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Das große Fest des Schweins: Mit Herz und Hirn

Der Schweinekopf thront auf dem Hackstock: Hier wird ein Tier verarbeitet.
Der Schweinekopf thront auf dem Hackstock: Hier wird ein Tier verarbeitet.Daniel Jezequel
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Vor mehr als 15 Jahren hat Spitzenkoch Max Stiegl im Burgenland begonnen, den Sautanz wiederzubeleben. Inzwischen ist das althergebrachte Schlachtfest Kult. Und zieht durchs ganze Land. Ein Besuch.

Es ist noch nicht einmal zehn Uhr früh, da hat man schon ein Stückerl Schweineherz in der Hand: roh, blutig – und körperwarm. „Das ist das Beste vom Schwein“, sagt Max Stiegl und reicht gleich noch eines her, diesmal in Sliwowitz getunkt. „Da brauchst kein Salz, keinen Pfeffer.“

Über den Geschmack lässt sich streiten: Metallisch-süßlich schmeckt das Schweineherz, vor allem nach dem Blut, das es bis vor wenigen Stunden durch den Körper der Sau gepumpt hat, die jetzt im Hof von Gut Purbach kopfüber an einem Holzgestell hängt. Sicher ist: Wenige der 150 Gäste, die ringsum stehen, waren je so nahe dran, wenn ein Tier Stück für Stück von Lebewesen zum Lebensmittel wurde. Und ein besseres Sinnbild dafür als das frische, warme Herz, von dem Stiegl mit blutigen Händen kleine Scheibchen heruntersäbelt, gibt es wahrscheinlich nicht.

Schlachtfest in traditioneller Manier

Es ist eine inzwischen gut eingeübte Choreografie: Mehr als 15 Jahre ist es her, dass der burgenländische Spitzenkoch Max Purbach 2007 zum allerersten Mal seinen Sautanz veranstaltete: ein Schlachtfest nach traditioneller Manier, bei dem an einem kalten Wintertag ein Schwein geschlachtet und im Hof seines Restaurants komplett verarbeitet wird, vom Rüssel bis zum Ringelschwanz. „Die Rückmeldungen am Anfang waren katastrophal. Das ging von dekadent bis zu: Was willst du mit dem machen?“, sagt Stiegl. „Es hat eine Zeit gebraucht, bis das angelaufen ist.“

Seitdem hat Stiegl nicht nur die Sautanztermine vor Ort multipliziert, er tourt damit auch durch ganz Österreich: Er war im Herbst im Gannerhof im Villgratental, in der Walserstuba im hintersten Winkel von Vorarlberg, in Leogang, am Attersee. Und er wird auch kommendes Jahr wieder unterwegs sein. „Das Feedback war ein Wahnsinn, so gut, dass wir gesagt haben, wir machen gleich wieder einen“, sagt Jeremias Riezler von der Walserstuba, der im Kleinwalsertal selbst Alpenschweine züchtet. „Wir wollten das schon lang machen. Die Idee ist einfach, dass man Bewusstsein für alles bildet, was da dahintersteckt. Und als erstem Schritt geht es um Respekt und Ehrfurcht vor dem Tier, das da sein Leben für uns lässt.“

Leben unter freiem Himmel

Das Schwein, das an einem kalten Dezembertag im Holztrog in den Hof des Guts Purbach geschleppt wird, hat sein Leben keine zwei Stunden vorher gelassen. Ein gutes Leben: „Unter freiem Himmel, mit Henderln, Enten, anderen Sauen“, sagt der Biowinzer Michael Andert, der seit zehn Jahren beim Sautanz dabei ist. Mit Max Stiegl und ein paar anderen Männern macht er sich an die Arbeit: Enthaaren ist angesagt, mit Saupech und kochendem Wasser, mit metallenen Trichtern, sogenannten Sauglocken, werden die Borsten abgeschabt. Der Dampf mischt sich mit dem Rauch, der von den diversen Feuerstellen aufsteigt, über denen es schon brutzelt und brodelt. „Das ist schon eine Arbeit“, sagt Andert. „So einfach geht das nicht.“

Noch während sich die Männer mit den Borsten plagen, macht der erste Schnaps die Runde: in einer frischen Schweineklaue. Stiegl, ganz Showman, führt mittendrin unermüdlich Schmäh: „Das ist wie ein Waxing“, „Braucht jemand einen Pepi?“ Bevor das Schwein angekommen ist, hat er die Würstel am Feuer mit einer halben Karaffe Sliwowitz flambiert. Dass er Majoran verwendet wie Jamie Oliver Olivenöl wird später noch für Lacher sorgen. Bei aller Ernsthaftigkeit soll der Sautanz ein Fest sein, ein gemeinschaftliches Event. „Etwas Soziales, wo die Menschen sich zusammensetzen und alle happy sind“, sagt Stiegl. Und eine gewisse Dynamik schadet der Sache auch nicht. „In der Gruppe greift man eher zu einem Stück Innereien, als wenn jeder für sich ist.“

