Leitartikel

Vor dieser Versöhnung muss sich Herbert Kickl nicht fürchten

Auf der Corona-Welle gen Wahlsieg: FPÖ-Chef Herbert Kickl
Auf der Corona-Welle gen Wahlsieg: FPÖ-Chef Herbert KicklAPA / Comyan / Michael Gruber
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Das Ansinnen ist richtig, aber mit ihrer letztlich halbherzigen Aufarbeitung wird die Regierung den blauen Corona-Motor nicht ins Stottern bringen. 

Die heimische Innenpolitik steht gerade an einem recht seltsamen Punkt. Die angeschlagene Bundesregierung ist ohne jede Aussicht auf eine Fortsetzung. Und angesichts eines in Umfragen davongaloppierten Herbert Kickl wirft eine lange Zeit undenkbare Zäsur einen Schatten voraus, der alles andere verdunkelt. Denn was sind schon die x-ten Hilfen, Boni und Bremsen einer Regierung – deren Bilanz im Übrigen wesentlich besser ist als ihr Ruf –, wenn wir möglicherweise nur noch ein paar Monate davon entfernt sind, dass Herbert Kickl mit seinem Kampf gegen ein nicht näher definiertes „System“ und dessen „Volksverräter“ ins Kanzleramt einzieht? Und mit ihm eine Partei, die den Staat umkrempeln will, den ukrainischen Präsidenten im Parlament boykottiert, die bei Parteiveranstaltungen buchstäblich die Messer gewetzt und in der Pandemie zum Wurmmittelverzehr aufgerufen hat?

Es mag allerhand Gründe haben, dass die Blauen gerade einmal vier Jahre nach dem Ibiza-Crash und zwei Jahre nach einem offenen Machtkampf um die Parteispitze so weit vorn liegen; von einer SPÖ, die sich bis heute mit der FPÖ gemeinsam in U-Ausschüssen auf die ÖVP stürzt, über eine seltsame Grundstimmung, in der negiert wird, wie gut es uns eigentlich geht, bis hin zu hoppertatschiger Regierungspolitik, die sich im Dickicht ihres eigenen Dschungels an Milliardenhilfen verirrt hat. Letztlich aber ist der Motor von Herbert Kickls Erfolg ein anderer: Corona.

Wer das nicht glaubt, dem sei bei Gelegenheit ein Besuch eines FPÖ-Events empfohlen. Dort sind längst nicht nur eingefleischte Blaue zugegen, denn in der Pandemie zog die FPÖ im großen Stil Impf- und Maßnahmengegner zu sich, soziodemografisch buntgemischt. Der Meinungsforscher Peter Hajek erhob unlängst, dass die Corona-Politik immer noch für knapp 30 Prozent das Wahlverhalten bestimmt, bei Blauen ist der Wert ungleich höher. Und Hajek sieht keinen Grund, dass diese Menschen der FPÖ vor ihrer Corona-Abrechnung bei den nahenden Wahlen untreu werden. Kickls schrille Pandemiestrategie mag also potenzielle Koalitionspartner verschreckt haben – in puncto Stimmenmaximierung ging sie auf. Der Refrain des blauen Anti-System-Schlagers handelt seither von Impflicht und „Lockdown für Ungeimpfte“.

Darüber gewann die FPÖ sukzessive eine Deutungshoheit, der niemand etwas entgegenzusetzen vermochte. Wer hätte das auch tun sollen? Regierung und Länder haben die Impflicht selbst veranlasst, die Neos haben sie grosso modo mitgetragen – die SPÖ war sogar noch gegen die Aussetzung. Je weiter all das zurücklag, desto mehr driftete die FPÖ im kommunikativen Alleingang ab – sodass die nie angewendete Impfpflicht dort mittlerweile als „Zwangsimpfung“ firmiert. Unwidersprochen. Insofern war die Aufarbeitung, die der Kanzler im Frühjahr ausgerufen hat – ohne FPÖ-Erfolgslauf hätte er das wohl nie getan –, eine redliche und gute Idee. Allein schon, um auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein. Doch das Ergebnis – präsentiert in einer eilig einberufenen Pressekonferenz drei Tage vor Weihnachten, noch dazu ohne Gesundheitsminister – blieb halbherzig und wurde den von Kanzler Karl Nehammer geweckten Erwartungen nicht wirklich gerecht.

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