Der Flieger, der aus der Kälte kam: Von einem legendären Rätsel der Luftfahrtgeschichte

Eine Avro Lancastrian, diesfalls der BOAC, anno 1945
Eine Avro Lancastrian, diesfalls der BOAC, anno 1945R. A. Scholefield
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Im August 1947 verschwand die Star Dust, ein Flugzeug der British South American Airways, mit elf Insassen in den Anden östlich von Santiago de Chile. 51 Jahre später tauchte sie auf bizarre Weise wieder auf.

Der Tod muss jäh zugeschlagen haben wie eine steinerne Faust. Die Fluggäste hinten dürften nur noch einen gewaltigen Ruck als letzte Empfindung gespürt haben, bevor es für immer schwarz wurde. Vielleicht sahen die Piloten für ein, zwei Sekunden die Faust wie eine graue Wand vor dem Cockpit, doch mehr war da nicht, es herrschte Schneesturm, Sicht null. Das Ende kam blitzartig durch einen Riss in der Unsichtbarkeit – dann war Stille.

Am 2. August 1947 geschah in den Anden östlich von Santiago eines der bizarrsten Unglücke der Luftfahrtgeschichte: Eine viermotorige Avro Lancastrian der British South American Airways (BSAA) namens Star Dust verschwand auf dem Flug Buenos Aires– Santiago nur wenige Minuten vor der Landung. Um 17.41 Uhr hatte der Funker des Fliegers per Morsesignal die Landung schon für 17.45 angekündigt. Das Wetter war extrem schlecht (Schneesturm), schon zuvor, um 17 Uhr, hatte der Captain daher morsen lassen, dass er von 20.000 auf 24.000 Fuß (ca. 7300 Meter) aufsteige, um die Wolkenschichten zu überfliegen. Das Flugzeug kam indes nie an.

Suchaktionen in den Anden entlang der Flugroute, die dort gut 110 Kilometer breit und teils über 6000 Meter hoch sind, erbrachten nichts. Bald brodelten Gerüchte: Der Flieger sei gesprengt worden, liege im Gebirge und Goldmünzen rollten aus seinem Frachtabteil heraus. Vielleicht waren Nazis im Spiel. Oder Außerirdische: Der Funker hatte am Ende nämlich etwas Seltsames gemorst, aber dazu später.

Die Asche des Gatten im Gepäck

Ziviles Fliegen war damals noch etwas Besonderes. Die Lancastrian, entwickelt aus dem großen Lancaster-Bomber und für neun Fluggäste, flog mit bis zu ca. 500 km/h bei rund 7000 Metern Dienstgipfelhöhe. Die sechs Passagiere der Star Dust hatten interessante Hintergründe: Der Engländer Eric Gooderham (43) und der Schweizer Harold Pagh (41) waren befreundete Geschäftsleute. Casis Said Atallah (47) war ein nach Chile ausgewanderter Palästinenser, der sich auf dem Rückweg von seiner verstorbenen Mutter befand und angeblich einen Diamanten im Anzug eingenäht hatte.

Der Engländer Peter Young (41), Vertreter der Reifenfirma Dunlop, war einst Lehrer des rumänischen Prinzen Michael (*1921, König 1940–47). Martha Limpert (67) war eine Chiledeutsche, die mit ihrem Mann in Europa war, als der Krieg ausbrach, dort deswegen festsaß und erst jetzt heimreisen konnte – mit der Asche ihres Gatten in einer Urne. Paul Simpson (44) wiederum war King's Messenger: ein diplomatischer Bote mit geheimen Papieren für die britische Botschaft in Chile.

Captain der Lancastrian, einer an sich ungemütlichen Maschine, war Reginald Cook (29), mehrfach dekorierter Ex-Bomberpilot der Royal Air Force. Auch der erste und zweite Offizier waren Ex-RAF-Piloten, so wie überhaupt das Gros der Crews der 1945 gegründeten Fluglinie. Dann war da noch Dennis Harmer, der Funker (28), und Iris Evans (26), die Stewardess.

1947 herrschte dicke Luft zwischen Großbritannien und Argentinien, weil sich das Land als Zufluchtsort für (oft NS-belastete) Deutsche anbot. Deshalb und wegen des Diplomaten kam die Theorie auf, die Argentinier hätten eine Bombe gelegt. Oder wusste die Deutsche etwas, was es zu verheimlichen galt? Palästinenser wiederum sind als sinistre Figuren immer gut. Oder ging es um eine Industriefehde?

Eine unverständliche Morse-Meldung

Und dann war da das letzte Morsesignal von 17.41 Uhr: ETA Santiago 1745 hrs Stendec. Das bedeutete „Estimated Time of Arrival in Santiago 17.45“ – nur Stendec machte keinen Sinn. Der Lotse in Santiago ließ die Meldung zweimal wiederholen. Erneut kam Stendec, laut dem Lotsen hektisch gemorst. Die Bedeutung wurde nie geklärt, manche lasen es als Hinweis auf etwas Außerirdisches. Später nannte sich ein spanisches UFO-Magazin leicht abgewandelt „Stendek“.

