Gastkommentar

Die Angst vor der Alternative für Deutschland

Peter Kufner.
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Deutschland fühlt sich wegen der Stärke der AfD an „Weimarer Verhältnisse“ erinnert, doch ist diese Parallele unangebracht.

In Deutschland grassiert Angst, 75 Jahre nach Gründung der zweiten deutschen Demokratie. Jetzt ertönen immer wieder Stimmen, die vor „Weimarer ­Verhältnissen“ warnen. Der Hauptgrund: die Stärke der Alternative für Deutschland (AfD). Nach den ­Meinungsumfragen liegt sie in den drei ostdeutschen Bundesländern Sach­sen, Thüringen und Brandenburg, in denen die Bürger im September den Landtag wählen, mit mehr als 30 Prozent jeweils an der Spitze, in Sachsen vor der CDU, in Thüringen vor der Partei Die Linke, in Brandenburg vor der SPD.

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Ob die drei Ministerpräsidenten (in Brandenburg: Dietmar Woidke, in Sachsen: Michael Kretschmer, in Thüringen: Bodo Ramelow) das Ruder noch einmal „rumreißen“ wie 2019? Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird die AfD nirgendwo den Regierungschef stellen, da niemand mit der radikalen Kraft, die keine absolute Mehrheit der Mandate erreicht, ein Bündnis einzugehen gewillt ist.

Den Volksparteien der Union und vor allem der SPD, die viele Jahrzehnte mit der FDP, dem „Zünglein an der Waage“, die politische Willensbildung in der Bundesrepublik bestimmt haben, fehlt die einstige Bindekraft. Das belegt etwa der beständige Mitgliederverlust. Dieser Prozess, der schon vor ­Jahren eingesetzt hat, kulminiert jetzt. 1983 gelangten die Grünen, hervorgegangen aus Umwelt­schutz­be­wegungen, erstmals in das Bundesparlament, 1990 die Postkommunisten in Form der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), der Nachfolgepartei der SED, der „Staatspartei“ der DDR; 2017 Rechtspopulisten, die sich in der 2013 gegründeten AfD zusammengefunden hatten. Und die bereits 2009 ins Leben gerufenen Freien Wähler, die seit 2018 als Juniorpartner der CSU dieser das Leben mitunter schwermachen, streben den Einzug in den nächsten Bundestag an. Gleiches gilt für die Anfang 2024 auf den Weg gebrachte Wagenknecht-Partei, eine Abspaltung von der Partei Die Linke, der früheren PDS. Der einstige, abgehalfterte Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen will als Vorsitzender der „Werteunion“ diese in eine Partei umwandeln und so in den Bundestag einziehen. Selbst wenn es sich zuweilen um Blütenträume handeln mag – wie etwa im letztgenannten Fall –, ist die Schwäche der etablierten Parteien augenfällig. Zudem regieren im Bund Parteien wie die Grünen und die Liberalen mit höchst unterschiedlichen Programmen, etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Verdruss mit der Regierung

Der starke Verdruss mit der Regierungskoalition schlägt vor allem bei der AfD zu Buche. Sie profitiert insbesondere von der hilflosen Migrationspolitik. Sarkastisch formuliert: Wer deutschen Boden betritt, hat es geschafft. Auch wer kein Bleiberecht genießt, muss in der Regel eine Rückführung nicht befürchten. Dieses Vollzugsdefizit stört viele Bürger. Die etablierten Parteien propagieren aufgrund der verbreiteten Unzufriedenheit zwar einen Wandel, praktizieren ihn aber nicht. Das ist höchst fahrlässig.

Für eine regierungsfähige Mehrheit gegen die AfD nach den drei Wahlen bedarf es mehrerer Parteien mit überaus unterschiedlichen Konzepten. Da dürfte angesichts der heterogenen Interessen nur Instabilität von vornherein stabil sein. Und: Die ausgegrenzte AfD würde von dieser gegen sie gerichteten Gemeinsamkeit vermutlich profitieren. Einer derartigen Gefahr entginge die Politik durch Bildung von Minderheitsregierungen. Das muss nicht zur Unregierbarkeit eines Landes führen. Wenn die AfD ins Auge gefassten Maßnahmen der Regierung zustimmt, so verbietet sich Protest. Dies ist keine verkappte Zusammenarbeit.

