Luftfahrt

Chinas großer Sprung in die Lüfte: Comac sagt Airbus und Boeing den Kampf an

Das erste im Land hergestellte Flugzeug der Klasse: Chinas Comac C919 auf Premierenflug außerhalb des Festlands (über Hongkong am 16. Dezember 2023).
Das erste im Land hergestellte Flugzeug der Klasse: Chinas Comac C919 auf Premierenflug außerhalb des Festlands (über Hongkong am 16. Dezember 2023). Reuters/Tyrone Siu
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In der Elektromobilität stürmte China in Windeseile an die Weltspitze. Derlei Ambitionen hegt das Land auch in der Luftfahrt: Der kommende Rivale von Airbus und Boeing formiert sich bereits. Wann wird er ihre Flughöhe erreicht haben?

Am 10. Februar ging in China das Jahr des Hasen zu Ende (abgelöst vom Jahr des Holzdrachen). Der reaktionsschnelle, sprintstarke Hase sorgte dafür, dass in der Industrie einige Uhren neu zu stellen sind.

Der größte Automarkt der Welt ist China schon länger. Im letzten Quartal des Vorjahres überholte die chinesische Marke BYD Tesla als weltgrößter Hersteller von Elektroautos. Zeitgleich passierte China als Autoexportnation erstmalig Japan. Dabei befindet sich dieser Zweig noch in seiner frühen Wachstumsphase: Weniger als acht Prozent der heimischen Autoproduktion von 26,1 Mio. Stück ging 2023 in andere Länder.

Eine Quote, bei der es nicht bleiben wird. In der Elektromobilität ist China technologisch und nach Stückzahlen führend, man hat neben den erforderlichen Ressourcen auch die weltweit mächtigsten Batteriehersteller im Land.

Die Marken, die jetzt zuvorderst in Europa in neue Märkte drängen, sind keine wackligen Start-ups, sondern gestählt durch den intensiven Wettbewerb zu Hause. Einzig Tesla aus den USA ist in der Lage, das Tempo bislang einigermaßen mitzugehen. Wobei man wissen sollte, wo die nach Ausstoß größte Fabrik von Tesla steht: in Shanghai. So kommen beispielsweise 40 Prozent der 2023 in Österreich neu zugelassenen Tesla nicht aus dem nahen Werk Grünheide bei Berlin, sondern aus dem chinesischen Werk.

Junger Industriezweig. Ein starkes, eher früher als später auch weltweit führendes Exportgeschäft gehört zu Chinas Expansionsstreben. Inzwischen ist die Volksrepublik auch bei der Verbrennertechnologie, angeeignet durch günstige Beteiligungen in Europa, wo man sie voreilig abschrieb, bei der Musik dabei.

Eine imposante Bilanz, denn die Ursprünge der chinesischen Autoindustrie liegen erst 40 Jahre zurück: Es war ein Werk in Shanghai, in der ersten „Sonderwirtschaftszone“ des Landes, in dem 1984 ein Joint-Venture der staatlichen SAIC-Gruppe mit Volkswagen den Betrieb aufnahm (damals rollte die China-Version des VW Santana vom Band).

Die Initiative der Chinesen zielte ursprünglich ganz auf eine Fertigung für den Export zur Devisengewinnung ab – einen Inlandsmarkt (über Taxis und Autos für Parteikader hinaus) konnte man sich damals schlicht nicht vorstellen, noch war ja das ganze Land auf dem Fahrrad unterwegs. Die Überzeugungsarbeit leistete Volkswagen, ebenso wie Vorarbeiten zum Aufbau einer regionalen Zulieferindustrie – der Grundvoraussetzung für eine wertschöpfende Fahrzeugproduktion im Land.

Premiere über Hongkong: Erstflug der C919 außerhalb des Festlands am 16. Dezember.
Premiere über Hongkong: Erstflug der C919 außerhalb des Festlands am 16. Dezember. Reuters

Chinas konkret gefasste Pläne, die Elektromobilität strategisch als Geschäftsfeld für eine große Expansion zu bestellen, reichen wiederum etwa 15 Jahre zurück. Das rasante Tempo der staatlich konzertierten Aufholjagd vermittelt einen Eindruck von der Dynamik, mit der China inzwischen auch in einer anderen Sparte unterwegs ist – in sozusagen höheren Sphären.

Nationales Ereignis: Der kommerzielle Jungfernflug der C919 im Mai 2023. Es ist das erste im Land gebaute Flugzeug dieses Typs.
Nationales Ereignis: Der kommerzielle Jungfernflug der C919 im Mai 2023. Es ist das erste im Land gebaute Flugzeug dieses Typs. Comac

Start in Shanghai. Die kommerzielle Luftfahrt ist heute ein Duopol von Airbus aus Europa und Boeing aus den USA, und im Grunde ist das seit einem halben Jahrhundert so (heuriges Airbus-Jubiläum: Im Mai 1974 nahm mit dem A300 der erste Jetliner des Hauses den Flugbetrieb auf).

Aber auf der Party ist ein dritter Sitzplatz reserviert, und den Namen des neuen Players kann man sich schon einmal merken: Comac, für Commercial Aircraft Corporation of China. Das unter staatlicher Aufsicht stehende Konsortium verschiedener Industriegrößen (unter anderem Alu und Chemie) wurde 2008 gegründet.

