Alltag. „Wir sind ein asiatisches Unternehmen, was Umsatz und Beschäftigte betrifft“, sagt Untersperger. Neben Purwakarta betreibt Lenzing auch eine Fabrik im chinesischen Nanjing. Büros hält der Konzern in Shanghai, Hongkong, Jakarta und im indischen Coimbatore. 60 Prozent der Lenzing-Fasern werden in Asien verkauft. „2020 werden es 70 Prozent sein“, sagt Untersperger. Und wenn er von Asien spricht, meint er vor allem China und Indonesien. Und wenn er von China spricht, dann spricht er in jüngster Zeit vor allem vom Preisverfall auf dem Textilmarkt. China exportiert Textilien im Wert von 250 Milliarden Dollar. Der Markt wird derzeit überschwemmt, die Preise sind im Keller. Der Preis für Viskose orientiert sich am Baumwollpreis. Und China hatte zwei außergewöhnlich große Ernten hintereinander. Die Folge: Die Lager sind übervoll. Auch für das nächste Jahr sieht Untersperger keine Besserung. 1,72 Euro werde für das Kilogramm Viskose gezahlt, ein Viertel weniger als früher. Jeder Cent weniger pro Kilogramm bedeutet für Lenzing in Summe neun Millionen Euro weniger Einnahmen.


College-Boys drücken den Preis.
Auch auf der Intertextile in Shanghai war es schon besser. Auf der größten Textilmesse der Welt hat Lenzing einen der größten Stände. Auch, weil der Konzern gemeinsam mit knapp 60 seiner Kunden hier auftritt. Andreas Dorner managt den Lenzing-Stand. Natürlich spricht man hier auch über Modetrends. Levis in San Francisco setzt bei den Bluejeans wieder auf Stretch, heißt es. Und T-Shirts werden immer öfter mit Laserdruckern bedruckt. Eine gute Nachricht für Lenzing, dessen Spezialfaser Tencel beim Bedrucken weniger Farbe aufnimmt und damit Geld sparen hilft.

Womit das Hauptthema gefunden wäre. „Preis, Preis, Preis“, sagt einer der Händler. Die College-Boys seien an nichts anderem interessiert.

Zu Hunderten sind sie in den riesigen Hallen unterwegs. Junge, hungrige Einkäufer. Gleich nach dem Wirtschaftsstudium angeheuert. Deswegen werden sie auch despektierlich College-Boys genannt. „Sie haben keine Ahnung von der Ware, Qualität ist ihnen völlig egal“, erzählt ein Garnverkäufer. Und man kann sich mit ihnen nicht einmal zusammensaufen, wie es in China üblich ist. „Nach einem halben Jahr werden sie ausgetauscht, damit es keine Absprachen gibt.“


Spinnereien mit 10.000 Arbeitern. M.R. Krishnamurthy ist seit 40 Jahren im Textilgeschäft. Der Inder leitet eine Spinnerei im indonesischen Bandung. 3000 Leute arbeiten hier an riesigen, teilweise hochmodernen Air-Jet-Webmaschinen. Die Fabrik gehört zum indischen Kewalram-Konzern. „Wir spinnen hier alles“, erzählt er in seinem weiträumigen Büro. Auf einer Ablage hinter seinem Schreibtisch stapeln sich Stoffballen. Neben billigem Polyester werden hier spezielle Garne hergestellt. Stoffe für Flugzeuge, feuerfeste Stoffe, Militär-Equipment. „Aus unserem Garn werden Sitzbezüge für Audis produziert“, erzählt Krishnamurthy. Die Viskose liefert Lenzing. Die Fabrik sei ein „mittelgroßer Kunde“, erzählt Mohammad Chowdhury. „Es gibt hier Spinnereien mit 10.000 Arbeitern“, sagt der Manager von South Pacific Viscose.

Nach Erdöl und Erdgas ist die Textilindustrie der wichtigste Wirtschaftszweig Indonesiens. 2900 Textilfabriken gibt es im Land, 1,5Millionen Menschen finden in ihnen Arbeit. Und die Fabriken sind vor allem auf Java. Die Insel ist nicht ganz doppelt so groß wie Österreich. Auf ihr leben 140 Millionen Menschen. Das tropische Klima erlaubt drei Reisernten pro Jahr.

Wer hier veraltete Fabriken oder Apparaturen erwartet hat, wird enttäuscht. Die Fabriken unterscheiden sich nicht von jenen in Industrieländern. Steril, sauber, neonlichtdurchflutet. Nur die Energie und die Arbeitskraft sind billiger. Rund 150 Dollar verdient ein gewöhnlicher Arbeiter hier im Monat. Die Lohnsteigerung betragen 20 Prozent pro Jahr. Nächstes Jahr werde es wohl mehr sein, denn im April stehen Präsidentenwahlen an.

Doch längst rekrutiert Lenzing in Indonesien nicht nur Arbeiter. „Wir ermöglichen den besten Schülern auch ein Universitätsstudium“, erzählt Titi Hidayatun. Etwas mehr als eine Handvoll werden zurzeit unterstützt. Wenn sie als Ingenieure zurückkommen, werden sie mehr als zehnmal so viel verdienen als die Arbeiter. Und dann werden sie auch zu jenen zählen, die den täglichen Verkehrsinfarkt in Jakarta durch die Windschutzscheibe ihres eigenen Autos beobachten dürfen.

Der Autor war auf Einladung von Lenzing in Indonesien.

Zu viel Wolle

Baumwolle ist der bedeutendste Rohstoff für den Bekleidungs- und Textilmarkt. Rund 72 Prozent der Textilien werden aus diesem Naturprodukt hergestellt.

Viskose wird aus Holz gewonnen und hält bei einem Marktanteil von acht Prozent. Lenzing gewinnt Viskose in Österreich vorwiegend aus Buchenholz, in den Fabriken in Asien wird Eukalyptus verwendet, der aus Südafrika bezogen wird.

Nach zwei großen Baumwollernten in China sind die Preise (auch für Viskose) im Keller, die Lager sind voll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2013)

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