Deutschland: Merkels Koalition ohne Köpfe

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Der Vertrag für eine Große Koalition ist unterschrieben, aber die Ressortverteilung bleibt offen. In der Sozialpolitik konnte die SPD viel durchsetzen, Steuererhöhungen hat die Union verhindert.

Berlin. Zu einem Koalitionspakt gehört die richtige Inszenierung: eine nächtliche Marathonsitzung bis fünf Uhr früh, erschöpfte und erleichterte Verhandlungsführer, kumpelhafte Scherze nach fünf Wochen Disput. So hat es sich auch am Mittwoch in Berlin abgespielt, zum Auftakt der dritten Großen Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber eines hat es noch nie gegeben: eine Koalition ohne Köpfe. Nur Angela Merkel als Kanzlerin ist gesetzt. Wer Minister in ihrem dritten Kabinett wird, soll noch drei Wochen offen bleiben. Nicht einmal die Verteilung der Ressorts auf CDU, CSU und SPD sei fixiert, beteuern die Parteispitzen.

Es war Wunsch der Sozialdemokraten, Personalfragen später zu klären. Zuerst muss ihre Basis bis Mitte Dezember per Stimmzettel entscheiden, ob sie das ungeliebte Bündnis zulässt. Groß ist die Furcht, die frustrierten Genossen könnten ihren glücklosen Anführern einen Denkzettel verpassen, wenn sie ihre Namen in einer Ministerliste sehen. Erst nach einem roten Sanktus kann sich Merkel kurz vor Weihnachten zur Kanzlerin wählen lassen. Sonst drohen Neuwahlen.

Das zeigt, bei allem nun demonstrativ zur Schau gestellten Optimismus, wie heikel die getroffene Einigung ist. Der Kompromiss auf 185 Seiten trägt deutlich die Handschrift der Sozialdemokraten – des Wahlverlierers, der im Ergebnis 16 Prozentpunkte hinter der CDU/CSU lag.
Die Themenführerschaft zeichnete sich schon im Wahlkampf ab: Während die Union voll auf die Strahlkraft Merkels vertraute, setzte die SPD auf Inhalte. Sie finden sich im Vertrag wieder: Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro kommt, wenn auch mit einer Übergangsphase. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft für erwachsene Migranten der zweiten Generation konnten die Verhandler um SPD-Chef Sigmar Gabriel durchsetzen. Mit neuen Möglichkeiten für Frühpensionierungen setzen sie die 2006 von ihrem Sozialminister, Franz Müntefering, eingeführte Rente mit 67 zum Teil außer Kraft. Die Union erhält dafür ihre Mütterrente: höhere Pensionen für Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben.

CDU ist nur auf ihre Neins stolz

Sonst ist die CDU nur stolz darauf, zu vielem Nein gesagt zu haben: Es gibt keine Steuererhöhungen und keine neuen Staatsschulden. Es kommen keine Eurobonds und auch sonst keine gemeinsamen Haftungen für Schulden in der Eurozone. In ihrer Domäne, der EU-Krisenpolitik, lässt sich Merkel nicht dreinreden. Das umstrittene Betreuungsgeld bleibt ebenso wie das Ehegattensplitting. Auch künftig werden homosexuelle Paare in Deutschland keine Kinder adoptieren können. Einige Forderungen der SPD hat die Union entschärft: Mietpreisbremse, Frauenquote, Managergehälter – all das wird Gesetz, aber in einer Form, die der Wirtschaft nicht allzu sehr schaden sollte. CSU-Chef Horst Seehofer konnte mit der Pkw-Maut für Ausländer sein Lieblingsthema durchsetzen – zumindest auf dem Papier. Nicht nur in der SPD, sondern auch in der Schwesterpartei CDU geht man davon aus, dass eine De-facto-Diskriminierung ausländischer Autofahrer einer Prüfung durch Brüssel nicht standhält.

Fest steht, dass die Große Koalition teuer wird: 23 Mrd. Euro Mehrausgaben pro Jahr sind beschlossen. Mehr als die Hälfte davon machen allein die Geschenke für Pensionisten aus. Finanzminister Schäuble hat zuvor die Maximalgrenze für Mehrausgaben ohne Steuererhöhungen bei 15 Mrd. Euro angesetzt. Die Differenz konnte am Mittwoch noch kein Verhandler wirklich erklären. Aber sie hatten ja auch kaum geschlafen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2013)

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