Was bedeutet eigentlich „Ein China“? Und was ist der Status Quo? Ein Überblick über neun Termini zur Taiwan-Frage.
- Kuomintang (KMT, Nationale Volkspartei Chinas)
Die KMT begründete 1912 die erste chinesische Republik auf Festlandchina. Danach waren sie in einen Bürgerkrieg mit den von Mao Zedong geführten Kommunisten verwickelt. Unter Chiang Kai-shek flüchteten die Nationalisten nach ihrer Niederlage 1949 nach Taiwan. Bis 1987 war Taiwan eine Ein-Parteien-Diktatur unter der KMT, es herrschte das Kriegsrecht. Nach der Demokratisierung war die Partei in den 1990er Jahren sowie zwischen 2008 und 2012 an der Macht. Heute plädiert die KMT für die Wiederaufnahme offizieller Kommunikationskanäle mit Peking und wirtschaftlich enge Beziehungen mit dem Festland. Lange setzte sich die KMT zumindest rhetorisch für „ein China“ ein. - Demokratische Fortschrittspartei (DPP)
Die DPP formierte sich 1986 als erste Oppositionspartei Taiwans. Sie besetzte zwischen 2000 und 2008 und ab 2016 das Präsidentenamt. In ihrem Programm von 1991 fordert die DPP ein Unabhängigkeitsreferendum; hat dieses Ansinnen aber längst aufgegeben. 2014 kritisierte sie die von der KMT geplanten engen Wirtschaftskooperationen mit der Volksrepublik scharf (unter anderem im Dienstleistungssektor). Die KMT musste ihre Pläne nach Massendemos vor allem junger Taiwaner zurücknehmen. Heute setzt die DPP auf eine stärkere Anlehnung an die USA und mehr Distanz zu Festlandchina. Sie kämpft für soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung: Dank der DPP-Regierung hat Taiwan als einziges und erstes asiatisches Land die Homo-Ehe eingeführt. - Taiwanische Volkspartei (TPP)
Der damalige Bürgermeister von Taipeh Ko Wen-je gründete die TPP 2019. Der ehemalige Chirurg spricht vor allem junge Wähler an und punktet bei Taiwanern, die weder KMT noch DPP unterstützen, beziehungsweise von der DPP enttäuscht wurden. Im Wahlkampf setzte Ko vor allem auf wirtschaftliche und soziale Themen, versprach Maßnahmen gegen hohe Lebenskosten und Wohnungsnot. Er fordert bessere Kommunikation mit Peking, um eine Eskalation zu vermeiden. - „Ein China“
Peking zufolge gibt es nur ein China auf der Welt, zu dessen Territorium Taiwan zählt, und das von der Volksrepublik China (VRC) offiziell repräsentiert wird. Seit der Flucht der nationalistischen Kuomintang (KMT) nach Taiwan infolge der Niederlage gegen Chinas Kommunisten im Bürgerkrieg 1949 sei die Insel eine „abtrünnige Provinz“. Die KMT unter Chiang Kai-shek verstand sich lange selbst als alleiniger Repräsentant ganz Chinas. Mit der Demokratisierung distanzierte sich die Regierung in Taipeh aber von dem Anspruch, ganz China zu repräsentieren. - UN-Resolution 2758
Wenn die Volksrepublik vom „Ein-China-Prinzip“ spricht, sich also als „einzigen rechtmäßigen Vertreter des chinesischen Volkes sieht“ und damit auch seinen Territorialanspruch über Taiwan legitimiert, dann bezieht sie sich meist auf die UN-Resolution 2758 von Oktober 1971, der auch Österreich zustimmte. Als Folge der Anerkennung der Volksrepublik durch die UNO waren damals die Vertreter der in Taiwan ansässigen Republik China aus den Vereinten Nationen ausgeschlossen worden. Die Kuomintang-Regierung war nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten nach Taiwan geflüchtet (siehe oben). Taiwans Regierung und viele Völkerrechtsexperten widersprechen aber der Pekinger Darstellung, dass die UNO damals auch anerkannt habe, dass Taiwan zur Volksrepublik gehöre: Die UN-Resolution habe bewusst nur die Frage der Vertretung Chinas im UN-System behandelt, sie sage aber weder, dass Taiwan ein Teil der Volksrepublik sei, noch autorisiere sie die Volksrepublik, die Einwohner Taiwans zu repräsentieren. - Konsens von 1992
1992 trafen zwei Nichtregierungsorganisationen im Auftrag der Regierungen in Peking und Taipeh eine Übereinkunft. Darin bekannten beide Seiten, dass es nur „ein China“ gebe. Dass sie aber unterschiedliche Vorstellungen davon hätten, was dieses „eine China“ sei. Im Falle der VRC: Ein vereintes China unter Verwaltung der Pekinger Regierung. Im Falle Taiwans: Ein China mit zwei politischen Entitäten. Dieses de facto Einfrieren des Konflikts machte einen Dialog und zeitweise auch intensiven (Wirtschafts-)Austausch möglich. - Status Quo
Taiwans Großparteien KMT und DPP sowie die Kleinstpartei TPP fordern eine Beibehaltung des derzeitigen politischen Zustands in der Taiwan-Straße: Taiwan erklärt sich zwar nicht unabhängig, agiert aber de facto weitgehend unabhängig. Derzeit enthalten nur zwölf Staaten weltweit und der Vatikan offizielle diplomatische Beziehungen zu Taipeh. - Strategische Ambiguität
Mit dem Taiwan Relations Act 1979 legten die USA ihre Beziehungen zu Taipeh und Peking fest. Demnach betrachten die USA „jegliche Maßnahme, die Zukunft Taiwans anders als durch friedliche Methoden zu bestimmen, (...) als sehr besorgniserregend für die Vereinigten Staaten.“ Gleichzeitig sollte die Zweideutigkeit auch Taiwan davon abhalten, formell die Unabhängigkeit von China zu erklären und damit Peking zu provozieren. Auch legen sich die USA damit nicht eindeutig fest, ob sie sich im Falle eines Militärangriffs Chinas verpflichtet sehen, Taiwan mit Waffengewalt zu unterstützen. De facto sehen sich die USA als Taiwans „Schutzmacht“, versorgen die Inselrepublik mit Waffen und trainieren Taiwans Armee. - „Ein Land, zwei Systeme“
In den frühen 80er-Jahren entwickelte Chinas Wirtschaftsreformer und Staatslenker Deng Xiaoping das Konzept maßgeblich. Es soll die gleichzeitige Existenz sozialistischer und liberaler, kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen in der Volksrepublik China ermöglichen. Im Falle der Sonderverwaltungsregionen Hongkong und Macau verpflichtete sich Peking, für 50 Jahre nach der Rückgabe der Gebiete durch die ehemaligen britischen bzw. portugiesischen Kolonialherren politische, wirtschaftliche und rechtliche Freiheiten zu garantieren. Deng sah das Modell auch für Taiwan vor, auch Xi Jinping fordert eine Vereinigung Taiwans unter diesem Konzept. Unter seiner Herrschaft wurden die Freiheiten in Hongkong und Macau allerdings endgültig zu Nichte gemacht. Daher lehnen Taiwaner „Ein Land, zwei Systeme“ ab.