PISA liefert uns wenige Antworten, aber es ermöglicht Fragen

Ob Österreich im Ländervergleich auf Platz elf oder 14 liegt, ist tatsächlich eher irrelevant. Warum aber rechnen unsere jungen Frauen so schlecht?

Die Rechenleistung des durchschnittlichen österreichischen Schülers liegt im internationalen Vergleich bei 506 Punkten. Beim Lesen kommt er auf 490 Punkte. Er rechnet und liest signifikant schlechter als ein japanischer Jugendlicher, aber signifikant besser als ein mexikanischer.

Was sagt uns das? Auf den ersten Blick nicht viel, um nicht zu sagen: gar nichts. Noch dazu, weil es erstens den „durchschnittlichen“ Jugendlichen, der da statistisch errechnet wurde, in der Realität nicht gibt. Und zweitens, weil der besagte Japaner und der Mexikaner abgesehen von ihrem Alter – sie sind 15 oder 16 Jahre alt – hinsichtlich ihrer Bildungskarriere mit dem österreichischen Vergleichsobjekt denkbar wenig gemein haben.

Auch die Frage, welche Schulorganisation die beste sei, kann uns PISA nicht beantworten. Dass uns das die Gesamtschulfreunde weismachen wollten, solange das Gesamtschulland Finnland das europäische Ranking angeführt hat, steht auf einem anderen Blatt. Dass seit dem finnischen Absturz die Anhänger eines differenzierten Schulsystems jubilieren, auch. Beide Seiten verwenden die Zahlen unredlich. Seriöse PISA-Macher haben nicht behauptet, dass die Studie Rückschlüsse auf Schulformen zulässt. Das will bloß keiner hören.

Und dann war da noch die Kritik, dass PISA ausschließlich eines teste: nämlich, wie gut ein Schüler bei PISA abschneidet. Der Witz ist gut. Vor allem, weil er so einfach ist, dass man am bildungspolitischen Stammtisch mit Sicherheit ein paar Lacher abstauben kann. Ein Fünkchen Wahrheit steckt natürlich darin: Länder, die Schüler gezielt auf PISA hin trainieren, schneiden tendenziell besser ab. Soll sein.

Weitere Kritikpunkte lassen sich nach Belieben hier anfügen.


Wir könnten an dieser Stelle also einen Punkt machen und die Debatte beenden. Mit der Schlussfolgerung, dass PISA nichts über unser Bildungssystem aussagen kann. Das ist bequem. Und es ist daher eine Methode, mit der hierzulande gern jenen Zahlen begegnet wird, die einem nicht zu Gesicht stehen. Etwa, weil sie nicht in die politische Erfolgsbilanz oder zu jenen Erfahrungen passen, die man selbst oder bei den eigenen Kindern im Schulbereich gemacht hat. Unser Lerneffekt wäre, wenn wir so verfahren, jedoch gleich null. Gerade das Schulsystem sollte sich den Vorwurf, kein lernendes System zu sein, nicht gefallen lassen. Machen wir uns die Mühe, einen genaueren Blick auf PISA zu wagen.

In einem ersten Schritt müssen wir alle vordergründigen, oberflächlichen Ergebnisse beiseiteschieben. Ob Österreich in Mathematik Platz elf oder – wir bedenken etwa die statistische Schwankungsbreite – Platz 14 erreicht, ist tatsächlich von eher untergeordneter Bedeutung. Vor allem, weil der Aufstieg nicht nur mit eigener Leistung zu tun hat, sondern durch ein schlechtes Abschneiden anderer Länder begünstigt wurde. Es reicht also aus, wenn wir aus dem Ranking das Wissen mitnehmen, nicht die allerbesten zu sein, aber auch nicht die schlechtesten. So oder so ähnlich besagen das übrigens auch alle anderen Bildungs- und Hochschulstudien.


Im zweiten Schritt finden wir interessante Details, die Fragen aufwerfen. Eine kleine Auswahl: Warum tun sich österreichische Mädchen mit der Lösung identischer Mathematikaufgaben so viel schwerer als Buben? Und warum ist das anderswo nicht so? Wieso schneiden Jugendliche aus wohlhabenderen Familien so viel besser ab als andere? Und warum gelingt es der Schweiz, diese Kluft (auf gesamt höherem Niveau) deutlich geringer zu halten? Und was bedeutet es, wenn viele Migranten – auch unabhängig vom sozialen Hintergrund – eklatant schlechtere Leistungen bringen?

Man könnte sich nun darauf einigen, dass all diese Unterschiede kein Problem für uns sind und wir nicht reagieren müssen. Aber um das guten Gewissens tun zu können, müssen wir sie zuvor zumindest hinterfragen, analysieren. Wer das nicht macht, wird dem Anspruch, dass seine Kinder die beste Bildung erhalten sollen, nicht gerecht. PISA liefert keine Antworten auf unsere Fragen. Das muss Österreich selbst tun. Es wäre höchste Zeit.

E-Mails an:christoph.schwarz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2013)

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