Porträt

Wien-Favoriten: Der gefährlichste Bezirk von Wien?

Archivbild: Die Fußgängerzone Favoritenstraße im April 2021.
Archivbild: Die Fußgängerzone Favoritenstraße im April 2021.Tobias Steinmaurer
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Der zehnte Bezirk gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Meist nicht positiv. Eine Vermessung der Heimat von „Mundl“, die heuer ein Jubiläum feiert.

Wien. Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten laufen. Denn Favoriten, der zehnte Wiener Gemeindebezirk, begeht heuer ein besonderes Jubiläum: Seit genau 150 Jahren gehört der traditionelle Arbeiterbezirk, der auch Geschichte geschrieben hat, zu Wien. Favoriten war der erste Wiener Bezirk außerhalb des heutigen Gürtels.

Das Jubiläum wird selbstbewusst begangen. Favoriten gibt sich eine eigene offizielle Hymne. Das ist bemerkenswert, nachdem nicht einmal Wien eine offizielle Hymne besitzt. Bezirksvorsteher Marcus Franz (SPÖ) hat die Bevölkerung vor wenigen Tagen öffentlich aufgefordert, einen „Lovesong“ über Favoriten zu schreiben und an den Bezirk zu senden. Bei einer Livegala am 28. September wählt eine Jury die neue Bezirkshymne.

Negative Schlagzeilen

Weniger erfreulich waren die Schlagzeilen, in die Favoriten in der Vergangenheit geraten ist. Da ging es um schwere Ausschreitungen und Plünderungen durch Jugendliche mit Migrationshintergrund zum Jahreswechsel 2021 im Bereich des Reumannplatzes. Dort musste später eine Videoüberwachung durch die Polizei eingerichtet werden, um die ausufernden Probleme zu bekämpfen. Am Keplerplatz ist (aus demselben Grund) eine mobile Videoüberwachung im Einsatz. Gerade der Bereich der Fußgängerzone zwischen Keplerplatz und Reumannplatz gilt als Problembereich: Drogen, Jugendgangs, Kriminalität. Es gibt aber auch das beste Kebap der Stadt dort, wovon auch lange Warteschlangen zeugen. Und nicht wenige Anrainer meinen, es gebe Probleme, die seien aber nicht so dramatisch, wie sie in Medien dargestellt werden.

Favoriten ist auch ein Kristallisationspunkt des Themas Integration.
Favoriten ist auch ein Kristallisationspunkt des Themas Integration. APA / Comyan / Samuel Winter

Man könnte trotzdem sagen: Favoriten besitzt das schlechteste Image aller Wiener Bezirke. Ein Grund sind Vorfälle wie im Sommer 2020, als türkische Nationalisten eine Demonstration kurdischer Frauen gewaltsam angriffen. Oder als Anhänger des autokratischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan dessen Wahlsieg in Favoriten fanatisch auch mit dem (verbotenen) Wolfsgruß feierten – dem Erkennungszeichen einer rechtsradikalen türkischen Bewegung. Generell ist Favoriten ein Kristallisationspunkt für Integrationsprobleme.

Kickl nutzt Favoriten für seinen Wahlkampf

Vor wenigen Tagen wurde Favoriten wieder zum Thema, nachdem ein YouTube-Video viral gegangen war, in dem Jugendliche mit Migrationshintergrund und Passanten erklärten, Favoriten sei das gefährlichste Pflaster von Wien. „Selbst Migranten warnen vor diesen Örtlichkeiten“, polterte FPÖ-Chef Herbert Kickl, der dieses Video gleich für seinen Wahlkampf nutzte, die ÖVP stand dem in nichts nach. Nur: Das Video stammt von einer Satireplattform.

Wie sieht es wirklich in Favoriten aus? Laut Kriminalitätsstatistik hat Favoriten wienweit die meisten angezeigten Straftaten (mehr als 17.000 im Jahr 2021). Allerdings ist Favoriten mit 218.000 Einwohnern auch der bevölkerungsreichste Bezirk Wiens und die drittgrößte „Stadt“ Österreichs. Rechnet man die Kriminalität pro 100.000 Bezirksbewohner, liegt Favoriten mit 831 Fällen im oberen Mittelfeld. Am unsichersten ist es demnach in der Innenstadt, wo es rund 4300 Fälle pro 10.000 Einwohner gab.

Raue Sitten bei Fußballfans

Die Statistik werde durch Reisende am Hauptbahnhof (Stichwort: Diebstahl) ebenso hochgetrieben wie in der Inneren Stadt (dort durch Touristen). Dazu gebe es in Favoriten das Fußballstadion der Wiener Austria, wo es bei einem Fußballderby mit Rapid auch zu Auseinandersetzungen der Fans komme (Stichwort: Körperverletzung), hält Bezirksvorsteher Franz (SPÖ) fest und fordert vom Bund mehr Polizeibeamte: „Auf 100.000 Einwohner kommen in Österreich durchschnittlich 333 Polizisten. In Favoriten sind es 319 bei 220.000 Einwohnern. Bei den Silvestervorfällen 2021 war kein einziger Polizist vor Ort.“ Nachsatz: „Und wir bräuchten die Mithilfe der Integrationsministerin (Susanne Raab, ÖVP, Anm.), von der wir den erhobenen Zeigefinger sehen, jedoch keine anpackende Unterstützung.“

Favoriten gilt als rote Bastion. Mit fast 50 Prozent auf Landes- und Bezirksebene war Favoriten der stärkste SPÖ-Bezirk bei den Wien-Wahlen 2020. Mit Wohnbau- und Frauenstadträtin Kathrin Gaál ist Favoriten einflussreich in der Stadtregierung vertreten. Dass der erste Gemeindebau, der nach einer Pause von rund 15 Jahren 2019 wieder gebaut wurde, in Favoriten liegt, ist kein Zufall. Dazu wird die Wiener SPÖ ihre Parteizentrale von der Innenstadt nach Favoriten verlegen.

Die Heimat von Mundl

Hemdsärmelige Politiker wie Bezirksvorsteher Marcus Franz funktionieren in Favoriten politisch gut. Vor der Wien-Wahl 2020 ließ er ein Graffiti von sich an eine Wand in Favoriten malen – im Unterleiberl und mit Tätowierungen. Es war offenbar eine Anspielung an „Mundl “ von der legendären TV-Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“, die in Favoriten spielt. Wie ist der typische Favoritner wirklich? Bezirksvorsteher Franz beschreibt ihn so: „Er ist direkt und spricht die Sachen aus, wie er sie sich denkt. Er ist kritisch, hat im Grunde genommen aber ein großes Herz.“

Was charakterisiert Favoriten? Der Bezirk ist vielfältiger, als man glaubt. In Oberlaa befindet sich die größte Therme Österreichs. Mit Wienerberg, Laaer Berg und dem Kurpark Oberlaa gibt es große Naherholungsgebiete. In Favoriten gibt es ein eigenes Solarkraftwerk, Windräder, Energiegewinnung aus Thermalwasser. Die Infrastruktur mit U-Bahn, S-Bahn und Hauptbahnhof ist gut. „Favoriten ist die Hauptstadt Wiens“, meint der rote Bezirksvorsteher selbstbewusst: „Außerdem haben wir das beste Eis und die besten Krapfen von Wien.“

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