Cornelius Gurlitt bricht Raubkunstfront auf

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Die Einigung mit dem Sammler ist „historisch“: Er gibt Bilder freiwillig zurück, und der deutsche Staat sucht aktiv nach rechtmäßigen Besitzern. Ein Vorbild: Österreich.

Der kauzige Herr mit den weißen Haaren ist immer für Überraschungen gut. Vor fünf Monaten machte der 81-jährige Cornelius Gurlitt in aller Welt Schlagzeilen: Der Sohn eines der wichtigsten Kunsthändler Adolf Hitlers hatte jahrzehntelang sein Erbe wie einen geheimen Schatz gehütet. Rund 600 der 1280 in seiner Schwabinger Wohnung gefundenen Kunstwerke stehen unter Raubkunstverdacht. Vor Kurzem versprach Gurlitt, er wolle Bilder an die jüdischen Besitzer zurückgeben. Und am Montag verkündeten die deutsche Regierung und der Freistaat Bayern stolz eine Einigung mit Gurlitt: Eine vom Staat eingesetzte Taskforce wird ein Jahr lang die Provenienz der Werke prüfen, Gurlitt wird ihre Entscheidung akzeptieren. Als „hoffnungsvollen Präzedenzfall“ würdigte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S.Lauder, die Einigung. Die Grünen kritisierten indessen im Bundestag, dass die Einigung zu spät komme.

Journalist Stefan Koldehoff, einer der führenden Raubkunstexperten Deutschlands und Autor des Buchs „Die Bilder sind unter uns“, zollte Gurlitt vor Journalisten Respekt dafür, dass er sich freiwillig dazu durchgerungen hat: „So etwas hat man nicht von vielen anderen gehört. Niemand konnte Gurlitt zwingen, seine Schätze aufzugeben. Die Verjährungfrist ist längst abgelaufen.“

Staatsanwälte haben entschieden

Nach Koldehoffs Überzeugung hat auch die Staatsanwaltschaft, die Gurlitts Sammlung schon 2011 wegen des Verdachts auf Steuerbetrug und Hehlerei konfisziert hatte, nichts in der Hand – „sonst hätte sie ihn längst angeklagt“. Deshalb habe die Staatsmacht nach einer „Exit-Strategie“ gesucht, bei der alle das Gesicht wahren – und Gurlitt habe die Hand ausgestreckt.

Ob diese Deutung stimmt, wird sich heute, Mittwoch, weisen, wenn die Staatsanwaltschaft Augsburg ihre Entscheidung im Strafverfahren bekannt gibt. Nur so viel verrät sie vorab: Einen Deal – Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Rückgabe der Bilder – habe es nicht gegeben, die zeitliche Nähe der beiden Ereignisse sei Zufall. Auch ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums betonte: „Wenn es zu keiner Einigung kommt, gibt es den Zivilrechtsweg.“

Salzburger Fund ist nicht betroffen

Noch einen Haken hat die schöne Geschichte: Die Salzburger Bilder bleiben außen vor. Dabei hätten sich die in einem verwahrlosten Häuschen im Salzburger Stadtteil Aigen deponierten 238 Kunstwerke – darunter Ölgemälde von Picasso, Monet, Renoir und anderen Großen – als der „weitaus bedeutendere“ Sammlungsteil erwiesen, erklärte Koldehoff der Auslandspresse in Berlin. Der Schwabinger Fund sei zwar umfangreicher, enthalte aber viele minder wertvolle Drucke. Die von „Focus“ stammende Charakterisierung als „Milliardenschatz“ sei „völliger Blödsinn“. Auf die Salzburger Werke haben deutsche Ermittlungsbehörden jedenfalls keinen Zugriff. Deren Amtshilfeverfahren lehnten die österreichischen Kollegen ab, weil sie selbst keinen Verdacht auf Steuerbetrug oder Hehlerei hegen. Gurlitt selbst will auch seinen österreichischen Schatz prüfen lassen, aber nur in Eigenregie.

Die deutsche Lösung nannte Kulturstaatssekretärin Monika Grütters „historisch“. Und das ist sie auch, befand Kunstfahnder Clemens Toussaint im Deutschlandfunk. Dass der Staat als Treuhänder für Private fungiert, die Aufklärung finanziert und aktiv nach Nachfahren der rechtmäßigen Besitzer sucht, sei völlig neu. Nun solle er das auch für die öffentlichen Museen tun, wozu er sich – zusammen mit 43 anderen Nationen – in der Washingtoner Erklärung von 1998 verpflichtet hat. Doch seitdem ist wenig passiert, resümiert Koldehoff: Den meisten Museen fehlen die Mittel für Provenienzforschung, so manche Direktoren pflegen auch „Besitzstandsdenken“ und wollen einen „Schlussstrich unter die Geschichte“ ziehen.

Eine Schlichtungskommission für Streitfälle ist zwar prominent besetzt, mit Ex-Bundespräsident von Weizsäcker und Ex-Bundestagspräsidentin Süssmuth, leide aber an einem „Geburtsfehler“, sagt Koldehoff – beide Seiten müssen ihrer Anrufung zustimmen. So ist sie erst zehn Mal aktiv geworden, „Streitfälle gibt es aber viel mehr“. Als Vorbild könnten die Niederlande dienen – und Österreich. Denn hierzulande gilt seit 1998 ein Gesetz, „das weit über das ,soft law‘ der Washingtoner Erklärung hinausgeht“.

Kommission auch für Private?

Die österreichische Kommission für Provenienzforschung prüft in den Bundesmuseen, so wie die Gurlitt-Taskforce auch, ohne Antrag von Betroffenen. Ihre Berichte werden veröffentlicht, die Regierung setzt Empfehlungen um. Ein Manko findet Koldehoff aber auch hier: Die Sammlungen von Ländern und Gemeinden prüft die Kommission nicht, „da gibt es zu viel Föderalismus“.

Dass auch private Sammler auf solche Weise unterstützt werden können, sollten sich die Österreicher nun von den Deutschen abschauen. Bedarf gäbe es dafür genug, meint Koldehoff. Viele hätten den Verdacht, „dass Opa damals nicht koscher gehandelt hat“, und möchten Werke „zurückgeben, wenn etwas nicht in Ordnung ist“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2014)

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