1998 fanden Bergsteiger auf dem 6570 m hohen Vulkan Tupungato an der Grenze Chile/Argentinien 80 km östlich Santiagos etwas: Aus einem Gletscher in rund 4500 m Höhe aperten Maschinenteile, darunter ein Block mit der verstümmelten Aufschrift „olls-Royce“. Im Jänner 2000 fand eine Expedition, darunter argentinische Gebirgsjäger, weitere Teile wie Reifen und Propeller, sowie drei skelettierte Torsos, eine Frauenhand und einen Fuß in einem RAF-Stiefel.

Der Tupungato (Mitte) auf der Grenze Chile-Argentinien, von Süden gesehen
Der Tupungato (Mitte) auf der Grenze Chile-Argentinien, von Süden gesehenH.Brasse/FU Berlin

Star Dust war wieder da. Ihr dürfte folgendes passiert sein: Als sie höher stieg, geriet sie in ein damals noch weitgehend unbekanntes Phänomen: den Jetstream. Das sind extrem starke, schlauchförmige Höhenwinde in Ostrichtung mit definitionsgemäß mehr als 111 km/h Geschwindigkeit, in der Regel sind sie weit schneller, man maß sogar schon welche mit über 500 km/h. Man entdeckte sie erst, nachdem Flugzeuge in so große Höhen, um die 7000 Meter und mehr, aufsteigen konnten; erste Ahnungen davon hatten alliierte Bomberpiloten über Europa und dem Pazifik während des Zweiten Weltkriegs gewonnen.

Todesfalle Gegenwind

Nun konnte man weiters bis in die 1950er-Jahre die Fluggeschwindigkeit technisch bedingt nicht absolut (also in Bezug zum Boden), sondern nur relativ messen: Nämlich anhand der Geschwindigkeit, mit der die Luft den Flieger umströmt. Halbwegs absolute Messungen gelangen nur, falls man auf dem Boden bekannte Orte sehen und die Flugzeit dazwischen mit der Stoppuhr messen konnte, bei Schlechtwetter ging das natürlich kaum bis gar nicht.

Gegenwind also bremste Flugzeuge, ohne dass der Tachometer das damals anzeigte: Die fragilen Flugzeuge des I. Weltkriegs etwa waren im Extremfall sogar noch förmlich durch die Luft gekrochen wie Schnecken, ihr Tacho aber zeigte dennoch zum Beispiel 150 km/h; das war dann eben vor allem die Geschwindigkeit des Gegenwinds, der gleichzeitig für den Auftrieb der Flugmaschine sorgte, denn für diese ist es physikalisch gesehen ja egal, ob die auftreibende Luftströmung an den Tragflächen durch das vom eigenen Motor erzeugte "Voranschrauben" durch die Luft oder durch Gegenwind erzeugt wird.

Auch der Pilot jedenfalls spürt eine solche Verlangsamung durch Gegenwind kaum – und erkennt sie bei schlechter Sicht auch gar nicht.

Ein ausgeapertes Rad der Star Dust auf dem Gletscher, anno 2000
Ein ausgeapertes Rad der Star Dust auf dem Gletscher, anno 2000Fuerzas Armadas Argentinas

Star Dust wurde also vom Jetstream stark gebremst. Und als die Piloten dachten, die unter Wolken und Schneesturm unsichtbaren Berge schon überquert zu haben und in den Sinkflug gingen, waren sie noch mitten über den Anden. Star Dust knallte also in mehr als 5000 Metern Höhe in eine fast senkrechte Schneewand des Tupungato. Eine Lawine verschüttete das Wrack sogleich, es verschmolz mit dem Eis und wanderte darin verborgen im Laufe der Jahrzehnte hunderte Meter talwärts.

Eine rechte Unglückslinie

Und was ist mit Stendec? Der zugrundeliegende Morsecode aus Punkten und Strichen, auf den hier nicht näher eingegangen werden soll, erlaubt einige Deutungen, die realistischerweise annehmen, der Funker habe sich vertippt oder eine "unübliche" Meldung kreiert. Vielleicht steht es für STar Dust ENd DEsCent, aber eher war wohl das Gegenteil gemeint: „Starting Descent“, also die Einleitung des Sinkflugs, was auch am meisten Sinn macht. Der Morsecode dieser Botschaft nämlich transkribiert sich als Kürzel mit STR DEC und ist fast ident mit dem Code für STENDEC. Wenn nämlich der Code für "R" (.-.) auf bestimmte Weise missverständlich gemorst wird, nämlich mit einer trennenden Pause zwischen dem ersten Punkt und dem Strich, kann man ihn als die zwei Buchstaben "EN" lesen. 

Die BSAA, die 1950 mit der BOAC (British Overseas Airways Corporation) verschmolz, war überhaupt eine rechte Unglückslinie: 1946 stürzte ein Flugzeug in Gambia ab (24 Tote), und 1948/49 verschwanden zwei Avro Tudors mit gesamt 51 Insassen über dem Westatlantik bzw. der Karibik im Raum des später Bermudadreieck genannten Gebiets. Die hat man nie gefunden.

Das GletscherGrab

Am 2. August 1947 bohrte sich ein Flugzeug der British South American Airways mit elf Insassen auf dem Weg von Buenos Aires nach Santiago de Chile bei Schneesturm in einen Gletscher des Vulkans Tupungato (6570 m) in den Anden. Erst 1998 fanden Bergsteiger ausgeaperte Teile, anno 2000 barg man weitere Reste, etwa die noch luftgefüllten Reifen der Avro Lancastrian sowie Leichenteile.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2014)

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