Lars Feld: „Ich fürchte, wir rechnen uns reich“

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Politiker werden immer Schulden machen, sagt Lars Feld, Erfinder der deutschen Schuldenbremse. Das sei doppelt fatal, wenn sie dabei auf zu optimistische BIP-Prognosen vertrauen.

Die Presse: Deutschland und Österreich haben wieder Große Koalitionen. Große Reformen fehlen jedoch in beiden Programmen. Ist das ein Schritt zurück?

Lars Feld: Der Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung ist auf jeden Fall ein Schritt zurück. Vor allem in der Arbeitsmarkt- und in der Sozialpolitik. Der geplante Mindestlohn von 8,50 Euro wird kontraproduktiv sein. Außerdem sind Mehrausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro geplant. Dazu kommen noch etliche Ausnahmen für die Rente mit 67, die die gesetzliche Rentenversicherung stark belasten werden.

In Österreich ist ein Pensionsantritt mit 67 kein Thema. Hier ist die neue Regierung schon stolz, wenn sie es schafft, das faktische Antrittsalter über 60 zu hieven.

Schlimmer geht immer. Aber ich kenne die Lage in Österreich nicht im Detail und halte mich mit Ratschlägen gern zurück.

Sie haben als junger Mensch lange Jahre in der Psychiatrie gearbeitet. Heute kümmern Sie sich eher um „kranke“ Staatsfinanzen. Sehen Sie da Parallelen?

Ich bin in meiner Zeit als Pflegehelfer in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung stark geprägt worden. Man musste schnell eine gute Menschenkenntnis entwickeln, was heute noch ungeheuer wertvoll ist. Eine direkte Analogie zu den Staatsfinanzen sehe ich aber nicht. Es ist ja ein rationaler Prozess, der zu übermäßiger Verschuldung führt. Bei der neuen Großen Koalition hatte etwa jede Partei zwei Lieblingsprojekte beim Thema Rente. Dann hat man sich zusammengetan, Stimmen getauscht, und jetzt werden eben drei kostenträchtige Projekte umgesetzt. So funktioniert Politik.

Ist das überall so? Sie waren ja auch lange in der Schweiz und haben von dort etwa die Schuldenbremse nach Deutschland importiert. In Österreich hat sie es nicht in den Verfassungsrang geschafft. Hat die heimische Schuldenbremse den Namen in Ihren Augen dann noch verdient?

Na ja, eine Schuldenbremse muss schon Bindungswirkung haben. Und die ist als Verfassungsgesetz natürlich höher. Generell helfen in der Schweiz die direkte Demokratie und die Schuldenbremse, um die Stimmentauschmentalität der Politiker zu unterbinden. Die teuren Infrastruktur-Prestigeprojekte fallen dann weg. Ich sage nicht, dass die Schweizer keinen Unsinn machen. Aber weniger als andere Länder.

Deutschland wurde zuletzt eher für seine Sparsamkeit, seine starken Exporte und hohen Leistungsbilanzüberschüsse kritisiert. Muss Deutschland mehr ausgeben?

Davon halte ich gar nichts. Aus Leistungsbilanzsalden irgendwas für Wettbewerbsfähigkeit ablesen zu wollen, ist Quatsch. Abgesehen davon ist Deutschland im Moment aber wegen der guten Konjunktur natürlich begünstigt. Die Steuereinnahmen sprudeln. Es gibt Spielräume im Haushalt. Die liegen aber eher bei bei 15 Milliarden und nicht bei den 23 Milliarden, die man ausgeben will. Dem Vernehmen nach soll es ja irgendwo noch acht Milliarden stille Reserven geben. Ich fürchte, dass wir die nur dadurch gewinnen, dass wir uns mit dem Wirtschaftswachstum wieder reich rechnen. Das war schon in der Vergangenheit oft ein Problem, das zu höheren Defiziten geführt hat.

Als Ökonom wissen Sie ja gut, wie das mit dem Reichrechnen funktioniert. Wie sehr vertrauen Sie Konjunkturprognosen?

Ich bin bei Konjunkturprognosen sehr zurückhaltend. Es ist klar, dass die Bandbreite für Fehler sehr groß ist, je weiter wir in die Zukunft blicken. Wir sagen etwa für 2014 ein Wachstum von 1,6 Prozent voraus, können aber genauso gut bei 2,3 wie bei 1,3 Prozent landen. Das ist alles noch im Rahmen. Fatal ist erst, wenn man Wendepunkte nicht erkennt. Der Sachverständigenrat hat vor meiner Zeit im Herbst 2008, als der Einbruch von minus fünf Prozent in 2009 schon sichtbar war, noch eine rote Null prognostiziert. Das ist eine klare Fehlprognose. Da hätte man vielleicht einmal in den Hamburger Hafen fahren sollen, um sich anzusehen, wie die Containerschiffe stillstehen.

