Sie sind das sichtbarste Zeichen einer Konzertwelt, die den Wienern sonst so gut wie verborgen bleibt: die umstrittenen Kartenverkäufer in der Innenstadt.
Mozart und Strauß überall

Als Tourist in der Musikstadt Wien: Was wird Besuchern hier vorgespielt?

Von Mozart-Verkäufern, Touristenorchestern und Mitmach-Ausstellungen: Einblick in eine umkämpfte musikalische Parallelwelt, von der das Wiener Publikum fast nichts weiß.

Der Dresscode ist locker an diesem Abend im Großen Saal des Wiener Musikvereins. Außer für die 30 Musikerinnen und Musiker, die unter Applaus auf die Bühne treten: Jeder und jede Einzelne von ihnen ist von Kopf bis Fuß, von der weißen Perücke bis zu den Strumpfhosen, als bunt glänzender Mozart-Lookalike gekleidet.

In diesem Aufzug spielen sie, ebenda, wo jedes Jahr das weltberühmte Neujahrskonzert stattfindet, ein Potpourri der bekanntesten Melodien aus der österreichischen Musikgeschichte: Den ersten Satz der „Kleinen Nachtmusik“, eine Arie der „Königin der Nacht“ (je höher die Koloraturen, desto lauter der Applaus) aber auch – ungeachtet der Verkleidung – den „Donauwalzer“ und am Ende den „Radetzky-Marsch“. Wie beim Neujahrskonzert dreht sich der Dirigent (ebenfalls in roter Mozart-Kluft) zum Publikum und lässt es im Takt mitklatschen, bis er plötzlich demonstrativ erstarrt: ein Test! Die Besucher klatschen fröhlich weiter, der Dirigent schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, unter allgemeinem Gelächter. Lustig ist das Musikleben.

Wienerinnen finden sich im Publikum kaum. Kritiker erst recht nicht. Dafür geben rund 1300 Tripadvisor-Bewertungen dem „Wiener Mozart Orchester“ das Prädikat „Sehr gut“.

Touristenorchester buhlen um Publikum – mit fast täglichen Konzerten

Kein anderes Orchester steht so oft auf dem Spielplan des Musikvereins wie dieses: Vier Mal die Woche spielt es hier ab April, sechs Mal die Woche in den Sommermonaten, meist im Großen Saal. Und es ist nicht die einzige Gruppe, die in Wien in derartiger Frequenz aufgeigt. Unbemerkt von den meisten Wienern hat sich ein so florierender wie umkämpfter Markt etabliert: Etwa zehn Ensembles – trotz ihrer Größe gern „Orchester“ genannt – buhlen mit fast täglichen Konzerten um die Touristen.

Das Wiener Mozart-Orchester, stets in Perücke und Kostüm.
Das Wiener Mozart-Orchester, stets in Perücke und Kostüm. Daniel Willinger

Das Schloss-Schönbrunn-Orchester bespielt täglich die Orangerie, das Wiener Residenzorchester das Palais Auersperg, das Salonorchester Alt-Wien den Kursalon im Stadtpark. Dazu kommen das Wiener Hofburgorchester, Wiener Kaiser-Orchester und das Wiener Royal-Orchester, das es auf der Plattform Tripadvisor auf Platz 39 der Wiener Sehenswürdigkeiten geschafft hat – vor dem Riesenrad. Quasi abgespalten vom Mozart-Orchester hat sich die Schloss-Capelle, die bewusst nicht in historischer Verkleidung musiziert und ganze Werke – vor allem Vivaldis „Jahreszeiten“– im Programm hat.

Sonst stehen Mozart und die Walzerdynastie der „Sträuße“ im Mittelpunkt. Und nicht selten heißt es, hier seien sogar Mitglieder der Wiener Philharmoniker am Werk. Das steht sogar auf der Website des Wien Tourismus. Wobei es tatsächlich vorkommen kann, dass auf dem Podium Gesichter zu erkennen sind, die man in der Wiener Staatsoper im Orchestergraben sehen kann: Mitglieder des Bühnenorchesters der Staatsoper gehören zum Musikanten-Pool, aus dem Konzert für Konzert – quasi via telefonischen Rundruf – die Ensembles gebildet werden.

Philharmoniker mit Perücke?

Tatsächlich sind großteils Profimusiker beschäftigt, aus dem Radio-Symphonieorchester oder aus den Reihen der Tonkünstler. Aber dass ein aktiver Philharmoniker regelmäßig in einem Touristenorchester mitspielen könnte, wie den Besuchern hier suggeriert wird? Peter Hosek hält das für undenkbar: „Damit zu werben ist ein Wahnsinn. Damit versucht man, sein Produkt besser erscheinen zu lassen, als es ist.“

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