Nachruf

Wolfgang Schäuble ist tot: Über einen, der Deutschland prägte

Ein halbes Jahrhundert saß Wolfgang Schäuble im deutschen Bundestag.
Ein halbes Jahrhundert saß Wolfgang Schäuble im deutschen Bundestag. Imago / Imago Stock&people
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Wolfgang Schäuble saß 51 Jahre im deutschen Bundestag. Er veränderte das Land wie nur wenige Politiker – von seiner Rolle bei der Wiedervereinigung bis zur Schuldenbremse.

Vor einem Monat saß Wolfgang Schäuble noch an dem Ort, dem er mit sein Leben gewidmet hatte. Im Plenum des deutschen Bundestages, dem er ein halbes Jahrhundert angehörte, genauer gesagt 51 Jahre und zwei Wochen. So lange wie keiner in der deutschen Geschichte vor ihm. Er hätte längst die Pension genießen können, sich von der Berliner Politik nach Offenburg in Baden-Württemberg zurückziehen, wo er mit seiner Frau Ingeborg in einer Wohnung lebte.

Doch Wolfgang Schäuble war nicht wie die anderen. Also saß er im November im Herzen der deutschen Demokratie, während vor ihm der Kanzler am Rednerpult sein verunglücktes Budget erklärte, das ihm der Verfassungsgerichtshof zurückgeworfen hatte, weil es gegen die deutsche Schuldenbremse verstoßen hatte. Die hatte Schäuble einst entworfen, als er Finanzminister war. In seinem Büro im Bundestag hing ein Foto, das ihm seine Mitarbeiter zum Abschied geschenkt hatten. Darauf bilden sie eine Null für den Mann, der wegen seiner strengen Budgetpolitik als „Mister Schwarze Null“ in ganz Europa bekannt wurde.

1972 zum erstem Mal im Bundestag

Zu sagen, Wolfgang Schäuble hätte nur die deutsche Geschichte geprägt, wird seinem Lebenswerk kaum gerecht. Als Innenminister unter Helmut Kohl schrieb er Anfang der Neunzigerjahre den deutschen Einigungsvertrag mit. Er spielte eine wichtige Rolle dabei, die deutsche Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin zu verlegen. In der europäischen Finanzkrise der Nullerjahre machte er sich als harter Sparpolitiker bekannt, entwarf die deutsche Schuldenbremse, die nun so heftig debattiert wird. Als das österreichische Parlament nach jahrelangem Umbau wiedereröffnet wurde, lud man den Deutschen ein, um die Festrede zu halten.

Im Jahr 1972 wurde der damals 30-Jährige zum ersten Mal in den Bundestag gewählt. Für die CDU war es eine Zeit, nicht unähnlich der Gegenwart: Die SPD stellte den Kanzler, die Konservativen beschäftigten sich mit Selbstfindung. Mit Helmut Kohl kam sie wieder an die Macht, Schäuble wurde dessen „Allzweckwaffe“. Was er seiner Partei heute mit all seiner Erfahrung raten würde, fragte ihn „Die Presse“ als Schäuble ihr vor einem Jahr in seinem Berliner Büro ein Interview gab. „Ich gebe meiner Partei keine Ratschläge über ein Interview in einer österreichischen Zeitung“, antwortete dieser, mit seiner bekannt charmanten Störrigkeit.

Einer mit seinem politischen Gewicht hätte deutscher Kanzler werden können oder Bundespräsident. Beides blieb ihm verwehrt. Dabei ersparten die eigenen Parteifreunde dem nach einem Attentat eines geistig Verwirrten im Jahr 1990 im Rollstuhl sitzende Schäuble auch die Bosheiten der politischen Auseinandersetzung nicht. „Ein Behinderter kann nicht Kanzler werden“, sagte der spätere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber einmal. Schäuble kränkte das, schreiben deutsche Journalisten. Er wurde dann vieles andere: Unions-Fraktionschef, Parteichef, ein zweites Mal Innenminister und acht Jahre lang Finanzminister.

Die graue Eminenz der CDU

Wer so lange Politik macht wie Wolfgang Schäuble, kann nicht alles richtig machen. Sein bekanntester Fehler war es wohl, in den Neunzigerjahren ein Kuvert mit einer Parteispende eines Waffenhändlers weitergeleitet zu haben. Als das im Zuge der Parteispenden-Affäre um Helmut Kohl bekannt wurde, trat er zurück. Auch in den vergangenen Wahlkampf griff die graue Eminenz der CDU entscheidend ein: Er setzte den letztlich glücklosen Armin Laschet als Kanzlerkandidaten gegenüber Markus Söder durch. Laut einem Bericht des Journalisten und CDU-Kenners Robin Alexander soll Schäuble davor gewarnt haben, die deutschen Konservativen in eine One-Man-Show zu verwandeln, wie das Sebastian Kurz mit der ÖVP gemacht habe. Das sei allerdings nicht als Kritik an Kurz selbst zu verstehen gewesen, sondern als Skepsis gegenüber dem auf eine Person zugeschnittenen Modell.

„Soweit die CDU in den letzten 40 Jahren auch Dummheiten gemacht haben sollte, war ich dabei“, sagte Schäuble vor vier Jahren dem „Spiegel“, der ihn nach Fehlern bei der Wiedervereinigung und dem Erstarken der deutschen Rechtspopulisten fragte. Er konnte Fehler zugeben, sich entschuldigen, ohne sich dabei selbst zu geißeln oder Weggefährten zu verraten. In den vergangenen Jahren widmete sich Schäuble dem Parlamentarismus. Erst als Bundestagspräsident, dann in seiner letzten großen Rede zur Lage der Demokratie. Mit ihr eröffnete der Alterspräsident die laufende Legislaturperiode, deren Ende er nicht mehr erlebte.

Wolfgang Schäuble starb am Dienstagabend im Alter von 81 Jahren.

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