Streitgespräch: „Es geht nicht um große Revolution“

Helmut Schüller, Sprachrohr der Pfarrerinitiative, und der an der Universität Wien lehrende Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück (v. l.) zu Gast in der Redaktion der ''Presse''.
Helmut Schüller, Sprachrohr der Pfarrerinitiative, und der an der Universität Wien lehrende Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück (v. l.) zu Gast in der Redaktion der ''Presse''.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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„Presse“-Gespräch. Am Donnerstag jährt sich der Tag der Wahl von Franziskus zum ersten Mal. Pfarrer Helmut Schüller und der Dogmatiker Jan-Heiner Tück ziehen eine Bilanz.

Die Presse: Was ist für Sie persönlich das Erfolgsrezept von Franziskus, der in breiten Kreisen auf große Sympathien stößt?

Helmut Schüller: Der Funke ist durch sein Auftreten übergesprungen, durch seine Sprache, die Dinge, die er anspricht. Da trifft er oft Erwartungen und wohl Hoffnungen. Für Seelsorger ist es eine riesige Entlastung, dass es den Menschen leichterfällt, sich mit der Kirche zu identifizieren. Und der Papst hat Dinge angesprochen, die uns Pfarrern und allen, die sich Reformen wünschen, am Herzen liegen.

Jan-Heiner Tück: Zunächst ist es der Stil der Amtsführung, die Tatsache, dass er pontifikale Insignien weitgehend abgelegt hat, dass er eine direkte Sprache spricht, was ihn für viele sympathisch macht. Sich hat er als Bischof von Rom bezeichnet, der einen Weg mit dem Volk Gottes gehen will. Das ist neu, dass er die Volk-Gottes-Theologie ins Zentrum rückt, die unter Benedikt XVI. eher in den Hintergrund getreten war. Sein Lehramt ist ein hörendes.

Ist nicht vieles von dem, was diesen Papst so sympathisch macht – Stichwort Sprache, die man versteht – eigentlich eine Selbstverständlichkeit?

Tück: Man kann tatsächlich sagen, dass Franziskus durch seinen neuen Stil dem Amt etwas von der hohen Aura genommen hat.
Schüller: Ich musste schmunzeln, als sich der Papst als Bischof von Rom bezeichnete. Als wir das getan haben, haben wir von Bischöfen einen Tadel bekommen. Viele fragen, ob er seinen Stil dem System aufdrücken kann.

Auch Sie? Schafft er es, oder wird er zum Gefangenen des Systems?

Tück: Franziskus hat begonnen, das System zu verändern. Als Erstes hat er das Gremium der acht Kardinäle eingerichtet, die die unterschiedlichen kulturellen Großräume repräsentieren und ortskirchliche Erfahrungen in die universalkirchliche Leitung einbringen.

Dieses Gremium ist doch auch ein Ausbremsen der Kurie...

Tück: Der Anstoß zu einer heilsamen Dezentralisierung kommt aus der Zentrale. Das Achtergremium relativiert die Kurie und stärkt den Einfluss der Ortskirchen. Dann hat Franziskus eine neue Arbeitsmethode für die Synode zu Familienfragen eingeführt, es geht ihm um echten Austausch unter den Bischöfen, um kollegiale Problemlösungen. Im Vorfeld ließ er Fragebögen zirkulieren, um das Volk Gottes zu befragen. Einbahnstraßenkommunikation von oben nach unten soll ein Ende nehmen. Das heißt nicht, dass Mehrheiten die Lehre bestimmen sollen, aber dass die Schere zwischen Lehre und Leben als Problem wahrgenommen wird.

Schüller: Entscheidend wird sein, ob der Papst es versteht, Menschen zu finden, die umsetzen, was er mit seinen Beratern bespricht. Ein warnendes Beispiel: Johannes XXIII. hat das Konzil angestoßen. Die Kurie wollte es verhindern, dann beeinflussen, dann wurde es nicht umgesetzt.

Ein Jahr Franziskus: Helmut Schüller, Sprachrohr der Pfarrerinitiative, und der an der Universität Wien lehrende Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück (v. l.) zu Gast in der Redaktion der ''Presse''.
Ein Jahr Franziskus: Helmut Schüller, Sprachrohr der Pfarrerinitiative, und der an der Universität Wien lehrende Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück (v. l.) zu Gast in der Redaktion der ''Presse''.Die Presse (Fabry)

Ist das nicht übertrieben?

Schüller: Jedenfalls ist die vatikanische Verwaltung nicht Vorhut der Umsetzung gewesen.

Besteht die Gefahr, dass Franziskus ein Mann der Worte und Gesten ist, denen wenig folgt? Dass er Projektionsfläche für Wünsche ist, ohne sie erfüllen zu können?

Tück: Franziskus hat, was Klima und Stil betrifft, viel erreicht. Außerdem hat er im Schreiben Evangelii gaudium programmatische Anstöße gegeben: Dezentralisierung, Stärkung der Ortskirchen, Vielfalt in der Einheit. Das ist für Bischöfe, die sich hinter Rom versteckt haben, neu. Inhaltlich rückt Franziskus die Barmherzigkeit ins Zentrum. Strukturelle Reformfragen müssen daran Maß nehmen.

