Freispruch im Zweifel

Mutmaßlicher IS-Kämpfer freigesprochen: „Nur meine Freundin besucht“

Im Landesgericht für Strafsachen Wien fand am Montag unter sehr strengen Sicherheitsvorkehrungen der Terrorprozess gegen einen 27-jährigen Tschetschenen statt.
Im Landesgericht für Strafsachen Wien fand am Montag unter sehr strengen Sicherheitsvorkehrungen der Terrorprozess gegen einen 27-jährigen Tschetschenen statt.Caio Kauffmann
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Ein 27-jähriger, wegen Gewaltdelikten siebenfach vorbestrafter Mann, stand vor Gericht, weil er 2014 für die Terrormiliz Islamischer Staat gekämpft haben soll. Beweisen ließ sich das nicht. Daher erfolgte ein Freispruch im Zweifel.

Schon Ende 2018 wurde D. (27) vom Vorwurf der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Zweifel freigesprochen. Danach erwirkte die Staatsanwaltschaft Wien eine Verfahrens-Wiederaufnahme. Am Montag, bei der Neuauflage des Prozesses im Straflandesgericht Wien, kam es zum selben Resultat. Erneut musste der Angeklagte freigesprochen werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Laut Anklage hat D. vor ungefähr zehn Jahren, als 18-Jähriger, an einem Kampfeinsatz der Terrormiliz IS in Syrien teilgenommen. Mit einem Auto, gemeinsam mit zwei Bekannten, soll D. via Bulgarien und die Türkei nach Syrien gelangt sein. Nach seiner Rückkehr nach Österreich wurde der Mann, dessen Familie von Tschetschenien nach Österreich geflohen war, mehrfach straffällig. Wegen diverser Gewalttaten – etwa wegen eines Angriffs auf einen Justizwachebeamten – fasste er mehrjährige Haftstrafen aus, sodass er seit neun Jahren hinter Gittern sitzt. Die Richterin dazu: „Ihre Vorstrafen zeichnen Sie durch Gewalttätigkeiten aus.“

Strenge Bewachung mit Hand- und Fußfesseln

Dieser Umstand und wohl auch die Tatsache, dass es zuletzt nicht weniger als fünf Fluchten bei Ausführungen aus den Haftanstalten gegeben hatte (vier der fünf Gefangenen konnten erneut verhaftet werden), sorgte nun dafür, dass die Behörden in Sachen Sicherheit nichts riskieren wollten. Elf schwer bewaffnete Uniformierte, teils Angehörige der Justizwache, teils Polizisten, sicherten den angeklagten Tschetschenen innerhalb des Gerichtssaals. Einige dieser Bewacher waren mit Sturmgewehren ausgestattet, trugen Helme, Masken und Splitterschutzwesten. Zudem sicherten auch zivile Kräfte den Saal. Überdies war der Angeklagte mit Handfesseln gesichert, diese waren an einem Bauchgurt fixiert, den der Mann ebenfalls trug. Außerdem hatte man ihm Fußfesseln angelegt – diese trug er auch während seiner Einvernahme. Auch vor dem Saal hatten schwer bewaffnete Uniformierte Aufstellung genommen.

Die Anklage beruhte auf einer brisanten Zeugenaussage: Einer der früheren Zellengenossen von D. hatte angegeben, dass ihm letzterer auf einem in die Haft geschmuggelten Mobiltelefon Bildmaterial von Kampfhandlungen gezeigt habe. Diese Angaben zog der Mann – er „sitzt“ noch und wurde ebenfalls mit Bauchgurt und Handfesseln aus der Haft vorgeführt – im Zeugenstand nun wortreich und weinerlich zurück. Auffällig oft entschuldigte er sich bei D. und dessen Familie, die zum Teil im Gerichtssaal anwesend war.

Ein auffallend ängstlicher Zeuge

Die Richterin drohte ihm eine Verfolgung wegen Falschaussage an. Dies nahm der Zeuge in Kauf und erklärte, dass er aktuell die Wahrheit sage. Was er früher über D. zu Protokoll gegeben habe, sei unrichtig gewesen. Er habe damals ein Drogenproblem gehabt. Und habe unbedachte Äußerungen gemacht. Außerdem habe er D. damals nur einen kleinen Denkzettel verpassen wollen, weil dieser der bessere Ringer gewesen sei. In Wahrheit aber habe er von D. nie irgendwelche Erzählungen über Kampfeinsätze gehört. Als die Staatsanwältin dem Zeugen erklärte, dass einige der früher getätigten Aussagen aber verifiziert werden konnten, entgegnete dieser, dass er dann wohl rein zufällig ins Schwarze getroffen habe.