„Nose to tail“ war immer sein Urgedanke: Max Stiegl gehört zu den Pionieren der modernen Innereienküche, er serviert in Anlehnung an den französischen Meisterkoch Fernand Point ein Huhn in der Schweinsblase, bei ihm landet der Rüssel genauso auf dem Teller wie die Leber, im Ganslmenü serviert er gefüllten Hals – und wenn er erzählt, was in manchen Restaurants weggeworfen wird, kann er richtig grantig werden. „Mir ist‘s beim Sautanz immer darum gegangen, dass man aufzeigt, was man aus dem Schwein alles machen kann – und zwar nicht im Fine Dining“, sagt er. Denn so ein Tier besteht eben nicht nur aus den Edelteilen, sondern auch aus vielen anderen Stücken, die früher ganz selbstverständlich gegessen und nicht verschwendet wurden. „Wenn man es gekostet hat, kann man noch immer für sich entscheiden, ob es geschmeckt hat.“

Hirn mit Ei, Leber und Rahmherz

„Eppa ohh, aah, hopp!“ Nach einer halben Stunde ist die Sau ihre Borsten los, fünf Männer ziehen das Tier an seinen Hinterfüßen auf das Holzgestell, die sogenannte Sauream. Michael Andert setzt das Messer an: Die Leber kommt zum Vorschein, Nieren und Schweinsnetz, Darm, Magen, Herz. Und Max Stiegl wechselt ans Feuer. Als Erstes gibt es Hirn mit Ei, dann röstet der Koch in der gigantischen gusseisernen Pfanne die Leber: mit Ajvar, Bratensaft, Salz und Pfeffer, Kirschessig, einem Haufen Butter. „Ganz ehrlich, ein Essen ohne Fett …“ Es folgen Rahmherz mit Händen voller Majoran, saure Nieren, in der Suppe kocht der Ringelschwanz, den man etwas später kosten kann: ein bisschen gallertig, nicht schlecht.

Es ist eine gar nicht so lang vergessene Tradition, die Stiegl mit seinem Sautanz wieder aufleben lässt. Wer in einer bäuerlichen Umgebung aufgewachsen ist, hat womöglich noch Erinnerungen daran, dass hie und da eine Sau abgestochen wurde, ans Rühren des Blutes für die Blutwurst, die Nierndln, den Speck in der Räucherkammer. „Wir waren früher dabei, wir haben das daheim gemacht“, sagen zwei Gäste aus der Buckligen Welt. „Das ist eine Art Auffrischungskurs. Vielleicht machen wir das wieder, denn die Kinder haben keinen Bezug mehr dazu, die nehmen den Schinken aus dem Kühlschrank und wissen gar nicht, was dahinter ist.“

„Natürlich lernen die Menschen dabei auch etwas“, sagt Stiegl. An so einem Tag wird auch Speck eingesalzen, Blunzen gemacht, Bratwurst, Leberwurst, es wird Sulz gemacht, die beim nächsten Sautanz in der Früh aufgetischt wird. „Viele fühlen sich einfach ermutigt. Ich kriege ganz viel Post zugeschickt und werde auch von Leuten angesprochen, die selber wieder Fleisch verarbeitet haben: ‚Wir haben uns eine Schweinehälfte gekauft und die verarbeitet‘, ‚Wir haben aus drei Schweinebäuchen Wurst gemacht‘. Und die Hemmschwelle wird niedriger, manche sagen vielleicht jetzt: ‚Wir haben Besuch, machen wir eine geröstete Leber.‘“ 

Das Schwein wird weniger

Im Hof im Gut Purbach ist man unterdessen bei den Ripperln angelangt: mit Sliwowitz, Garam Masala und Bier, Koteletts gibt es auch, das Filet hat ein Mitarbeiter zu Pork Tatar gehackt. Der Kopf des Schweines thront auf einem Hackstock inmitten des Treibens. Und das Tier an der Sauream, das wird unter dem Messer von Michael Andert weniger und weniger. „So banal es klingt“, sagt Max Stiegl: „Das Tier ist noch warm, wenn es hier ankommt, das Herz hat 36 Grad, wenn wir es essen. Da ist schon der Gedanke da, die Botschaft: Wenn ich Fleisch esse, muss mir bewusst sein, dass das Tier für mich sein Leben geopfert hat.“ Und eine Frage, die angesichts des Schlachtfests nur im ersten Moment paradox wirkt: „Muss es eigentlich wirklich immer Fleisch sein?“

Max Stiegl kocht am Feuer.
Max Stiegl kocht am Feuer.Daniel Jezequel

Sautanz

Der Sautanz, den Max Stiegl seit 2007 veranstaltet, ist angelehnt an die alte Tradition der Schlachtfeste, die üblicherweise im Winter gemeinsam mit Familie, Freunden und Nachbarn stattfanden. Ein Schwein wird geschlachtet und verarbeitet, es gibt Essen, Trinken und Musik, das Event auf Gut Purbach geht von acht Uhr morgens bis 20 Uhr. Diesen Winter gibt es noch vier Termine: am 16. Dezember sowie dreimal im Jänner, Tagesticket: 180 Euro pro Person.

On tour ist der Sautanz inzwischen ebenfalls. Kommenden Herbst wird Max Stiegl dafür unter anderem wieder am Attersee (Grafengut) und im Kleinwalsertal (Walserstuba) Station machen, konkrete Infos und mehr Termine gibt es im Jänner online auf sautanz.stieglmax.at.

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