Ostwestkonflikt

Nato berät in Brüssel über massiv verstärkte Aufrüstung

Leopard-2-Kampfpanzer der tschechischen Armee bei einem öffentlichen „Panzer-Fest“ im Militärmuseum Lesany im vorigen Herbst (Symbolbild).
Leopard-2-Kampfpanzer der tschechischen Armee bei einem öffentlichen „Panzer-Fest“ im Militärmuseum Lesany im vorigen Herbst (Symbolbild).Imago / Vit Simanek
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Angesichts des Ukrainekrieges gab es 2023 einen starken Anstieg der Verteidigungsbudgets der meisten Nato-Länder, das Thema Rüstung hat wieder Gewicht. Allerdings bemerkte Europa, wie schwach es nach Jahrzehnten Abrüstung ist.

Brüssel/Kiew. Die Verteidigungsminister der 31 Nato-Staaten haben am Donnerstag über die weitere Zusammenarbeit mit der Ukraine im Krieg gegen Russland und den laufenden Ausbau der eigenen Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten des Bündnisses beraten. Zudem wollte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein Norweger, bei dem Treffen in der Brüsseler Bündniszentrale über die Entwicklung der Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten informieren.

Das Treffen steht unter anderem vor dem Hintergrund der Stagnation der Fronten im Ukraine-Krieg, was sich heuer zu Ungunsten der Ukraine auswirken könnte. Dazu kommen Zweifel an der Unterstützung der Europäer im Kriegsfall durch die Nato-Spitzenmacht USA nach einem Wahlsieg des Republikaners Donald Trump im November und die mittlerweile endlich auch weitläufig bekannte Tatsache, dass die Streitkräfte der meisten europäischen Nato-Länder und Kanadas recht brustschwach geworden sind, dass es ihnen etwa an Einsatzbereitschaft, Material, Munition und Motivation in der Bevölkerung mangelt.

Nato-Chef Stoltenberg schwingt den Hammer des Vorsitzender der Nato-Tagung in Brüssel.
Nato-Chef Stoltenberg schwingt den Hammer des Vorsitzender der Nato-Tagung in Brüssel.Reuters / Johanna Geron

Den jüngsten Angaben zufolge wurde 2023 immerhin ein beispielloser Anstieg der Verteidigungsausgaben von Mitgliedstaaten registriert. Rund 40 Prozent der Bündnisstaaten (konkret 13) dürften allerdings auch heuer noch das Ziel verfehlen, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. Dazu gehören unter anderem militärisch prinzipiell potente Länder wie Italien und Spanien, aber auch kleinere wie Belgien und Luxemburg.

Deutschland will aus dem Sumpf

Der deutsche Verteidigungsminister, Boris Pistorius, hob am Donnerstag vor dem Treffen hervor, dass Deutschland in diesem Jahr die Zwei-Prozent-Marke erfüllen wird. „Das ist ein wichtiges Signal“, sagte Pistorius. „Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif.“ Anspruch Deutschlands müsse sein, zusammen mit anderen das „konventionelle Rückgrat“ der Verteidigung zu sein. Zudem sei Deutschland die „logistische Drehscheibe“ der NATO in Europa. „Damit übernehmen wir Führungsaufgaben.“

Gerade die deutsche Bundeswehr ist allerdings in den Jahrzehnten nach Ende des Kalten Krieges zum Paradebeispiel eines einst starken Militärs geworden, das auch aus naiv-pazifistischen Motiven heraus seither materiell, finanziell und personell ausgehöhlt wurde, heute nur noch in Bruchteilen funktionsfähig ist und sich scheinbar mehr um Themen wie Umweltschutz, Vereinbarkeit von Dienst und Familie und Gendern im Militär kümmert. Kleinere Nato-Streitkräfte wie etwa jene Polens und Griechenlands haben schon aufgrund der höheren Motivation dort vermutlich mehr Kampfkraft.

Polnische Kampfpanzer bei einer Parade zum Tag der Armee vorigen August in Warschau. Ähnliche Jubelszenen würden heute in Deutschland eher ungewöhnlich sein.
Polnische Kampfpanzer bei einer Parade zum Tag der Armee vorigen August in Warschau. Ähnliche Jubelszenen würden heute in Deutschland eher ungewöhnlich sein.APA / AFP / Wojtek Radwanski

Auch Frankreich will heuer das Finanzziel erfüllen, ein Jahr früher als geplant. Verteidigungsminister Sebastien Lecornu sagte, mit geplanten 413 Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre habe das neue Militärprogrammgesetz 2024-2030 die Verteidigungsausgaben erheblich erhöht.

Im Vordergrund der Beratungen in Brüssel stand erneut die weitere Unterstützung der Ukraine. Zu Mittag tagte der neu geschaffene Nato-Ukraine-Rat. Kiew fehlt es vor allem an Munition, Artillerie und Flugabwehrwaffen. An der Ostfront haben die russischen Streitkräfte zuletzt Vorstöße verbuchen können.

Händeringende Appelle an US-Kongress

Stoltenberg warnte das US-Repräsentantenhaus vor einer weiteren Blockade der von der Regierung von Präsident Joe Biden geplanten Militärhilfen für die Ukraine. „Wir sehen bereits die Auswirkungen der Tatsache, dass die USA bisher nicht in der Lage waren, eine Entscheidung zu treffen“, sagte er. „Wenn wir Putin gewinnen lassen, wäre das nicht nur (. . .) eine Tragödie für die Ukrainer, sondern auch gefährlich für uns.“

Mit dem Senat hatte jüngst eine der beiden Kammern des US-Kongresses nach langen Verzögerungen Plänen für neue Ukraine-Hilfen im Wert von rund 60 Milliarden US-Dollar (knapp 56 Milliarden Euro) zugestimmt. Die Zustimmung des Repräsentantenhauses gilt aber weiter als offen, weil dort die Republikaner eine knappe Mehrheit haben. Abgeordnete vom rechten Rand der Partei stemmen sich gegen weitere US-Hilfen.

Für Deutschland hatte Minister Pistorius der Ukraine am Mittwoch die Lieferung von deutlich mehr Munition zugesagt. Es gehe voraussichtlich um das „Drei- bis Vierfache“ an Artilleriegeschossen im Vergleich zu 2023. „Wir werden die Kapazitäten weiter hochfahren.“

Allianzen für Drohnen und Minenräumung

Unterdessen wurde bekannt, dass Lettland eine Allianz zur Lieferung von einer Million Kampf- und Aufklärungsdrohnen an die Ukraine anführen wird. Laut dem Verteidigungsministerium in Riga stehen vorerst sechs Länder dahinter. Sie verpflichten sich, die Drohnenproduktion auszuweiten und die Ukraine zu beliefern. Großbritannien kündigte vorerst die Lieferung Tausender weiterer Drohnen an.

An derart kleine Drohnen hängen die Ukrainer Bomben und Hohlladungen und greifen damit unter anderem gepanzerte Fahrzeuge äußerst wirkungsvoll an.
An derart kleine Drohnen hängen die Ukrainer Bomben und Hohlladungen und greifen damit unter anderem gepanzerte Fahrzeuge äußerst wirkungsvoll an.Reuters / Viacheslav Ratynskyi

Litauen und Island wiederum werden eine Allianz zur Räumung von Minen in der Ukraine leiten, an der sich mehr als 20 Länder beteiligen wollen. (APA/DPA/wg)

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