Beeinflussung

EU-Wahl: Experten sehen große Fake News-Gefahr

Desinformationsexperte Güllner sieht eine weniger massive Beeinflussung als in den vergangenen Jahren, aber „wir bereiten uns vor“. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten befeuern die Informationsflut auf Social Media.

Die Gefahr, dass die Europawahlen 2024 durch Fake News manipuliert werden, wird von Experten als groß eingeschätzt. Allerdings gebe es auch die „relativ gute Nachricht, dass wir die massive Beeinflussung“ wie noch bei der US-Wahl 2016 „in dieser Form zumindest nicht mehr sehen. Das heißt aber nicht, dass die Gefahr gebannt ist“, sagte Lutz Güllner, Leiter der Abteilung für Strategische Kommunikation im Auswärtigen Dienst der EU, am Montagabend bei einer Diskussion in Wien.

„Wir bereiten uns vor“, versicherte der deutsche EU-Beamte bei der von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) und dem Forschungsnetzwerk „Trans European Policy Studies Association“ veranstalteten Diskussion. Ziel sei es, Desinformationen umfassend aufzudecken und darauf reagieren zu können. Dafür müsse die EU in diesen Bereich immer weiter investieren. Letztlich sei dies eine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht durch Regierungen alleine zu lösen wäre.

Neue Taktik: Nachgebaute Nachrichtenseiten

Vor einigen Monaten habe sein Team eine neue Taktik aufgedeckt, die insbesondere Russland zur Desinformation benutze, sagte Güllner. Diese bestehe im Klonen von Websites, bei denen Medien wie der „Guardian“ oder der „Spiegel“ exakt reproduziert, Inhalte verändert und dann massiv geteilt werden. Für Laien seien solche Fälschungen nicht zu unterscheiden. Güllner warnt jedoch: „Desinformation ist nicht nur ein Problem der Sozialen Medien.“ Auch Thinktanks und Nicht-Regierungsorganisationen seien Ziel von Desinformationskampagnen, vermeintliche Info-Plattformen würden gegründet, „um so viel Lautstärke wie möglich zu bekommen“.

Desinformationsanalyst Dietmar Pichler sieht die Europawahl als „große Herausforderung, angefeuert durch den Krieg in der Ukraine“. So seien die Sanktionen gegen Russland ein europäisches Thema, und Russland versuche über die rechten Parteien Einfluss zu nehmen. „Es wird noch schlimmer“, so Pichler. In den USA sei die Ukraine-Hilfe mittlerweile ein großes Streitthema, man sehe bereits Desinformation von Influencern in den Vereinigten Staaten. Gerade die EU-Wahl und der russische Angriffskrieg in der Ukraine seien komplexe Themen, wo „ein Übermaß an Desinformation mit einem Informationsmangel kollidiert“, so der Experte.

Schieder fordert „Offenlegung der Algorithmen“

„Das Problem ist viel größer, als uns bewusst ist“, warnte auch der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Andreas Schieder. Dies habe sich im Europaparlament im Rahmen der Arbeiten des Sonderausschusses zu Einflussnahme aus dem Ausland (INGE) gezeigt. Durch den brutalen Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel und den Gaza-Krieg habe das Thema „eine weitere Dimension bekommen“. „Es braucht eine Offenlegung der Algorithmen“, forderte Schieder eine strengere Regulierung der Sozialen Medien. Mit dem Ende August in Kraft getretenen Digital Service Act (DSA) habe die EU zwar erstmals eine Handhabe zum Löschen von Fake News, dies sei aber „nicht genug“.

Es gebe einen strukturellen Grund, warum sich Lügen besser verbreiten würden als die Wahrheit, und dies sei der Algorithmus, betonte auch die Journalistin und Autorin Corinna Milborn. Auch sie hält die Gefahr von Desinformation bei der Europawahl für „sehr groß, sie wächst exponentiell“. Die technischen Möglichkeiten würden zunehmen, Plattformen wie TikTok seien nicht reguliert, und geopolitische Krisen in der Ukraine und Nahost würden mit dem Aufschwung der neuen Rechten in den USA zusammenfallen, die Soziale Medien einsetzten, um Vertrauen in die Demokratie zu zerstören. „Wir stehen vor einer großen Desinformationsmaschine und haben keine Instrumente in der Hand“, so Milborn.

In der Ukraine hat der „Desinformationskrieg 2014 begonnen“

Die am Berliner Institut für Europäische Politik forschende Ukrainerin Ljudmyla Melnyk sagte, Russland versuche über Desinformationskampagnen staatlicher Medien eine neue Realität zu schaffen. Letztlich wolle Moskau der Ukraine „die Subjekthaftigkeit rauben“, also jede Eigenstaatlichkeit vernichten. Dass die Nato dabei als Bedrohung für Russland dargestellt werde, sei nur „eine Kulisse“. Für die Ukraine habe „der Desinformationskrieg 2014 begonnen“, dem Jahr der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion durch Russland. Als hinderlich bezeichnete Melnyk, dass in der westlichen Öffentlichkeit nur wenig Wissen über die Geschichte der Ukraine vorhanden sei. Sie kritisierte auch die langen Diskussionen in Deutschland über Waffenlieferungen an Kiew.

Sogenanntes „Debunking“, also direktes Entlarven von Fake News, müsse gemacht werden, sagte Güllner. „Aber der Faktencheck hat ein Problem“, so der Experte. „Er ist immer in der Defensive.“ (APA)

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