Dompteure im Flohzirkus: Wie die Kommission den Freihandel verhandelt

EU Trade Commissioner De Gucht pauses during a news conference at the ninth WTO Ministerial Conference in Nusa Dua
EU Trade Commissioner De Gucht pauses during a news conference at the ninth WTO Ministerial Conference in Nusa DuaREUTERS
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Bei dem transatlantischen Abkommen TTIP geht es vor allem um die Angleichung von Normen und Prozeduren.

Brüssel. Sollten Europäer und Amerikaner eines schönen Tages doch noch einen Freihandelspakt besiegeln, werden sie wohl die Große Rezession als Geburtshelferin würdigen müssen: Als Vertreter der EU im Jahr 2007 in Washington ihre Fühler ausstreckten, um die Aussichten auf ein transatlantisches Handelsabkommen zu sondieren, war die Begeisterung des damaligen US-Präsidenten George W. Bush noch enden wollend: Statt eines großen Wurfes gab es lediglich ein Rahmenabkommen, in dem vom Aufbau eines transatlantischen Markts die Rede war – freilich zu einem späteren Zeitpunkt, denn die inhaltlichen Differenzen (etwa bei der Landwirtschaft) schienen damals unüberbrückbar.

Diese Hürden sind zwar nach wie vor hoch, doch die Rahmenbedingungen haben sich in der Zwischenzeit radikal verändert. Sechs Jahre nach dem Platzen der Immobilienblase in den USA und im fünften Jahr der Eurokrise lässt der Zustand der Volkswirtschaften auf beiden Seiten des Atlantiks immer noch zu wünschen übrig. Zwar haben die USA in dem konjunkturellen Rennen der Fußmaroden derzeit die Nase vorn, doch auch in Washington ist man mittlerweile zur Einsicht gelangt, dass Freihandelsverträge die preisgünstigste Möglichkeit sind, die eigene Wirtschaft zu beleben. Deshalb der Enthusiasmus für das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), das seit Mitte 2013 mit der EU verhandelt wird.

Aus der Brüsseler Perspektive fällt diese Kalkulation noch eindeutiger aus – erstens, weil die Schuldenkrise die Eurozone immer noch im Würgegriff hat, und zweitens, weil die Volkswirtschaften der EU stärker reguliert sind als die USA. Ein Abkommen, im Zuge dessen der europäische Paragrafendschungel gerodet wird, hätte also einen zusätzlichen Mehrwert. Nach Berechnungen der EU-Kommission soll TTIP die jährliche Wertschöpfung der Union um einen halben Prozentpunkt bzw. rund 120 Milliarden Euro erhöhen, für 400.000 zusätzliche Arbeitsplätze sorgen und die Lebenshaltungskosten einer vierköpfigen Familie um exakt 545 Euro senken. Derart genaue Prophezeiungen sind zwar immer mit Vorsicht zu genießen – ältere Semester erinnern sich mit Sicherheit noch an den „Ederer-Tausender“, den sich die Österreicher gemäß der gleichnamigen Staatssekretärin durch den EU-Beitritt 1995 angeblich sparen sollten –, die tendenziell positiven Auswirkungen von Freihandel auf die Konjunktur sind aber unbestritten.

Keine Zweifel gibt es allerdings auch an dem Schwierigkeitsgrad der transatlantischen Verhandlungen. Die drei bisherigen Gesprächsrunden haben zwei Erkenntnisse gebracht. Erstens: Der Zieltermin von Mitte 2014 ist nicht zu halten. Und zweitens: Es ist noch sehr viel Überzeugungsarbeit nötig.

Der Grund: Bei TTIP geht es nicht bloß um den Abbau von Zollschranken (denn die bewegen sich ohnehin im niedrigen einstelligen Prozentbereich), sondern vor allem um Normen, Standards und Prozeduren – die sogenannten nicht tarifären Handelshemmnisse. Etwa um die Frage, welche Sicherheitsparameter Autos aus europäischer Produktion in den USA aufweisen müssen, an welche Vorschriften sich international agierende Banken zu halten haben oder ob mit Chlor gereinigte Hühner in europäischen Supermärkten verkauft werden dürfen.

Querschüsse aus den Hauptstädten

Der EU-Kommission, die im Namen der Union den Pakt verhandelt, geht es wie einem Dompteur im Flohzirkus: Es gilt, auf die Befindlichkeiten von 28 Mitgliedern sowie unzähligen Interessenverbänden, NGOs etc. zu achten. Einen Vorgeschmack auf die Problematik gab es noch vor dem offiziellen Start der Gespräche im Juni 2013, als sich Frankreichs Kulturministerin Aurélie Filippetti unter lautem Beifall französischer Medien plötzlich weigerte, grünes Licht zu geben, solange die Kulturindustrie nicht aus den Verhandlungen ausgeklammert wird – Brüssel knickte schlussendlich ein. Der aktuelle Zankapfel sind Investitionsschutzklauseln, die es Unternehmen ermöglichen sollen, ungünstige Gesetze vor einem Schiedsgericht anzufechten: Nach heftiger Kritik (unter anderem aus Berlin) legte Handelskommissar Karel De Gucht vor wenigen Tagen die Verhandlungen über Schutzklauseln auf Eis.

Dass die Wogen derart hochgingen, hat sich die Kommission aber zu einem Teil auch selbst zuzuschreiben: Über die Details der Gespräche wurde nämlich ein Mantel des Schweigens gebreitet, selbst das genaue Verhandlungsmandat der EU unterliegt der Geheimhaltung – angeblich, um Verhandlungen mit anderen potenziellen Freihandelspartnern nicht zu beeinflussen. Rein sachlich mag die Kommission zwar recht haben, doch diese Geheimniskrämerei macht sie angreifbar für den Vorwurf der Parteinahme für Industrielobbyisten – und das ungeachtet der gebetsmühlenartig wiederholten Beteuerungen, europäische Sicherheitsstandards bei Lebensmitteln, Umwelt und Gesundheit würden keinesfalls ausgehöhlt.

AUF EINEN BLICK

TTIP. Das seit Mitte 2013 verhandelte Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA würde die weltgrößte Freihandelszone mit rund 800 Millionen Konsumenten schaffen. Die EU erhofft sich von dem Pakt einen jährlichen Wachstumsschub von 0,5Prozent des BIPs. Auf dem Spiel steht aber noch viel mehr: Ein Abkommen zwischen Brüssel und Washington würde globale Standards (etwa bei der Produktsicherheit) setzen, an die sich Länder wie China wohl oder übel auch halten müssten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2014)

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