Israel: Scharons versandetes Vermächtnis

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Beim Begräbnis des Ex-Premiers erinnerten fast alle noch einmal an den Abzug aus dem Gazastreifen. Doch das Konzept des einseitigen Abzugs ist längst diskreditiert.

Jerusalem. Auch nach seinem Tod machte Israels umstrittener Ex-Regierungschef Ariel Scharon ein Sonderaufgebot an Sicherheitskräften nötig. Hunderte Polizisten bewachten am Montag die Beisetzung auf seiner Farm im Negev, wo schon seine Frau Lili begraben liegt. Die beiden Söhne Gilad und Omri hatten ausdrücklich gewünscht, dass die Öffentlichkeit Zugang zur Trauerfeier haben konnte. Aus Angst vor möglichem Raketenbeschuss aus dem nur wenige Kilometer entfernt gelegenen Gazastreifen war eigens das Abwehrsystem Eisenhaube stationiert worden, mit dem Kurzstreckenraketen abgefangen werden können.

Mösergranaten aus Gaza

Die Feier verlief am Ende friedlich. Fast. Erst nach dem Begräbnis schlugen in der nahe gelegenen Grenzstadt Sderot zwei Mörsergranaten aus dem Gazastreifen ein. Ein letzter „Salut“ militanter Palästinenser.

Einer der Sprecher während des Staatsakts am Vormittag war US-Vizepräsident Joe Biden. Israels Sicherheit sei „Scharons Lebenswerk“ gewesen, meinte Biden. Auch Staatspräsident Schimon Peres, der mit Scharon seit Jahrzehnten eng befreundet war und nun letzter Würdenträger der Gründergeneration ist, ergriff das Wort. „Deine Spuren sind auf jedem Hügel und in jedem Tal“, sagte Peres. „Du hast das Land mit deiner Sense fruchtbar gemacht und es mit deinem Schwert verteidigt.“

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beschrieb Scharon als einen der Gründerväter Israels. Er sei  einer der größten Kämpfer Israels  gewesen.  Netanjahu gehörte zu den politischen Widersachern des Toten. Doch wenn jemand nach acht Jahren Koma stirbt, möchte man nicht schlecht über ihn reden. So erwähnte Netanjahu mit keinem Wort den Abzug aus dem Gazastreifen, Scharons letzten großen politischen Akt. Ganz anders Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich genau diese „mutige Entscheidung“ herauspickte, als sie Scharons Tod kommentierte. Er habe „einen historischen Schritt auf dem Weg zu einem Ausgleich mit den Palästinensern und zu einer Zweistaatenlösung getan“, hieß es in Merkels Kondolenzschreiben.

Kerry und Biden gaben Anstöße

Die Nachwelt werde nie erfahren, welche „Wellen das Leben Scharons geschlagen hätte, hätte er sein Ziel, Frieden zu schaffen, erreicht“, meinte Biden. Über Jahrzehnte seiner politischen Karriere widmete Scharon dem Siedlungsbau seine größte Aufmerksamkeit, bis er kurz vor Schluss eine ideologische Kehrtwende unternahm. Seit Beginn des Komas vor acht Jahren zerbrechen sich die Analytiker den Kopf darüber, ob sich Scharon mit dem einseitigen Abzug nur des leidigen Gazastreifens entledigen wollte oder ob er es wirklich auf die Zweistaatenlösung, eine Einigung mit den Palästinensern – und wenn dies nicht möglich sein sollte – auf weitere einseitige Abzugsmanöver anlegte, wie es das Programm seiner Partei versprach.

US-Außenminister John Kerry, der sich in diesen Wochen für einen Frieden in der Region starkmacht, nutzte die Gelegenheit, um Netanjahu einen Anstoß zu geben. Scharon sei bereit zu schweren Entscheidungen gewesen, meinte Kerry, „denn er wusste, dass er seinem Volk gegenüber die Verantwortung hatte, Sicherheit zu garantieren und der Hoffnung eine Chance zu geben, in Frieden zu leben“.

In Israel mag nicht jeder mit allen seinen Entscheidungen einverstanden gewesen sein, doch Scharon überzeugte als Patriot und als Politiker, den die Sorge um sein Land antrieb. Die Sympathie, die dem toten Mann nun aus fast allen politischen Lagern Israels entgegenströmt, ist für keine  Fraktion zu Werbezwecken zu nutzen. Denn der Likud war zum Schluss nicht mehr Scharons Partei, und von der Kadima, die Scharon eigens gründete, um den Abzug aus Gaza voranzutreiben, ist außer zwei einsamen Abgeordneten inzwischen nichts mehr übrig.

Auch von Kadima ist nichts mehr übrig

Tzipi Livni, heute Justizministerin, war Scharons Protegé, doch sie selbst kehrte sich nach verlorener Vorstandswahl von der Kadima ab. So tauchte das Konterfei des Soldaten und Politikers, der die Geschichte des Staates so sehr mitgestaltete, in den vergangenen Jahren immer seltener auf. Dass sein politisches Erbe im Sand verrann, verdankt Scharon auch den Palästinensern, die schon wenige Monate nach dem Gaza-Abzug die Hamas an die Macht wählten und damit das Projekt des einseitigen Abzugs für einen Frieden begruben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2014)

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