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Russischer Schriftsteller Lebedew: „Wir sind keine große Kultur mehr!“

„Wir haben viel Zeit verloren“: Sergej Lebedew im Hotel Kaiserhof in Wien.
„Wir haben viel Zeit verloren“: Sergej Lebedew im Hotel Kaiserhof in Wien.Jana Madzigon
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Der in Deutschland lebende russische Schriftsteller, Sergej Lebedew, spricht über die Versäumnisse seines Landes bei der Aufarbeitung der eigenen totalitären Vergangenheit. Und er erklärt, warum er kein Problem mit dem Fall „kolonialer“ Puschkin-Statuen hat. Russische Intellektuelle sollten sich in Selbstreflexion üben, anstatt zu jammern.

Russland bereitet sich auf einen langen Krieg vor. Was kann Wladimir Putin aufhalten?

Ich weiß es nicht. Es ist kompliziert. Wir haben jetzt eine Marktwirtschaft, zwar mit hohem Staatsanteil, aber dennoch gibt es Unternehmer, die diese Ökonomie viel widerstandsfähiger machen als einst die Sowjetwirtschaft. Auch verlässt sich Putin nicht mehr nur auf die ideologische Mobilisierung wie die Sowjetmacht. Er kann auf die politische Apathie der Bevölkerung zählen. Diese Apathie wird oft unterschätzt. Sie ist eine extrem wichtige Ressource.

Gibt es keine roten Linien?

So lange die Menschen nicht direkt betroffen sind, tun sie so, als würde nichts passieren. Als ich einst beim Geiseldrama von Beslan war, Putin Verhandlungen ablehnte und die 300 Geisel faktisch zum Tode verurteilte, dachte ich, das wäre die rote Linie, das Land wird das nicht schlucken. Das Land schluckt das alles hinunter. Putin ist ein Meister im Umdrehen von potenziell schädlichen Situationen zu seinem Vorteil. Beslan war ein politisches Desaster. In jedem anderen Land wäre die Regierung zurückgetreten. Ein paar Monate später befahl er, die regionalen Gouverneurswahlen abzuschaffen. Das System ist sehr langlebig.

Das klingt sehr pessimistisch.

Wie kann man das Fenster öffnen, damit Frischluft reinkommt? Ich weiß es nicht. Wir glauben immer, dass es eine Lösung gibt, eine Antwort. Es gibt jetzt keine Antwort. Es wird ein langwieriger Krieg, ein Abnutzungskrieg. Ich hoffe, dass die Ukraine ihre Territorien zurückerobern und ihre Grenzen sichern wird. Aber diese Grenzen sind zu lang. Niemand kann sie verteidigen. Die Schlüssel zur Lösung der Situation liegen noch immer in Moskau.

Noch einmal zurück zu den roten Linien. Als Schriftsteller beschäftigen Sie sich viel mit den ungesühnten Verbrechen der Vergangenheit in Russland. Liegt hier ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart?

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