Déjà-vu

Wer fürchtet sich vorm blauen Mann? Alle!

Peter Kufner
  • Drucken
  • Kommentieren

Wenn wir die Wahl zwischen Kickl und Babler als Bundeskanzler haben, sollten wir Nehammer nehmen. Oder doch gleich wieder Kurz?

Selten zuvor ist die Republik in einer solchen kollektiven Ratlosigkeit in ein neues Jahr gegangen wie dieses, in dem eine wahrscheinlich umstürzende Nationalratswahl auf dem Programm steht. Das betrifft vor allem die Parteien als die Hauptpakteure des politischen Geschehens, aber auch die Medien, die sonst schnell mit Kritik und guten Vorschlägen bei der Hand sind. Die ganze Zweite Republik lang war klar, dass wie immer eine bevorstehende Wahl ausgehen sollte, nachher eine der beiden ehemals großen Parteien den Kanzler stellen würde.

An dieser Jahreswende schlägt sich die Republik zum ersten Mal mit der Frage herum: Dürfte es auch die FPÖ sein mit Herbert Kickl als Bundeskanzler? Die Frage beherrscht seit Monaten die politische Debatte. Mit der erwartbaren Folge, dass die Umfragewerte für Kickl und seine Partei anhaltend hoch sind. Befeuert wird das auch durch die anderen potenziellen Kanzlerparteien, die beide irgendwie von der FPÖ traumatisiert erscheinen.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

„Things fall apart, the centre cannot hold“, heißt es in einem berühmten Gedicht von W. B. Yeats. „Zerfall ringsum, das Zentrum hält nicht stand“. Als das Zentrum, das die Welt nicht mehr zusammenhält, kann man die Parteien der rechten und linken Mitte verstehen, ihre Schwäche an politischer Gestaltungskraft ist offenkundig – ganz zu schweigen davon, dass sie gesellschaftlich noch prägend wären. Die Hegemonie, um diese sozialistische Chiffre für die Vorherrschaft in den vor- und außerpolitischen Bereichen der „Zivil­ge­sellschaft“ zu verwenden, üben die Grünen aus. Sie saugen ihre jeweiligen Koalitionspartner mit einer Mischung aus pseudoreligiösem Anspruch und eisernem Durchsetzungswillen aus.

Kann Babler Bundeskanzler?

Wenn jetzt allenthalben konstatiert wird, dass der Christdemokratie die Ideen ausgegangen seien und ihr deshalb die Wähler davonliefen, dann gilt das nicht minder für die Sozialdemokratie, der ja schon seit Jahrzehnten attestiert wird, ihre historische Rolle erfüllt, den Anschluss an die moderne Welt verloren und ein überflüssiger Restbestand aus dem Industriezeitalter zu sein. Andreas Babler ist geradezu die Symbolfigur dafür. Es fällt einem schwer, sich ihn als Bundeskanzler überhaupt vorzustellen. Auch in seiner eigenen Partei halten ihn viele, darunter Landesobmänner, nicht für geeignet, das Land zu regieren.

Der FPÖ wird zu Recht vorgehalten, sie habe nur einen sehr beschränkten Vorrat an politischen Ideen und auch wenig geeignetes politisches Personal. Beides hat sich bei den bisherigen Regierungsbeteiligungen nicht als wirklich nachteilig für die Republik ausgewirkt, da der jeweilige Koalitionspartner (einmal die SPÖ, zweimal die ÖVP) die Defizite der FPÖ kompensiert hat. Im Gegensatz zur allgemeinen Saga ist die FPÖ in der Regierung nicht jedes Mal „krachend gescheitert“.

Was für die FPÖ gilt, gilt für Babler nicht minder. Auch sein Ideenhaushalt ist sehr eingeschränkt, was für seine politische Propaganda nicht unbedingt nachteilig sein mag. Das Paradox dabei ist, dass sich die Rechtspopulisten der FPÖ und der Linkspopulist Babler in ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen sehr nahe sind. Beide haben eine Neigung zum allmächtigen Staat als Umverteilungsagentur an die „kleinen Leute“, und beide leben vom Ressentiment. Die FPÖ gegen die „oben“, die Eliten, Babler gegen die Reichen. Wehe uns, sollten sie miteinander regieren. Man darf annehmen, dass das der geheime Wunschtraum Kickls ist.