Wieso „Kampf“, wieso „gegen“?

Gewiss, Deutschland versteht sich nach den schlimmen Erfahrungen der NS-Vergangenheit zu Recht als streitbare Demokratie. Doch die Vorgehensweise des Verfassungsschutzes gegenüber der AfD ist zweischneidig. Er bezeichnet die AfD in einigen Ländern (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) als „gesichert rechtsextremistisch“, fördert dadurch wohl die Abkehr gemäßigter Mitglieder, darunter Angehörige des öffentlichen Dienstes aus Angst vor Disziplinarmaßnahmen, und den Eintritt radikaler Anhänger. Anstatt sich zu mäßigen, rückt die Partei so stärker an den rechten Rand. Das vorangestellte „gesichert“ suggeriert, es gäbe daran keinen Zweifel. Wer das in Zweifel zieht, sieht die AfD ganz und gar nicht als eine lupenreine demokratische Kraft an. Der Terminus „semi-demokratisch“ wäre wohl treffender.

Ein Rechtsstaat muss ein breites Spektrum an gegenläufigen politischen Positionen tolerieren. Der laute „Kampf gegen rechts“ verbietet sich mithin. Wieso heißt es „Kampf“, wieso „gegen“, wieso „rechts“? “Kampf“ ist ein martialischer Ausdruck, „gegen“ lässt das eigene positive Ziel offen, und „rechts“ läuft auf einen Schlagetotbegriff hinaus – er verwischt die starken Unterschiede zu „rechtspopulistisch“, „rechtsextrem“ und „rechtsterroristisch“.

„Eine gefährliche Nazi-Partei“

 „Die AfD ist eine gefährliche Nazi-Partei“: Dieses Diktum, jüngst u. a. vom nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten, Hendrik Wüst (CDU), geäußert, ist beides: einerseits eine schlimme Verharmlosung des Nationalsozialismus und andererseits eine billige Dämonisierung der AfD. Derartigen sprachlichen Überbietungswettbewerben gegen diese Partei mangelt es nicht nur an Urteilskraft, sondern sie fruchteten bisher auch nicht. Im Gegenteil: Schrille Töne provozieren „Jetzt erst recht“-Stimmen für die AfD.

Der rechte Populismus mit seinen Attacken gegen die politische Elite ist kein spezifisch deutsches, sondern ein europäisches Phänomen. In Österreich wird die Auseinandersetzung mit der FPÖ, die ähnliche Positionen wie die AfD vertritt, besser geführt, obwohl diese EU-kritische Partei nach den Umfragen ein besseres Ergebnis bei den Wahlen zum Europäischen Parlament zu gewärtigen hat als die AfD. Beide gehören dort der Fraktion Identität und Demokratie an, zusammen mit dem französischen Rassemblement National und der italienischen Lega.

Um den Bogen zum Anfang zu schlagen: Die Parallelen zur ersten deutschen Demokratie greifen in vielerlei Hinsicht zu kurz. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine stabile parlamentarische Demokratie, innenpolitisch gefestigt und außenpolitisch im westlichen Bündnissystem verankert, kein autoritär semi-präsidentielles System wie die Weimarer Republik, die in der Weltwirtschaftskrise mit vielen Millionen von Arbeitslosen in einer verzweifelten Lage war. Längst akzeptieren Militär, Justiz und Bürokratie demokratisches Gedankengut. Zudem fehlen heutzutage revolutionäre Parteien wie die NSDAP und die KPD mit ihren zugehörigen Wehrverbänden (SA und Rotfrontkämpferbund), die sich Straßenschlachten mit tödlichen Ausgängen lieferten.

Wer das alles diagnostiziert, ist deswegen nicht blind für Schattenseiten der deutschen Demokratie. Denn in der Tat gibt es gravierende Probleme, etwa in der Energiepolitik und beim Klimaschutz, wie die verbreitete Proteststimmung signalisiert. Alarmismus in der Politik und in den Medien zählt ebenso dazu. Er ist kein guter Ratgeber.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Eckhard Jesse (*1948) ist em. Prof. an der TU Chemnitz. 2007–2009 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft, bekannter Extremismus-, Parteien- und Wahlforscher. Jüngstes Werk: „Interventionen“, Nomos, 2023.

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