Antisemitismus

Putin macht den Westen für antijüdische Gewaltwelle in Russland verantwortlich

Wladimir Putin bei seiner Rede.
Wladimir Putin bei seiner Rede.Reuters / Sputnik
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Putin bezichtigt „US-Eliten“ und die Ukraine, hinter den gewaltsamen Protesten im Nordkaukasus zu stehen. Von einer Verantwortung Russlands will er nichts wissen.

Der russische Präsident Wladimir Putin macht für die antisemitischen Angriffe im Nordkaukasus die Ukraine und den Westen verantwortlich. Die westlichen Geheimdienste und das „Kiewer Regime“, wie Putin stets die demokratisch gewählte ukrainische Regierung nennt, seien mitverantwortlich für die Erstürmung des Flughafens in der russischen Kaukasusrepublik Dagestan durch einen antiisraelischen Mob. „Sie versuchen Pogrome in Russland zu inspirieren“, sagte Putin bei einer Sitzung vor Mitgliedern seines Sicherheitsrates, der Regierung und den Chefs von Sicherheitsbehörden.

Zuvor waren bei beispiellosen antijüdischen Gewaltexzessen vor dem Hintergrund des Gaza-Konflikts in Russlands muslimisch geprägtem Nordkaukasus etwa 20 Menschen verletzt worden. Ein Mob drang in der Teilrepublik Dagestan in den Flughafen der Hauptstadt Machatschkala ein, als dort am Sonntag ein Flugzeug aus Israel ankam. Mit seiner Reaktion schob Putin die Verantwortung für den Exzess weit von sich weg. Beweise für seine Schuldzuweisungen legte er keine vor.

„Spaltung der russischen Gesellschaft“

Vor dem Hintergrund der Fernsehbilder von dem „Horror“ im Gazastreifen sei es „sehr leicht, die Situation zu missbrauchen, dies zu provozieren, die Leute aufzubringen“, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow zuvor kommentiert. Es sei offensichtlich, dass die Ausschreitungen durch Einmischung aus dem Ausland verursacht worden seien. Es gehe um „die Versuche des Westens, die Lage im Nahen Osten dazu zu nutzen, eine Spaltung der russischen Gesellschaft herbeizuführen“. Peskow erinnerte daran, dass der Präsident in der vergangenen Woche vor dem Hintergrund möglicher Spannungen zwischen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen die religiösen Führer Russlands zusammenbrachte. Dabei rief Putin mit Blick auf die Lage im Nahen Osten zu einem friedlichen Miteinander auf.

Nach den anti-israelischen Ausschreitungen in Dagestan hat Israels Präsident Isaac Herzog die Vorfälle mit einem „Pogrom“ verglichen. „Es war wie ein Pogrom“, sagte der Staatschef in einem Interview mit „Bild“, Welt-TV und „Politico“. Die Ausschreitungen auf dem Flughafen von Dagestans Hauptstadt Machatschkala seien „schockierend“ und „äußerst beunruhigend“. „Gott sei Dank wurde es am Ende von den Behörden verhindert, aber es sah wie ein Pogrom aus“, sagte Herzog. „Ich bin froh, dass die russischen Behörden eingegriffen und die Kontrolle übernommen haben und die Menge, die die unschuldigen Zivilisten im Flugzeug bedrohte, vertrieben haben.“

Putin bei der Sitzung des Sicherheitsrates am Montagabend.
Putin bei der Sitzung des Sicherheitsrates am Montagabend.Reuters / Sputnik

Nach Herzog sprachen auch die USA von einem Pogrom. Die Geschehnisse in Dagestan würden von manchen „mit den Pogromen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verglichen“, sagte am Montag der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Kirby. „Ich denke, dass ist vermutlich eine angemessene Beschreibung.“

Kiew: Antisemitismus der russischen Eliten

Die Ukraine hat russische Vorwürfe zurückgewiesen, die antisemitischen Exzesse in Dagestan angestachelt zu haben. „Die Vorgänge in Machatschkala spiegeln den tief verwurzelten Antisemitismus der russischen Eliten und Gesellschaft wider“, schrieb der ukrainische Außenamtssprecher, Oleh Nikolenko, am Montag bei Facebook. Moskau versuche mit seinen Vorwürfen gegen Kiew nur, die Verantwortung abzuschieben. Der Aufruhr sei vielmehr Folge der „russischen Staatspropaganda, die jahrzehntelang unter den Russen das Gefühl von Hass gegen andere Völker kultivierte“.

