In umgewidmeten Telefonzellen, alten Tankstellen oder eigens gefertigten Kästen finden sich oft Schätze, auf die man selbst nie gekommen wäre.
Der Zufall bereitet oft die größte Freude. Dann nämlich, wenn er einen Schatz hervorzaubert, von dem man gar nicht wusste, dass es ihn gibt. Und den man plötzlich in der Hand hält, geborgen aus etwas, das keinen Wert mehr hat – zumindest keinen kommerziellen. Offene Bücherschränke sind so etwas wie ein Gnadenhof für bedrucktes Papier zwischen Buchdeckeln. Für Bücher, die jahrelang auf Dachböden in Kisten gelegen sind oder für die es sonst kein Heim mehr gibt.
Natürlich, einige landen auch auf Flohmärkten oder auf Plattformen wie Willhaben. Doch vielen traut man nicht mehr zu, ein paar Euro in die Kassa zu spülen. Immerhin, Bücher einfach wegzuschmeißen bringen viele nicht übers Herz. Und so landen dann doch Tausende alte Werke in offenen Regalen in der Hoffnung, dass sie noch jemandem Freude machen.
Rund 15 Jahre ist es her, dass in Wien Neubau der erste offene Bücherschrank des Landes aufgestellt wurde. Ein Glaskasten, künstlerisch gestaltet unter anderem von Hermann Nitsch und Valie Export, brachte die Idee des unkomplizierten und kostenfreien Austauschs von Büchern in die Stadt. Zunächst argwöhnisch von den Behörden beäugt, konnte die Bevölkerung durchaus etwas damit anfangen.
Nicht zum Weiterverkaufen
Wer alte Bücher loswerden möchte, kann sie hier abgeben. Wer etwas entdeckt, kann es sich mitnehmen. Und damit die Kästen nicht von Weiterverkäufern geräumt werden und Bücher womöglich wieder zum Verkauf gelangen, werden sie gekennzeichnet. Mit Stempeln oder Pickerln wird klargemacht, dass diese Bücher den Kreislauf von Kaufen und Verkaufen verlassen haben.
Die Idee verbreitete sich weiter, immer mehr offene Bücherschränke schossen aus dem Boden. Mittlerweile finden sich selbst in kleinen Ortschaften am Land solche Einrichtungen. In alten Telefonzellen, in zur Bücherwaage umgestalteten alten Waagen aus der Landwirtschaft oder in aufgelassenen Tankstellen. Mehr als 750 Stück zeigt die Wikipedia-Liste der öffentlichen Bücherschränke in Österreich. Anspruch auf Vollständigkeit gibt es natürlich keinen.
Vollständigkeit ist auch beim Inhalt keine Kategorie. Und genau das ist das Schöne daran: dass man eben immer wieder auf Bücher stößt, die es in keiner Buchhandlung mehr gibt. Und nach denen man auch nicht aktiv suchen würde. „Alles für ihn!“ zum Beispiel, ein Kochbuch aus dem Jahr 1961, das aus heutiger Sicht ziemlich jenseitig wirkt. „Nur jene Frau wird daher in ihrer Ehe erfolgreich sein können, die es versteht, das geistige wie auch das körperliche Wohl ihres Mannes stets im Auge zu behalten“, heißt es etwa darin.
Was die Menschen hier lesen
Zufallsfunde wie diese geben auch eine Ahnung, wie das Leben der Menschen ist oder früher gewesen sein muss – immerhin muss ein solches Buch ja auch gelesen oder zumindest gekauft worden sein. Und man bekommt auch mit, dass in den Haushalten vor allem Massenware die Bücherregale füllt. Johannes Mario Simmel, Heinz G. Konsalik und wie sie alle heißen, aus neuerer Zeit auch erstaunlich oft „Fifty Shades of Grey“.
Es ist aber vor allem die Spannung, auf Unerwartetes zu stoßen. „Analog stierln“ ist ein guter Begriff dafür. Und wenn der Zufall dann die Regie übernimmt, geht man vielleicht mit einem Werk nach Hause, von dem man bisher nicht wusste, dass es existiert. Klausjürgen Wussows „Mein Leben als Chefarzt Dr. Brinkmann von der Schwarzwaldklinik“ zum Beispiel. So etwas muss eine Buchhandlung erst einmal schaffen …