Im Sinne der Anklage waren nun auch Angaben des Staatsschutzes. Laut Staatsanwältin habe man im Oktober 2015 im syrischen Kriegsgebiet einen USB-Stick mit einem Datensatz gefunden, der 1700 Einreisebewegungen von ausländischen IS-Sympathisanten dokumentierte. Der USB-Stick sei in den Besitz des FBI gelangt. Nun sei es der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) gelungen, eine gerichtsverwertbare Kopie des Datenblatts zu bekommen, das den Angeklagten betrifft: „Das lässt keinen anderen Schluss zu, als dass er vom IS erfasst wurde.“

DSN-Mann: „IS-Zellen in Österreich“

Dazu teilte ein DSN-Beamter als Zeuge mit, der IS sei „wie eine Regierung aufgebaut. Die führen genau Buch“. Daher würden auch die Daten ausländischer Kämpfer festgehalten. Der von einem Partnerdienst übermittelte Datensatz mit den IS-Kämpfern habe 25 Personen mit einem Österreich-Bezug enthalten. Sieben von ihnen, darunter der Angeklagte, habe man identifizieren können: „Die Identifizierung war eine Zusammensetzung aus mehreren Informationen und forensischen Untersuchungen, die analytisch aufbereitet und bewertet wurden. Man ist zum Schluss gekommen, dass er die Person ist.“ Es bestünde „keine Verwechslungsgefahr“. Der DSN-Beamte merkte dazu noch an, dass noch mehr Beweismaterial „von Europol und Interpol“ existiere, „das leider nicht gerichtlich freigegeben ist“. Und auch das ergänzte der DSN-Mann: „Wir haben viele IS-Zellen auf österreichischem Bundesgebiet.“

Der Angeklagte sitzt seit seinem 19. Lebensjahr durchgehend in Strafhaft, gegenwärtig in der Justizanstalt Graz-Karlau. Er ist beinahe ausschließlich wegen Gewalttaten vorbestraft, zuletzt wurde er im Sommer 2022 für den Angriff auf einen Justizwachebeamten im Gefängnis Krems-Stein zu sechs Jahren Haft verurteilt. D. war mit einem Buttermesser auf den Beamten losgegangen. Dabei hatte er „Allahu akbar“ (Gott ist groß) gerufen.

Während seiner Inhaftierung sympathisierte der 27-Jährige mit dem IS. Auf seinem Handy wurden IS-Propagandamaterial und Foltervideos sichergestellt. In seiner Zelle in der Justizanstalt Graz-Karlau zerriss er eine Bettdecke und bastelte daraus eine Puppe, die eine Maschinenpistole in der Hand hielt. Am Fußboden seiner Zelle brachte er den Schriftzug „Jihad“ an.

Tumulte im Saal

Letztlich aber reichten die Beweise nicht für einen Schuldspruch. D. selbst hatte einen Aufenthalt in Syrien bestritten. Er sei lediglich in die Türkei gefahren. Dort habe er seine Freundin besucht. Diese Version bestätigten auch Landsleute des Tschetschenen. Einer tat dies in so rüdem Ton, dass die Richterin mahnte: „Wir erwarten Respekt von Ihnen, Sie sind hier in einem Gericht.“ Der Konter des Zeugen folgte prompt: „Ich erwarte auch Respekt.“

Auch der Vater des Angeklagten mischte sich während der Verhandlung mit einem Zwischenruf ein. Die Richterin: „Jetzt gehen Sie, bevor Sie noch eine Ordnungsstrafe bekommen. Das ist ja hier kein Kaspertheater.“ Daraufhin verließ der Mann murrend den Saal.

Die Richterin machte dem Angeklagten schlussendlich klar: Der Freispruch sei nicht erfolgt, „weil wir Ihnen die nette Geschichte mit der türkischen Freundin geglaubt haben.“ Aber der Zeuge, der seine ursprünglich belastenden Angaben nicht mehr aufrechterhalten hatte, sei sehr wohl für das Urteil maßgeblich gewesen.

„Aber es war knapp“

Zum anderen verwies die Richterin auf Unstimmigkeiten hinsichtlich des bereits erwähnten IS-Datenblatts, das dem FBI zugespielt worden war. Da gebe es bezüglich der Person des Angeklagten „grobe Abweichungen zu den Daten und zur Schreibweise des Namens“. Die Beweislage habe für eine Verurteilung „halt nicht gereicht. Aber es war knapp“, bemerkte die Prozessleiterin abschließend.

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