Der dagestanische Republikchef Sergej Melikow verurteilte die Gewalt gegen die schutzlosen Passagiere aus Tel Aviv. An Bord der Maschine sollen 45 Passagiere gewesen sein, darunter 15 Israelis. Es seien Frauen mit Kindern, die in Israel zur medizinischen Behandlung gewesen seien, grundlos beschimpft und angegriffen worden, sagte Melikow, der den Flughafen aufsuchte.

Die Gewalt sei durch nichts zu rechtfertigen, auch wenn das Leid der Opfer durch die Gewalt in den palästinensischen Gebieten die Menschen aufwühle. „Alle Dagestaner beten für Frieden in Palästina“, sagte Melikow. Zugleich stellte sich auch die islamische Geistlichkeit der Region gegen die Gewalt: „Der Antisemitismus hat keinen Platz im multiethnischen Nordkaukasus.“

Protest-Aufrufe in Telegram-Kanälen

Melikow warf den „Feinden“ Russlands vor, zu den Protesten in Dagestan aufgerufen und die Menschen zur Gewalt angestachelt zu haben. Er sprach von solchen Aufrufen in proukrainischen Kanälen bei Telegram. Russland, das seit mehr als 20 Monaten einen zerstörerischen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, wirft Kiew immer wieder Versuche vor, die Lage im Land zu destabilisieren. Nach Auffassung des russischen Machtapparats will die Ukraine so erreichen, dass Moskau seine für die Invasion in dem Nachbarland genutzten Ressourcen umleiten muss.

Die Übergriffe hatten international Bestürzung ausgelöst. Es gab laut Behörden rund 60 Festnahmen. Unter den Verletzten sind auch Polizisten. Israel und die USA verurteilten die Ausschreitungen. Die deutsche Regierung forderte von Russland, die Sicherheit jüdischer Bürger zu gewährleisten. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) meldete sich auf Twitter (X) zu Wort: „Die Bilder vom Flughafen Machatschkala in Dagestan sind zutiefst erschreckend. Sie erinnern uns an die dunkelsten Zeiten.“ Auch in anderen muslimisch geprägten Regionen im Nordkaukasus gab es gegen Juden gerichtete Aktionen. Flüge aus Tel Aviv wurden nun auf andere russische Airports in sicheren Regionen umgeleitet.

Putins antikoloniale Inszenierung

Der Politikwissenschafter Gerhard Mangott sagte Montagabend in der ZiB2 des ORF bezüglich des antijüdischen Mobs am Flughafen von Machatschkala, dass Dagestan eine der wirtschaftlich schwächsten Regionen Russlands sei, die gleichzeitig demografisch stark wachse und perspektivlose Jugendliche hervorbringe, die empfänglich für salafistische Strömungen seien. Eine Einmischung des Westens sah er keine, vielmehr machte er Moskau für die schlechte Sicherheitslage der rund 1500 Juden in Dagestan verantwortlich. Beim Nahostkonflikt mache der Kreml eine Gratwanderung, da er einerseits nicht die Beziehungen zu Israel, das nicht bei den westlichen Sanktionen mitgemacht habe, beschädigen wolle, andererseits wolle Putin aber „Leader des globalen Südens“ sein und antiwestliche Ressentiments schüren.

An der Ausweitung der Kämpfe in Nahost habe Putin durchaus Interesse, so Mangott, da, je länger der Krieg dauere, desto mehr trete Israel in Konkurrenz zur Ukraine bezüglich westlicher Unterstützung. Außerdem könnten die USA ihren Fokus mehr auf Israel legen, betonte Mangott. In der Ukraine sei Russland nicht zu einer Großoffensive fähig, vielmehr reiche es nur für kleinere Vorstöße im Osten, welche aber immer wieder abgewehrt würden. Auch die Sommeroffensive Kiews sei nur „bedingt erfolgreich“ gewesen, sagte Mangott, dazu komme nun das schlechte Wetter, welches die Situation für die ukrainischen Verteidiger zusätzlich erschwere. Bezüglich des Stopps der russischen Gaslieferungen durch die Ukraine ab 2025 meinte der Politikwissenschafter, dass sich Kiew es sich nicht leisten könne, europäische Länder von der Energiezufuhr abzuschneiden, vor allem unter dem Aspekt eines möglichen EU-Beitritts. Mangott plädierte diesbezüglich zu einer Vereinbarung ähnlich dem Getreideabkommen. Ansonsten drohe hierzulande eine ernst zu nehmende Krise. (ag./red.)

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