Die EU-Kommission hat kürzlich die Rezession in Europa für beendet erklärt. Haben wir die Krise hinter uns?

Nach unserer Prognose werden wir in der Eurozone erstmals seit zwei Jahren wieder wachsen. Natürlich gibt es Licht und Schatten: Griechenland wird leicht schrumpfen. Italien und Frankreich sind nahe an der Stagnation. Aber im Großen und Ganzen ist die Schwächephase bewältigt.

Wie beurteilen Sie den Aufholprozess der Euro-Krisenländer?

Bei einem Langstreckenlauf wären wir etwa auf halbem Weg. Aber es wurde viel erreicht. Griechenland hat konsolidiert und 2014 eine Chance, Primärüberschuss zu erzielen. Irland ist aus dem Rettungsschirm draußen. Nur in Frankreich und Italien gibt es keine Fortschritte. Dort herrscht politischer Stillstand.

Ein Primärüberschuss in Griechenland ist ja schön, aber reichen wird er nicht, um den Schuldenberg abzubauen. Wäre es nicht doch an der Zeit für eine Pleite oder einen Schuldenschnitt?

Das reicht natürlich nicht. Ich bin dennoch sehr vorsichtig, wenn es um einem Schuldenschnitt geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die öffentlichen Gläubiger Athens auf Kapital verzichten werden. Man kann Laufzeiten und Zinsen ändern. Aber auch das ist nicht zwingend notwendig. Denn wann immer man Griechenland neue Umschuldungen in Aussicht gestellt hat, sind die Reformbemühungen schlagartig erlahmt. Solange sich das nicht ändert, sollte man lieber auf Sicht fahren.

Wie bewerten Sie die Rolle der EZB in der Krise? Kann man guten Gewissens sagen: Die Währungsunion hat die Krise überstanden und wird mit allen Mitgliedsländern überleben?

Die Ankündigung Mario Draghis (der EZB-Chef kündigte an, alles zu tun, um den Euro zu schützen, Anm.) war entscheidend, um den Euro aus Sicht der Finanzmärkte zu stabilisieren. Die Ankündigung war glaubwürdig genug, ohne dass er Anleihen kaufen musste. Aber Draghi allein kann nicht sicherstellen, dass weiter konsolidiert wird und Strukturreformen gemacht werden. Das Erlahmen dieser Prozesse in Italien und Frankreich ist auch darauf zurückzuführen, dass die Geldpolitik falsche Anreize setzt. Das wird uns Probleme bereiten.

Zur Beruhigung der Finanzmärkte hat auch die EZB viel Liquidität in die Märkte gepumpt. Was passiert damit? Was erwartet uns auf den Finanzmärkten?

Im Moment ist das kein Problem. Wir haben niedrige Inflationsraten. Wir sehen in Europa und den USA keine Blasenbildung auf den Immobilienmärkten. Solange das so ist, muss man sich keine Sorgen machen. Technisch sind die Notenbanken in der Lage, das Geld wieder herauszunehmen. Ob das politisch durchgeht, ist die Frage. Wenn Draghi die Zinsen plötzlich anhebt und Italien seinen Gläubigern dann über sieben Prozent Zinsen zahlen muss, glauben die Finanzmärkte wieder, dass die italienischen Finanzen nicht tragfähig sind. Ich bin gespannt, ob die EZB das politisch aushält.

ZUR PERSON

Lars Feld (47) ist seit März 2011 der jüngste „Wirtschaftsweise“ im Sachverständigenrat, dem wichtigsten Beratergremium der deutschen Bundesregierung. Der Steuer- und Finanzexperte war unter anderem maßgeblich an der Einführung der deutschen Schuldenbremse beteiligt. Seit 2010 leitet der deklarierte Liberale das traditionsreiche Walter-Eucken-Institut in Freiburg. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wählte den gebürtigen Saarländer kürzlich zum einflussreichsten Ökonomen Deutschlands.

Die heimische Denkfabrik Agenda Austria holte Lars Feld kürzlich zu einem Vortrag über die Vorzüge der Steuerautonomie der Schweizer Kantone nach Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2013)

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