Der Triumph der "Camp"-Ästhetik im "Dschungelcamp"

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"Es ist gut, gerade weil es so grauenhaft ist": Diesen bis heute beliebten Satz nannte Susan Sontag 1964 das "ultimative Camp-Statement".

Die TV-Sendung „Dschungelcamp“ sei eine „Deutungsmaschine“, schrieb Roger Willemsen in der „Süddeutschen Zeitung“, in deren Zentrum sei die Kärntnerin Larissa Marolt: „Alle fragen sich angesichts ihrer Unmittelbarkeit und Direktheit, was ihr Eigentliches ist, was sie im Innersten zusammenhält, und so gibt es auch nichts, das man ihr nicht schon unterstellt hätte: Sie spielt, sie ist unecht, voller Kalkül, auf Entzug, sie lügt, ist ein Kind, ein Tollpatsch, unreif, wenn nicht irr (...)“

Schlichter gesagt: Man weiß nicht, ob sie – die Sendung und die Beinahegewinnerin – echt oder unecht sind, dumm oder klug, naiv oder raffiniert.

Man will es gar nicht wissen, man genießt die Doppeldeutigkeit, die Raffinesse in der Naivität, die Klugheit in der Dummheit, man malt Gänsefüßchen in die Luft, man zwinkert wissend und sagt: „Es ist gut, gerade weiles so grauenhaft ist.“ Diesen Satz nannte Susan Sontag in ihrem Essay „Notes on ,Camp‘“ (1964) das „ultimate Camp statement“.

Das Wort „camp“ ist nur indirekt mit dem Camp verwandt, das im Dschungel oder auf dem Campingplatz aufgeschlagen wird, indem beide letztlich vom lateinischen „campus“ (Feld) kommen. Es leitet sich vom französischen Slangausdruck „se camper“ ab: übertrieben posieren. Schriftlich bezeugt ist es seit 1909, Sontag nannte „Camp“ (das sie konsequent groß schreibt) „a cult name“ und definierte: „It is the love of the exaggerated, the ,off‘, of things-being-what-they-are-not.“ Das Wort „Kult“ wird übrigens heute im Deutschen ganz ähnlich wie „camp“ verwendet.

Als frühen Camp-Ideologen nennt sie Oscar Wilde, als ersten ausgeprägten Camp-Stil die Art Nouveau, den Jugendstil. Camp sei grundsätzlich künstlich, ästhetizistisch, sehe alles unter Anführungszeichen. Camp beruhe auf der Unschuld, enthülle sie und zerstöre sie sogleich, sei ernsthaft, aber von einer Ernsthaftigkeit, die scheitere. Camp behaupte, dass guter Geschmack nicht einfach guter Geschmack sei; dass es einen guten Geschmack für schlechten Geschmack gebe. Das ist wohl der Unterschied zwischen Kitsch und Camp: Camp ist Kitsch, den man durchschaut. Und das Spiel, das man durchschaut. „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“: Dieser Schnitzler-Satz ist purer Camp.

Die Pop-Art könne man mit Camp vergleichen, schrieb Sontag, aber sie sei flacher, unbeschwerter. Doch die populäre Musik („Post-Rock'n'Roll, das, was die Franzosen ,yé yé‘ nennen“) sei bereits vom Camp einverleibt. Das schrieb sie 1964, als der Pop seine ursprüngliche Rock'n'Roll-Unschuld noch kaum überhöht hatte! Doch genau Anfang der Sechzigerjahre begannen die Intellektuellen, die gerade noch Jazz cool und hip gefunden hatten, die gerade noch als vulgär empfundene Popmusik zu lieben, so wie heutige Intellektuelle die „Dschungelshow“ lieben. Und spätestens in den Siebzigern war Pop camp – im Gegensatz zum Rock, der das Pathos der Aufrichtigkeit, der Ehrlichkeit pflegt. Die apokalyptischen und/oder heldischen Inszenierungen von David Bowie waren genauso mit Anführungszeichen zu verstehen wie die Tändelei von Roxy Music mit der Dekadenz. Der Flirt des Seventies-Pop mit Androgynität war auch ganz typisch für Camp: „Es ist nicht wahr, dass Camp-Geschmack homosexueller Geschmack ist“, hatte Sontag geschrieben, „aber es gibt zweifellos eine gewisse Nähe.“

Heute ist ein Großteil des Hitparaden-Pop camp: Lady Gaga etwa mit ihrem koketten Spiel zwischen inszenierter Unschuld und unschuldiger Inszenierung. David LaChapelle, erfolgreicher Camp-Fotograf, hat sie für ihr „Fame Monster“-Album abgelichtet: Rapper Kanye West hält sie in den Händen, sie ist nackt und blonder als blond, er, mit blanker Brust, blickt mit heldenhaftem Ernst in die Ferne. Die Szene spielt in einem superbunten tropischen Wald, in einem Dschungel.

E-Mails an:thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2014)

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