Feuilleton-Briefing

Mit Nebelköpfchen durch die Woche

Ewig lockt der Ruf der Einsamkeit: „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich.
Ewig lockt der Ruf der Einsamkeit: „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich. Hamburger Kunsthalle
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Deutsche Romantik feiert mit Caspar David Friedrich erneut einen Siegeszug. Dazu passt im Theater ein Double-Feature zu den Feiertagen: Warten auf Godot in der Josefstadt und Dantons Tod im Burgtheater. Wie das zusammenhängt? Lesen Sie doch!

Nein, es ist nicht Corona, danke der Nachfrage, aber ein wahres Nebelmeer hat sich dennoch in meinem Kopf ausgebreitet, so fühlt es sich jedenfalls an. Das klingt jetzt weniger romantisch, als es ist, das habe ich diese Woche schon in Hamburg betrübt feststellen müssen, wo ich dem größten Privileg meines Berufs frönen durfte: Nahezu allein in Ausstellungen stehen zu dürfen, in denen sich sonst die Menschen gegenseitig auf die Füße steigen. Caspar David Friedrich ist so ein Fall, wie es Bosch, Bruegel oder Vermeer sind. Man muss bei der Presseführung nur rechtzeitig den Absprung wagen, während alle dem Kurator lauschen und niemand auf die Bilder sieht. Und voraus eilen, ein, zwei Ecken, Räume. Dann steht man plötzlich alleine vor dem „Wanderer über dem Nebelmeer“. Dem „Kreidefelsen auf Rügen“. Oder dem „Mönch am Meer“. Allein deshalb zahlt sich das alles aus, für mich zumindest. Auch wenn man sich in seiner ein wenig lächerlichen Ergriffenheit auch ein wenig albern vorkommt. Trotzdem. Da steht man dann und lauscht dieser Bild gewordenen Verlockung, diesem Loreleygesang der Einsamkeit. Erkennt seine Wahrheit, erkennt aber auch seine Pose, seine Attitüde, die vor allem die Männer betört. Was sich auch in der Liste all derer Experten wiederspiegelt, die sich mit Caspar David genauer beschäftigt haben, Frauen sind keine darunter. Dabei tut man dem guten dabei unrecht. Die großen heroischen Rückengestalten sind nicht immer männlich beim deutschen Paraderomantiker. Hin und wieder durfte auch eine Frau ins malerische Nichts starren für uns, das für Friedrich alles war, nämlich göttliche Ewigkeit in der Schöpfung. Eine Dame legte er auf einen Fels am Strand wie auf eine Chaiselongue. Seine Gattin etwa stellt er an sein Atelierfenster.

Das Friedrichsche Atelier. . . stellt man sich karg vor und einsam. Ersteres stimmt. Zweiteres nicht, er empfing dort gerne Besuch, bot dann den eigenen Sessel an, um ihm beim Malen zu beobachten. Nur wenn es an die Himmel ging, dann schob der Atelierdrachen, die gute Caroline, den Riegel vor. Denn Himmel malen, das galt ihm als heiliger Akt.

Wieviel „heilige Akte“ diese Künstlerateliers nur schon erdulden mussten! Für die kommende Sonntags-„Presse“ habe ich einige von diesen Loci Genii besucht, nicht von Lebenden, sondern von Toten. Dabei fand ich überraschender Weise nicht allzu viele davon, die Tradition des musealisierten Ateliers ist in Österreich nicht sonderlich verwurzelt, stelle ich fest. Ein paar aber gibt es, lassen Sie sich überraschen. Und zu ihrer noch größeren Überraschung, verzeihen Sie den Sarkasmus: Keines davon gehört einer Künstlerin. Gleichberechtigung ist mir nämlich ein Anliegen, auf mein Recht auf Männerschnupfen zum Beispiel bestehe ich jedenfalls.

