Militärpolitik

Deutschland soll „militärisches Rückgrat Europas“ werden

Deutsche Soldaten bei der Ausbildung im Gebirge
Deutsche Soldaten bei der Ausbildung im GebirgeBundeswehr
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Im Zuge der neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien 2023“ soll das erschlaffte deutsche Militär regeneriert und zu einem mächtigen Abschreckungsinstrument gemacht werden, das wieder „richtig“ Krieg führen kann.

Deutschland will sein nach Jahrzehnten der Abrüstung, Vernachlässigung und politmedialer Herabwürdigung erschlafftes Militär aufbauen und zu einem der stärksten Pfeiler bei der Abschreckung und kollektiven Verteidigung Europas machen: Dieses Ziel sprach Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zunächst in einem Beitrag für die Berliner Zeitung Tagesspiegel in der Donnerstagsausgabe an.

Laut Pistorius habe der russische Angriff auf die Ukraine eine reale militärische Bedrohung geschaffen, wodurch die Rolle Deutschlands und der Bundeswehr fundamental verändert worden sei. Der Kommentar erschien kurz vor dem Erscheinen der neuen deutschen Sicherheitsstrategie, den „Verteidigungspolitischen Richtlinien 2023“, am selben Tag. Zuletzt war so ein Dokument 2011 erschienen, als Deutschland die allgemeine Wehrpflicht für männliche Bürger aufhob.

Pistorius schrieb, er wolle Deutschland zum „Rückgrat“ der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa machen. Die Bundeswehr werde künftig einen Krieg auch wirklich führen können und zunächst eine komplette Brigade (rund 3500 bis 5000 Mann) dauerhaft in Litauen stationieren.

Die Zeitenwende und ihre Einsichten

Das Papier, das jenes von 2011, das „Weißbuch“ 2016 sowie die Konzeption der Bundeswehr von 2018 ablöst, soll die militärisch-politische „Zeitenwende“ näher erläutern, die SPD-Kanzler Olaf Scholz als Chef einer Koalition mit Grünen und FDP nach Kriegsbeginn im Vorjahr beschrieben hatte. In diesem Zusammenhang wurde sogar ein Sonderinvestitionspaket in Höhe von 100 Milliarden Euro für die deutschen Streitkräfte beschlossen.

Deutschland, gegen Ende des Kalten Krieges auch lagebedingt eine der stärksten europäischen Nato-Mächte, hat nach dem Ende des Ostblocks Anfang der 1990er zwar militärtechnisch weiter zugelegt, aber enorm viel an militärischer Masse, Motivation und Mannstärke verloren. Das war natürlich ein Phänomen, das fast alle europäischen Nato-Streitkräfte erleben mussten.

1983 war die Bundeswehr der BRD noch etwa 500.000 Mann stark, mit mehr als 1,2 Millionen Mann Mobilisierungsstärke. Es gab beispielsweise mehr als 4000 Kampfpanzer, über 500 Kampfflugzeuge und 24 U-Boote. Aktuell zählen die Streitkräfte des wiedervereinten Deutschlands mit seiner weit größeren Bevölkerung als damals etwa 180.000 Mann und zwar etwa 930.000 Reservisten, von denen aber im Mobfall wohl weniger als 100.000 wirklich in Frage kämen. Das Heer hat nur noch rund 330 Kampfpanzer, die Luftwaffe ca. 220 Kampfflugzeuge, in der Unterwasserflotte der Marine sind gerade noch sechs U-Boote. Insgesamt gilt die Bundeswehr als derzeit recht schwächlich; manch kleineres Nato-Land dürfte eine größere Kampfkraft haben, etwa Polen, Griechenland.

Bürokratie und Gendern statt Einsatzbereitschaft

Ein im Ländervergleich überdurchschnittlich großer Teil von Großwaffen wie Panzer, Kampfhubschrauber und Artillerie ist aus allerhand Gründen nicht sofort einsatzbereit und leidet (zuletzt speziell der überzüchtete Kampfschützenpanzer Puma) an vielen Defekten. Zudem bremst enorme Bürokratie den Militärbetrieb, in dessen Rahmen man sich vielen Kritikern zufolge auch mehr um Gendern, Umweltschutz und die Integration von Frauen kümmere statt um das „echte Militärwesen“, Einsatzbereitschaft und reale Kampfkraft.

Leopard-Kampfpanzer im scharfen Schuss.
Leopard-Kampfpanzer im scharfen Schuss.Bundeswehr/Mario Bähr

Ein kurzer Flug über die Zusammenfassung der neuen deutschen Strategie ergibt etwa, dass die Bundeswehr „in allen Bereichen kriegstüchtig sein“ müsse. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, formuliert: „Auf ihrer Grundlage formen wir ein neues gemeinsames Selbstverständnis von Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit.“

Endlich wieder wehrhaft sein wollen

Es brauche „jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht. Nur so wird Abschreckung glaubwürdig und Frieden gewährt“. Maßnahmen zur Abschreckung potenzieller Gegner jeder Art werden auch außerhalb Deutschlands im Bündnisgebiet und in allen Dimensionen ergriffen werden. In diesem Sinne sei etwa die Brigade in Litauen zu sehen: „Vornepräsenz wird künftig für die Angehörigen der Bundeswehr die Norm. Diese neue Rolle ist Ausdruck der strategischen Neuorientierung der Bundeswehr.“ In den Richtlinien bekennt man sich auch zur Teilhabe an „glaubhafter nuklearer Abschreckung“.

Ein Konzept der „Gesamtverteidigung“, das wohl jenem der einstigen „Umfassenden Landesverteidigung“ in Österreich entspricht, will militärische und zivile Verteidigung koppeln und mit der Wirtschaft verzahnen. Es benötige ein glaubhaftes Verständnis für Wehrhaftigkeit. Dazu gehörten auch etwa verbesserte Rahmenbedingungen für die Rüstungsindustrie und deren Ausbau. Näher wird das freilich nicht erklärt, ebenso wie vieles andere, etwa ob neue Einheiten aufgebaut werden, das Militär generell vergrößert und Material neu beschafft wird. Immerhin werden dauerhafte Militärausgaben in Mindesthöhe von zwei Prozent des BIP angestrebt, was in der Nato als (unverbindliche) Richtmarke gilt, aber weiterhin nur wenige Staaten erfüllen.

Weiterhin werden militärische Aktionen und Stationierungen etwa im östlichen Mittelmeer, in Afrika und Nahost betont. Besondere Bedeutung komme dabei dem Existenzrecht Israels zu: „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.“

>>> Link zu den neuen Richtlinien

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