Das "Nationaltheater" in Sichtweite der Zentren der politischen Macht

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Der Mythos Burgtheater gehört zu Österreich wie die Lipizzaner und die Wiener Sängerknaben. Diesen Spaß lässt sich unser Staat seit Kaisers Zeiten einiges kosten.

Das Burgtheater war schon immer ganz nah den Spitzen des Staates. Als die frisch an die Macht gekommene Habsburger Herrscherin Maria Theresia 1741 ein Ballhaus, eine Art Indoor Tennis Court der Hofburg, zu einer Schaubühne umbauen ließ, wurde in dem Holzbau auch eine Kaiserloge installiert, die man direkt von den kaiserlichen Gemächern aus betreten konnte. Die Lustbarkeit und der Wille zur Repräsentation lagen eng beieinander. Es verlieh dem Hofleben Pracht.

Maria Theresias Nachfolger, ihr strenger Sohn Joseph II., erklärte 1776 diese kaiserliche Bühne zum „Teutschen Nationaltheater“, machte Schauspieler zu Beamten mit Pensionsanspruch. Der aufgeklärte Absolutist hatte wohl auch erzieherische Absichten. Vielleicht war diese Betonung des Deutschen und Nationalen auch eine Kampfansage an die herrschende französische Mode oder eine Demonstration kultureller Überlegenheit gegenüber seinen vielen Völkern, vor allem aber mochte Joseph eines nicht: Tragödien. Seine Regieanweisung ließ keine traurigen Schlüsse zu, nicht einmal in den düstersten Stücken Shakespeares oder der alten Griechen. Der Hof liebte es lustig.


Ehrenlogen. Repräsentation gab es auch, als das Theater 1888 in der vom Großbürgertum geprägten Ringstraßen-Zeit an seinem jetzigen Platz angesiedelt wurde, gegenüber dem Rathaus und vor dem Hauptquartier der SPÖ in der Löwelstraße, nah zu Parlament, Kanzleramt, Präsidentschaftskanzlei und Universität, also ganz angepasst wieder im Zentrum der Macht im großen Wien. Zwei Feststiegen führen hinauf ins Theater mit seinen rund 1300 Plätzen. Für den Kaiser, die Präsidenten und auch für den Führer gab es eine Loge. Wenn so hoher Besuch angesagt war, mutierte das Burgtheater quasi zum Schauplatz für Staatsakte, bei denen je nach politischer Lage dem Patriotismus gehuldigt wurde. Bis heute feiert man dort diverse Jubiläen. Man kann unter vielen wählen. 1741, 1748, 1776, 1888, 1955. Jedes Jahr kann ein Gedenkjahr sein.


Begräbnisse.
Die schönsten Feiern sind ohnehin die spontanen. Wenn ein berühmter Schauspieler oder eine göttliche Schauspielerin stirbt, ein Ehrenmitglied also, oder ein verdienter Direktor, hat die Trauergesellschaft den Anspruch darauf, dass der Leichnam, zuvor im Haus auf der Feststiege fürs letzte Bestaunen aufgebahrt, danach bis zu dreimal im Sarg um die Burg geführt wird. Das ist die Ultima Ratio dieses Hauses. Man gedenkt der einstigen Pracht (früher war alles viel prächtiger), behauptet aber an solchen Feiertagen auch, dass dieses Land, das 1918 als Großmacht unterging, in der Kultur noch immer eine erste Nation sei – zumindest auf der Bühne.

Diese Sehnsucht ist bis heute zu spüren. Das Burgtheater wurde und wird vielleicht vor allem deshalb besucht, weil man die besten Schauspieler sehen will, die Ersatzkaiser des Landes. Die Wessely war so eine Monarchin, die heutigen Burgherren sind wohl der Brandauer und der Voss. Traditionellen Besuchern ist es noch immer völlig egal, wer diese Heroen dazu anleitet, von links nach rechts zu gehen. Regietheater? Hauptsache, es wird schön gesprochen, im „Burgtheater-Deutsch“, das einst fast so elegant gewesen sein soll wie das Prager Deutsch.

Was aber sagt uns der Begriff Nationaltheater heute? Die Pflege der Klassiker seit der Antike unter besonderer Berücksichtigung der regionalen Nationaldichter? Spätestens seit der Ära Claus Peymann, die 1986 frischen Wind nach Wien brachte und 1999 fast wienerisch säuselnd zu Ende ging, ist die Burg ein gut bestalltes deutsches Stadttheater mit prächtigem Ensemble, das vieles bringt, um allen was zu bringen. Weltspitze? Für Wien jedenfalls.


Multi-Nationaltheater.
Neben der Hauptbühne und dem intimeren Akademietheater werden auch die kleineren Bühnen im Kasino und im Vestibül bespielt. Vom uralten Trauerspiel bis zur zeitgenössischen Provokation und zum bloßen Event wird nunmehr alles geboten. Der derzeitige Direktor Matthias Hartmann forcierte auch noch den Diskurs und das Kindertheater.

Nach der Zahl der Premieren ist die Burg tatsächlich eine Großmacht für diese Stadt, eine immerwährende Festwoche. Die Konkurrenz wird an die Wand gespielt. Ob der universale Anspruch gut ist? Das Multi-Nationaltheater ist eine Tochter der Zeit. Vielleicht passt es demnächst besser in die Begegnungszone Mariahilfer-Straße als in das Haus am Ring. Aus dem könnte man dann ein Museum machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2014)

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