Gastkommentar

Das Wort „aber“ und der Nahostkrieg

Peter Kufner
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Ich verurteile den Terror der Hamas. Nichts in diesem Text ist dazu angedacht, deren Gräueltaten zu rechtfertigen.

Es ist schwierig, über den Krieg im Nahen Osten zu schreiben. Vor über vier Wochen wurden 2,3 Millionen Menschen in Gaza Wasser und Strom abgedreht, wurde die Einfuhr von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff zumindest teilweise blockiert.

Ich möchte dazu einen einfachen Standpunkt formulieren, doch die Situation muss in einen Kontext gestellt werden: Die Belagerung Gazas ist die Reaktion Israels auf den fürchterlichen Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober, bei dem mindestens 1400 Menschen ermordet und über 240 verschleppt wurden. Es ist nachvollziehbar, dass Israel zurückschlägt.

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Seit über vier Wochen wird Gaza ohne Unterlass bombardiert. Über 6000 Raketen waren es in den ersten sechs Tagen. Den Zivilisten ist keine Flucht möglich, sämtliche Grenzen sind bis auf wenige Ausnahmen abgeriegelt.

Terrorattentate verurteilen

Ich möchte dazu einen einfachen Standpunkt formulieren, doch vorab gilt es, die Terrorattentate zu verurteilen: Dies ist so selbstverständlich, dass es eigenartig anmutet, es überhaupt niederzuschreiben. Als würde man Massenmord gutheißen, wenn man nicht explizit dagegen Position bezieht.

Ich verurteile den Terror der Hamas. Nichts in diesem Text ist dazu angedacht, deren Gräueltaten zu rechtfertigen.

Das Ausmaß der israelischen Bombardements übertrifft selbst die intensivsten Angriffswellen, die zum Beispiel die USA 2017 gegen den IS im Irak geflogen sind. Die Raketen schlagen in einem Streifen Land auf, der zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Welt zählt. Seit Beginn der Bombardements sind in Gaza über 10.000 Menschen ums Leben gekommen.

Ich möchte durchdrehen, doch auch hier gibt es einen Kontext anzufügen: Die Opferzahlen sind so hoch, da die Hamas ihre militärischen Einrichtungen in Wohngebieten versteckt und Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht. Außerdem ist die Zahl der Todesopfer kritisch zu hinterfragen, da Gazas Gesundheitsbehörde unter Hamas-Kontrolle steht.

Es ist offensichtlich: Wer in der aktuellen Debatte auf das Massensterben und die katastrophale Situation der Zivilisten in Gaza hinweisen will, kann sich der Relativierungen kaum erwehren. Ein paar weitere Beispiele:
• Israel hat das Recht, sich zu verteidigen.
• Die israelische Luftwaffe alarmiert Bewohner, bevor die Bomben einschlagen.
• Es ist ein Unterschied, ob Menschen Opfer eines Terrorangriffs werden oder ihr Tod unter Kollateralschaden fällt.
• Die Palästinenser hätten längst gegen die Hamas revoltieren sollen.

Die angeführten Argumente illustrieren, wie selbstverständlich es ist, Tausende zivile Opfer in einen Kontext zu setzen. Die israelische Perspektive stets mitzu-kommunizieren ist gewissermaßen der Standardmodus der Debatte. Andernfalls ist man schnell Hamas-Versteher oder Antisemit. Das kann man auch bei Greta Thunberg sehen, nachdem sie „Stand with Gaza“ in die Kamera gehalten hat. Zentraler Vorwurf: Über den Terror der Hamas verlor sie kein Wort.

Ebenso sah sich die deutsche Regierung Kritik ausgesetzt, nachdem sie sich bei der Verabschiedung einer UN-Resolution der Stimme enthalten hatte: Deutschland hätte dagegen stimmen sollen, da in der Verurteilung „jeglicher Gewalt gegen israelische und palästinensische Zivilisten“ die Hamas nicht beim Namen genannt wurde.

Die hier umrissene Ausrichtung des Diskurses verdichtet sich in der Zurückweisung des Wortes „aber“: Nach dem Terrorangriff proklamierte der deutsche Kanzler, Olaf Scholz, volle Solidarität mit Israel und hielt fest: „Jedes ‚Ja, aber‘ ist fehl am Platze.“ Die „NZZ“ verkündete allgemein, „beim Thema Israel darf es kein ‚Ja, aber‘ geben“, „FAZ“ und „Tagesspiegel“ titelten sinngemäß.

„Ich habe die Nase so gestrichen voll, von diesem ‚Ja, aber‘! [...] Es gibt kein ‚ja, aber‘, Israel hat das Recht, sich zu wehren“, betonte die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende, Strack-Zimmermann.

Sind übers Ziel geschossen

Der Eklat im Zuge der Eröffnungsrede Slavoj Žižeks bei der Frankfurter Buchmesse passt ins Bild: Žižek konstatierte ein „Analyseverbot“ in Bezug auf die Hintergründe des Nahost-Konflikts. Er verurteilte die Hamas deutlich, doch kritisierte auch die Regierung Israels. Während seiner Rede kam es zu Zwischenrufen, mehrere Spitzenpolitiker verließen den Saal. Der hessische Antisemitismusbeauftragte trat zwischendurch auf die Bühne und unterbrach Žižek. Direkt nach dem Vortrag verkündete die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels: „Mit einer Ablehnung des Wortes ‚aber‘ eröffne ich die 75. Frankfurter Buchmesse.“

Wir sind übers Ziel hinausgeschossen. Die Einseitigkeit in der Debatte erschwert es, humanistischen Standpunkten Gehör zu verschaffen.

Ja, es darf kein „aber“ bei der Verurteilung des Hamas-Terrors geben. Das Gleiche gilt für Israels Existenzrecht und die Ablehnung von Antisemitismus.

Doch erfordert Israels Kriegsführung ein kolossales „aber“. Selbst wenn man alle Argumente einbezieht, welche Israels Vorgehen erklären, relativieren und kontextualisieren, ist das Leid, das über die palästinensische Zivilbevölkerung gebracht wird, nicht zu rechtfertigen.

Israel ist an das humanitäre Völkerrecht gebunden, das zur größtmöglichen Schonung der Zivilbevölkerung verpflichtet. Das Ausmaß der Bombardements sowie die wochenlange Blockade lebenswichtiger Versorgung zeigen, dass von einer „Schonung“ nicht die Rede sein kann.

Der einfache Standpunkt, den ich dazu formulieren möchte: Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Doch was in Gaza geschieht, ist die kollektive Bestrafung von über zwei Millionen Zivilisten.

René Rusch (*1976) ist Politikwissenschaftler, TV-Regisseur und Antirassismus-Führer.

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