Schüller: Ich stimme Ihnen zu, die Bischöfe sind ein Angelpunkt. Sie müssen ihre Rolle neu definieren. Zur Barmherzigkeit: Bei wiederverheiratet Geschiedenen sollten wir nicht nur von Barmherzigkeit sprechen, sondern auch von Gerechtigkeit. Ist es rechtens, sie unter die schweren Sünder einzureihen?

Der Glaubenskongregationschef Müller hat jüngst gemeint, die Kirche könne in der Frage ihre Lehre nicht ändern. Was erwarten Sie von der Bischofssynode?

Tück: Ich vermute, dass man zwischen Rigorismus und Laxismus einen Mittelweg beschreitet, der die Einzelfälle in den Blick nimmt. Die Kirche kann dieses Problem nicht handstreichartig lösen. Sie ist Weisungen Jesu verpflichtet: „Was Gott verbunden hat, kann der Mensch nicht trennen.“ Ich wünsche mir, dass die Synode im Sinn der Barmherzigkeit pastorale Lösungen findet.

Der genannte einzelfallbezogene Weg existiert ja seit Längerem.

Schüller: Der Papst warnt, die Eucharistie zum Instrument der Kirchendisziplin zu machen. Eucharistie ist Stärkung, und ich kann Eucharistie nicht erst dann feiern, wenn alles gelungen ist.

Tück: Die Teilnahme an der Eucharistie kann heilenden Effekt haben. Allerdings braucht es Bereitschaft zu Umkehr. Die Eucharistie als sichtbares Zeichen der Einheit empfangen zu wollen, ohne die zerbrochene Beziehung aufzuarbeiten, wäre auch schwierig.

Schüller: Es tut vielen weh, dass ausgerechnet bei dieser Menschengruppe ultrascharfe Kriterien angelegt werden. Es geht nicht um große Revolution. Es reicht ein angemessener Umgang mit Irregularitäten.

Muss Humanae vitae mit dem Nein zu künstlicher Empfängnisregelung neu formuliert werden?

Schüller: Auch hier ist jemand zu rehabilitieren. Menschen, die künstliche Empfängnisverhütungsmittel verwenden, sind nicht diejenigen, die sich der Zeugung des Lebens grundsätzlich verweigern. Tück: Der Grundgedanke, dass die Hingabe von Mann und Frau offen sein muss für die Weitergabe des Lebens, ist bleibend wichtig. Die Abkoppelung der Fortpflanzung von der Sexualität hat zu problematischen Entwicklungen geführt.

Sind die Botschaften von Franziskus schon in der österreichischen Kirche wirklich angekommen?

Tück: Der Grundimpuls des Franziskus Mission first stößt bei Kardinal Schönborn auf große Resonanz. Dass der Papst jeden Tag frei predigt und nicht langweilt, erwächst aus einer spirituellen Praxis, die er jedem Christen empfiehlt.
Schüller:
Ich sehe viel zu viel Zurückhaltung. Wenn Franziskus will, dass die Kirche den Menschen nahe ist, wird dieses Match an der Basis gespielt, wo die Gemeinden sind. Ich erwarte mir einen Vorstoß europäischer Bischofskonferenzen, in der Frage der Gemeindeleitung in Rom vorzusprechen, um Dinge ausprobieren zu können.

Tück: Das ist eine berechtigte Frage, wie Gestaltungsspielräume genutzt werden können. Wie kann die Vielfalt in der Einheit so gestaltet werden, dass sie nicht zu Ungehorsamkeitsinitiativen führt?

Überlegen Sie, den „Aufruf zum Ungehorsam“ zurücknehmen?

Schüller: Wir sind in der Situation, dass vieles, was wir ansprechen, salonfähig geworden ist.
Tück:
Übrigens warnt der Papst vor dem „Krieg unter uns“. Abrüstung der Rhetorik wäre wohl angezeigt.

Schüller: Wir haben es jetzt ein bisschen leichter. Die Kreise, die uns kritisiert haben, sehen im Papst den Ungehorsamen.

Zu den Personen

Helmut Schüller. Der Pfarrer von Probstdorf im Marchfeld hat eine abwechslungsreiche Karriere hinter sich. Die Stationen im Stakkato: Jugendseelsorger, Wiener Caritas-Chef, österreichweiter Caritas-Präsident (als Nachfolger Leopold Ungars), von Christoph Schönborn zum Wiener Generalvikar gemacht und wieder abberufen, heute Sprecher der Pfarrer-Initiative.

Jan-Heiner Tück. Der gebürtige Deutsche studierte in Tübingen und München Theologie. Seit 2010 ist der verheiratete Vater von vier Kindern Professor für Dogmatik an der Universität Wien. Er leitet die deutschsprachige Ausgabe der theologischen Zeitschrift „Communio“ – die im Jahr 1972 unter anderem von Joseph Ratzinger gegründet wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2014)

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