Dafür blicke ich großzügig darüber hinweg, dass Samuel Beckett sogar testamentarisch verfügte, dass auf Godot nur zwei Männer warten dürfen. So bin ich. Sollen sie doch unter ihrem Baum sitzen wie Bernhard Schir und Marcus Bluhm das seit gestern Abend in der Josefstadt tun, unter der Peymannschen Gottespranke noch dazu. Ein Stück, das übrigens von einem Friedrich-Bild angeregt wurde, zwei Männer, die den Mond anschmachten oder so ähnlich. Beide in altdeutscher Tracht. Über den (antifranzösischen, aber auch antisemitischen) Nationalismus der deutschen Romantik muss auch gesprochen werden, manchmal schwant es mir, dass sie gerade deshalb wieder ihre Urstände feiert. Mit einem großen Unterschied, der heutige bringt keine vergleichbar große Kunst hervor, im Gegenteil. Aber was kann man schon vergleichen in der Historie, soll man auch nicht, nur tendenzielle Parallelen lassen sich doch manchmal ziehen.

Vielleicht ein schönes Double Theater (statt Feature) für die Feiertage: Erst Godot in der Josefstadt, dann Danton im Burgtheater. Morgen Samstag ist Premiere seines Todes mit Michael Maertens und Nicholas Ofczarek, Verfasser Georg Büchner ein Zeitgenosse Friedrichs. Auch Revolutionär, auch Melancholiker, aber eine Generation jünger, was ihn nicht vom früheren Ableben abhielt. Friedrich musste seine Zeit überleben, als er 1840 starb war er vergessen und verlacht, das altdeutsche seiner Trachten schon damals ewiggestrig, er „weinte wie ein Kind“, musste einer seiner großen Unterstützer bestürzt feststellen nach einem letzten Atelierbesuch. Nicht schön.

Nicht schön auch das, wofür die Nazis den armen Romantiker, der vor allem Demokrat und Protestant, nein, vor allem Protestant war, später missbrauchten. Hitler hatte einen wahrlich wirren Kunstgeschmack, was man allein an seiner Vorliebe für Bambi, ja, den Disneyfilm konstatieren muss. Dieses Wissen entnahm ich Florian Illies an diesem sehr, fast angeberisch reichen neuen Buch „Zauber der Stille“ über Caspar David Friedrich. Denn Disney ließ Bambi durch Friedrichsche Landschaften hüpfen. Die Vorlage seines Buchs von Felix Salten aber stammt von einem Juden, der in Bambi die Verfolgung durch die Nazis verschlüsselte. Das Buch landete demnach auch im Feuer des Rassenwahns. Als Hitler sich das Werk, so Illies jedenfalls, 1940 am Obersalzberg privat vorführen ließ, soll er dagegen gerührt gewesen sein. Wahrscheinlich sah er nur die Landschaften im Hintergrund. Nun gut. Wir wollen nach vorne blicken, aufs Vordergründige sogar. Darauf, wie aus Geschichtsaufarbeitung in der Volksoper gestern abend etwas ganz neues, eine neue politische Operette wurde, „“Lass und die Welt vergessen - Volksoper 1938“, die Premiere habe ich wegen des Nebelkopfes versäumen müssen. Darauf, dass wir trotz aller Kriege, trotz aller Mahnrufe und Warnungen des nie mehr Wieders bald an eines denken müssen, denken dürfen - das Geschenkeverpacken.

Wer glaubt, das nicht ausreichend zu beherrschen, dem sei zur Beruhigung empfohlen, sich den großartigen Adventkalender unseres „Spectrum“ anzusehen. Jeden Tag wird (allerdings nur auf Instagram) ein anderes Filmchen veröffentlicht, in dem ein Presse-Redakteur, eine Presse-Redakteurin mehr oder weniger perfekt ein Buch verpackt. Man sieht dabei nur die Hände in Nahaufnahme, wie sie mit Klebestreifen, mit Geschenkpapier und Mascherln kämpfen. Oder diese überraschend gekonnt bezwingen. Den Vorgang in seiner jeweiligen Charakteristik zu beobachten, bestechende Handarbeit, entspannt ungemein. Fast so, wie das „Guilty Pleasure“, im Dunkel des Kinos klebrigen Analogkäsebrei in sich hineinzuschaufeln, wie Kollege Andrey Arnold den wahren Grund der Spaltung unserer Gesellschaft diese Woche beschrieben hat. Essen oder nicht essen. Schlafen oder nicht. Diese Frage stellt sich mir zumindest diese Donnerstagnacht nicht mehr.

Ihre ganz nebulöse, Almuth Spiegler

almuth.spiegler@diepresse.com

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