Ein Brauch, keine Vorschrift

Nach der Wahl im Herbst könnte sich der Bundespräsident in der Situation befinden, in der sich sein Vorvorgänger Thomas Klestil an der Wende von 1999 zu 2000 befunden hat. Er musste einen Kanzler seiner eigenen Partei, Wolfgang Schüssel, dessen Koalitionspartner er nicht wollte, angeloben. Die Bundesverfassung lässt dem Präsidenten freie Wahl, wen er zum Kanzler bestellt und sogar wann er ihn bestellt. Es muss nicht der Sieger der Wahl sein, es muss überhaupt nicht nur nach einer Wahl sein. Auch die Beauftragung mit der Regierungsbildung ist nur ein Brauch und keine Vorschrift der Verfassung. Letztendlich muss der Bundespräsident aber dennoch einen Politiker zum Kanzler machen, der eine Mehrheit im Nationalrat hinter sich hat. „Realverfassung” wird das genannt.

Alexander Van der Bellen hat oft genug zu erkennen gegeben, dass er Herbert Kickl nicht als Kanzler haben will. Er müsste ihn nicht angeloben, selbst wenn er eine parlamentarische Mehrheit anbieten könnte. Bevor es der Bundespräsident aber auf eine solche Kraftprobe ankommen lässt, würde er wohl in Gesprächen hinter der bekannten Tapetentür in der Hofburg alle Möglichkeiten für einen Kompromiss suchen.

Kurz 1

Ganz so dürften sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und andere Akteure in der Justiz das doch nicht vorgestellt haben. Mit klammheimlicher Billigung durch die Justizministerin haben sie die Strafverfahren gegen Sebastian Kurz so lang hinausgezögert, dass sie sich weit in das Wahljahr 2024 hineinziehen werden und Kurz damit eine Rückkehr in die Politik unmöglich ist. Dabei war immer klar, dass Kurz ohnehin erst nach einer Wahlniederlage der ÖVP und damit als Nachfolger von Karl Nehammer auf den Plan treten könnte und würde.

Nun spielt aber die Hauptperson nicht wie gewünscht mit. Kurz begibt sich nicht in die Rolle des schuldbewussten Täters, sondern benützt den Prozess dazu, sich als politische Person im Gedächtnis zu halten. Auch der Richter fällt aus der ihm zugedachten Aufgabe und lehnt viele Beweisanträge der Staatsanwaltschaft ab. Außerdem brachte er von sich aus die Möglichkeit eines Aussagenotstands bei der vermuteten Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss aufs Tapet. Ob Kurz die goldene Brücke, die ihm damit gebaut wird, betritt, weiß man noch nicht. 

Kurz 2

Wolfgang Petritsch, ein Paradediplomat der SPÖ und ehemaliger Hoher Repräsentant der UNO für Bosnien und Herzegowina, versuchte kürzlich an dieser Stelle, die demonstrative Nähe Österreichs zu Israel unter Kurz mit dem „schlechten Gewissen der ÖVP aufgrund der FPÖ-Regierungsbeteiligung“ zu erklären. Dass Kurz jemals für etwas, was er als Politiker getan oder unterlassen hat, ein schlechtes Gewissen gehabt hat, kann man sich schwer vorstellen. Mehr als ein schlechtes Gewissen muss ihn die schwere Fehlentscheidung plagen, eine Koalition mit den Grünen eingegangen zu sein, die ihn bei erster Gelegenheit über die Klinge springen ließen.

Wie alle Sozialdemokraten und die mit ihr sympathisierenden Medien unterschlägt auch Petritsch geflissentlich die FPÖ-Regierungsbeteiligung unter SPÖ-Kanzler Fred Sinowatz, für die auch nie jemand in der SPÖ so etwas wie schlechtes Gewissen zu erkennen gegeben hat. Warum hätten sie auch? Im Übrigen verbreitet er die Mär von den „traditionellen Bemühungen“ Österreichs um eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Damit überschätzt er die Wichtigkeit Österreichs auf der Weltbühne beträchtlich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Hans Winkler war Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“ und ist freier Journalist in Wien und Graz.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.