Trauerfeier: „Mandela war der letzte große Befreier“

U.S. Präsident Obama, Johannesburg
U.S. Präsident Obama, Johannesburg(c) REUTERS (KEVIN LAMARQUE)
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Im Dauerregen nahmen die Menschen Südafrikas und Dutzende internationale Gäste wie US-Präsident Barack Obama Abschied von „Madiba“.

Johannesburg. Sie hatten zwei alte Matratzen und brüchige Campingsessel dabei. Erst am Vorabend waren die weißen Südafrikaner Bruce Bartlett und seine Schwester Nikki aus England angereist, sie hatten sofort Urlaub genommen, als sie vom Tod Nelson Mandelas erfahren hatten. Längst hatte es vor dem Fußballstadion von Soweto angefangen zu regnen.

Sie verbrachten die Nacht im Nieselregen, teilten sich Stühle und Regenschirme mit einigen dunkelhäutigen Studenten aus Soweto. Einer besorgte ein, zwei Flaschen Wein, und bevor die Nacht vergangen war, hatten sie ihre Lebensgeschichten ausgetauscht – weiße Mittelschicht auf der einen Seite, zukünftige schwarze Mittelschicht auf der anderen. Der Regen? Kaum der Rede wert, sagt Sibusiso Kubayi, der bald sein Maschinenbaustudium abschließen wird: „Nelson Mandela hat sein halbes Leben für uns gelitten, was ist denn schon eine Nacht im Regen?“

Ausgerechnet am Ort der Trauerfeier hatte Nelson Mandela beim Finale der Fußball-WM vor drei Jahren seinen letzten öffentlichen Auftritt. Hier sollte sich nun die Nation von ihm verabschieden. Angehörige Mandelas würdigten den Verstorbenen als Halt und Fels der Familie. Er wünsche sich, dass Mandelas Botschaft der Friedfertigkeit noch lange in der Welt nachhallen werde, so General Thanduxolo Mandela.

Die Regierung hatte Überlegungen verworfen, einen Feiertag auszurufen, zu groß wäre wohl der Ansturm gewesen. Doch dann setzte der Regen ein, so ausdauernd wie seit Monaten nicht in Johannesburg. Der ganz große Ansturm blieb aus. Und doch harrten 55.000 Zuschauer aus, viele Stunden lang, unter einem Meer aus Regenschirmen, die meisten völlig durchnässt.

„Eine Arena, die so groß wäre wie der gesamte afrikanische Kontinent, wäre nicht groß genug, unseren Schmerz aufzunehmen“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon unter Ovationen. „Wir sind in der Trauer für einen großen Mann vereint, und wir feiern sein großes Leben.“ Mandela sei ein Versöhner über den Tod hinaus. „Er hat die großartige Macht der Vergebung gezeigt, indem er Menschen zusammenbrachte. Das ist die wahre Bedeutung von Frieden“, sagte Ban.

Barack Obamas Rede war indessen die vielleicht persönlichste der internationalen Gäste. Er bezeichnete Mandela als „Giganten der Geschichte. Wir vermissen ihn schmerzlich, er war der letzte große Befreier des 20.Jahrhunderts.“ Mandela sei in einem Atemzug mit Mahatma Gandhi, dem Freiheitshelden Indiens, zu nennen, sagte Obama. „Er hat die Gefangenen und deren Bewacher befreit.“

Raúl Castros Erinnerungen

Kubas Diktator Raúl Castro erinnerte an die gemeinsame Geschichte seines Landes mit Südafrika. „Kuba, ein Land, das im Kampf um die Unabhängigkeit geboren wurde, hatte das Privileg, zusammen mit dem südafrikanischen Volk zu kämpfen“, sagte Castro. „Wir werden nie vergessen, wie sich Mandela auch an unseren gemeinsamen Kampf erinnerte.“ Castro erzählte von einem Staatsbesuch Mandelas, bei dem dieser gesagt haben soll: „Das kubanische Volk hat einen besonderen Platz im Herzen des südafrikanischen Volkes.“

In welchem Verbund Südafrika seine Zukunft sieht, offenbarte ein Blick auf die Rednerliste. Neben Obama waren die Präsidenten der Schwellenländer Brasiliens und Indiens sowie der Vize-Präsident Chinas ans Mikrofon getreten, dazu der Präsident des Nachbarn Namibia. Ein Repräsentant aus dem Kontinent der alten Kolonialmächte Europa kam nicht zu Wort.

Seit Donnerstagabend trauert Südafrika um Mandela, allerdings weniger in Stille als mit Tanz und Gesang. Die Südafrikaner zeigten sich seitdem wild entschlossen, Mandelas Leben zu feiern, anstatt sich in ihrem Schmerz zurückzuziehen. „Mandela, yo, my President“, hallte es während der ersten Stunden durch das Stadion. Oder: „Mandela, akekho ofana nawe“ – „Mandela, es gibt keinen anderen wie dich.“ Nur langsam verebbte diese magische Stimmung angesichts des Regens und endloser Reden. Bis Freitag wird Mandelas Körper im Regierungssitz in Pretoria aufgebahrt werden, danach soll er in Mandelas Heimatdorf Qunu am Ostkap begraben werden.

Buhrufe für Präsident Zuma

Die Geduld mit der aktuellen Führungsriege des ANC nähert sich jedoch dem Ende, auch das wurde am Dienstag deutlich. Als die Kameras Präsident Jacob Zuma einfingen, wurde er mehrfach ausgebuht. Vor den Wahlen in fünf Monaten hat der ANC wenig Argumente dafür, wiedergewählt zu werden, die wirtschaftspolitischen Ziele wurden deutlich verfehlt, zudem machen Minister Schlagzeilen wegen Korruption.

Die Partei profitiert in großen Teilen von ihren Verdiensten der Vergangenheit, auch deshalb ehrt der ANC die Helden des Befreiungskampfes mit Gedenkfeiern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2013)

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