Erneut ist Shanghai Heimat und Schauplatz eines industriellen und technologischen Kraftakts, der ebenfalls im Vorjahr einen Markstein hinterließ: Am 28. Mai startete eine Comac C919 zu ihrem ersten kommerziellen Linienflug, ein nationales Ereignis. In dem Zwei-Stunden-Flug ging es mit 128 Passagieren an Bord von Shanghai nach Peking.

Die C919 ist ein zweistrahliges Schmalrumpfflugzeug, der im Linienbetrieb weltweit meistverbreitete Flugzeugtyp („narrow body“, im Unterschied zu „wide bodies“-Groß­raumflugzeugen mit zwei Gängen wie Boeing 747 und Airbus A380). Diesen Markt beherrscht Airbus, seit fünf Jahren der nach Auslieferungen größte Flugzeughersteller der Welt, mit derzeit 62 Prozent Anteil.

Airbus‘ Bestseller: A321neo bei der Paris Air Show in Le Bourget, 2017.
Airbus‘ Bestseller: A321neo bei der Paris Air Show in Le Bourget, 2017. Reuters/Pascal Rossignol

Bestseller ist der Typ A320 samt Derivaten vor der 737 von Boeing. Aktuell liegt Airbus mit einem Verhältnis von zwei zu eins bei den gefragten Schmalrumpftypen klar in Führung. Beruhigend, wenn auch hübsch fordernd der Auftragsbestand von über 7100 Flugzeugen.

Bald der Dreikampf in der Luft?

Das anhaltende Formtief bei Boeing beunruhigt längst die Branche, die nur in einem gesunden Konkurrenzkampf der zwei Großen eine stabile Zukunft für alle Beteiligten sieht (Airlines inklusive). Einstweilen sind es ausgerechnet die langen Wartezeiten bei Airbus, die dem Konkurrent aus Seattle das Auskommen sichern.

Dass daraus einmal ein Dreikampf wird, sollte niemand bezweifeln – hinter Comac steht die geballte nationale Anstrengung eines wirtschaftlichen Giganten mit weitreichenden strategischen Ambitionen. Doch der Weg zu einer eigenen Flugzeugindustrie ist auch für China weit und beschwerlich. Nicht ganz zufällig gewählt Comacs Motto: „Niemals aufgeben!“

Flugzeugbau ist Hochtechnologie und erfordert ein komplexes Netzwerk an hochspezialisierten Zulieferern, wie es in den USA und in Europa über den Zeitraum einiger Jahrzehnte gewachsen ist.

»»Die Welt kann drei starke Hersteller gebrauchen. Wir sähen Comac gern mit im Bunde.««

Michael O’Leary

CEO von Ryanair

Die C919 ist zwar das erste in China gebaute Flugzeug dieses Typs. Comac kann ein Flugzeug im Land zusammenbauen, doch die wesentlichen Komponenten – Triebwerke, Avionik, Fahrwerke – bezieht man aus den verfügbaren Ressourcen des Weltmarkts, der auf einen dritten Abnehmer nicht eingerichtet ist.

Die beschränkte Lieferfähigkeit etwa bei den Triebwerken (die gleichen wie beim A320) sorgt dafür, dass derzeit nicht mehr als fünf C919 pro Monat entstehen. Ein eher symbolischer Output allein für Chinas große Airlines, die zusammen etwa 2600 Flugzeuge betreiben. Dies ist immer noch – aber wohl nicht für immer – der Markt von Airbus und Boeing.

Die Ansiedlung einer Zulieferindustrie im Land ist das große Rad, an dem Comac zu drehen hat. Experten schätzen, dass es 20 bis 30 Jahre dauern wird, bis mit Airbus und Boeing Vergleichbares in China geschaffen ist. Doch welche Prognosen hätte man vor 20 Jahren im Automobilsektor abgegeben? Ein Professor einer Shanghaier Universität, die an der Entwicklung der C919 beteiligt ist, zitiert in der „Financial Times“: „Der Aufbau einer inländischen Flugzeugproduktion wird schneller kommen, als alle glauben.“

Japan hat eine starke Flugzeugindustrie, von der genügend kritische Bauteile in jedem großen Jet der Welt stecken. Aber keinen Hersteller, der mit Airbus und Boeing in den Ring steigt. Kanadas Bombardier hatte den Ehrgeiz mit einem Konkurrenzprodukt – doch die Unternehmung gehört inzwischen Airbus (der Bombardier-Flieger ist als A220 in der Luft). Embraer aus Brasilien hat es fast die Existenz gekostet, als Boeing im letzten Moment von der Akquisition zurücktrat. So konzentriert sind die Kräfteverhältnisse am Markt. ­„Niemals aufgeben“ scheint ein gutes Motto.

Über Hongkong: Comac C919.
Über Hongkong: Comac C919.Reuters/Tyrone Siu

Abflug

75 Flugzeuge des Typs A320 sollen ab 2026 in zehn Werken von Airbus gefertigt werden.

251 Stück vom Wide-Body-Typ A380 hat Airbus von 2005 bis zur Einstellung 2021 gebaut. In der 46 Meter hohen Montagehalle bei Toulouse werden künftig die kleineren A320 gefertigt.

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