Theater

Eine Orgie mit Österreichs Kultfiguren: Nestervals „Festbankett“ im Wien Museum

Historische Persönlichkeiten an, nein, auf einem Tisch: Zu finden sind auf diesem Bild u. a. Ingeborg Bachmann, Emilie Flöge, Peter Alexander, Adolf Loos und Christine Nöstlinger.
Historische Persönlichkeiten an, nein, auf einem Tisch: Zu finden sind auf diesem Bild u. a. Ingeborg Bachmann, Emilie Flöge, Peter Alexander, Adolf Loos und Christine Nöstlinger.vertigohyeah für Nesterval
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Von Mozart bis Mutzenbacher, von Hugo Portisch bis Romy Schneider: Sie alle lustwandeln durch den Traum, den die immersive Theatergruppe Nesterval im Wien Museum inszeniert.

Hans Moser lässt sich nicht beirren. „I hab so oft Schnitzler g’spielt“, sagt er zu Fischer von Erlach dem Älteren, „i erkenn a ,Traumnovelle’, wenn i ane vor mir seh!“ Da stehen die beiden mitten im jüngst wieder eröffneten Wien Museum, zwischen Stadtmodellen, Ritterrüstungen und Schiele-Gemälden, hier der Volksschauspieler in seinem „Hallo Dienstmann“-Kostüm, da der Architekt in seiner barocken Perücke. Und beide sind sie nicht echt, erklärt Hans Moser, den gerade eine Meta-Erkenntnis überkommt: „Wir sind offensichtlich alle Traumfiguren!“

Da sind sie in guter Gesellschaft: Die prominentesten Figuren der Wiener Kulturgeschichte lust- und traumwandeln in Gestalt spielfreudiger Darsteller durch die Säle des Museums, das die Wiener Immersionstheatergruppe Nesterval diese Woche bespielt (alle Termine sind ausverkauft). Inspiriert von Schnitzlers „Traumnovelle“ und Stanley Kubricks Verfilmung „Eyes Wide Shut“ lädt die Gruppe zum „Festbankett“. Wobei hier eben nicht nur Zuschauer geladen sind – in Abendkleidung und mit Augenmaske –, sondern auch allerlei Geister. Oder soll man sagen: die Protagonisten einer geheimen Fantasie?

Handlung? Egal: Hauptsache, starke Bilder

2019, vor dem Umbau des Wien Museums, hatte diese Produktion schon Premiere, nun wurde sie überarbeitet. Im Fokus steht nun weniger eine erzählte Handlung, mehr eine historisch aufgeladene (Schein-)Welt, durch die man sich treiben lassen kann. In den Szenen eine tiefere Bedeutung, in der geheimnisvollen Rahmenhandlung ein überzeugendes Narrativ zu suchen, bringt hier wenig. Alle inszenierten Geschehnisse mitzukriegen, wäre ohnehin unmöglich. Es geht um Exzess und Begierden, und irgendwie auch um verdrängte Schuld. Oder so. Egal: Spaß macht das „Festbankett“, wenn man es schlicht als sinnliches, bildstark inszeniertes Erlebnis betrachtet, in dem die Metaphorik der Schnitzler-Vorlage, vermanscht mit anderen rauschhaft-hypnotischen Inspirationen (etwa einer 20er-Jahre-Clubperformance aus der Serie „Babylon Berlin“) und etwas Wien-Nostalgie, zu einer Spielwiese für historische Persönlichkeiten aus unterschiedlichsten Epochen wird.

Gustav Klimt ist auch da.
Gustav Klimt ist auch da.vertigohyeah für Nesterval 

Da tummeln sich also Christine Nöstlinger und Peter Alexander, Hugo Portisch und Hedy Lamarr. „Ich habe gehört, dieses Fräulein existiert gar nicht wirklich“, sagt die Modeschöpferin und Klimt-Muse Emilie Flöge verächtlich über Josefine Mutzenbacher. Diese wirkt sehr existent: Frivol grinsend lockt sie hinab in den Museumskeller, verteilt Schnaps und führt mithilfe ihrer Gefolgschaft eine kokette Darbietung für Wolfgang Amadeus Mozart auf.

Nur nicht zu viel Traumdeutung

Franz Grillparzer führt in sein hier im Wien Museum installiertes „Grillparzer-Zimmer“, Franz Jonas schüttelt jedem Besucher in strahlendster Bürgermeister-Manier die Hand. Und wer hätte gedacht, dass sich beim Maskenball, diesem „geheimen Ort für alles Verruchte und Verbotene“, auch Ingeborg Bachmann blicken lässt? Wer dazu die Bilder im Kopf hat, in denen Tom Cruise in „Eyes Wide Shut“ in ein ausschweifendes Geheimtreffen vermummter Gestalten platzt, liegt nicht falsch: Ja, die Fantasie, die hier inszeniert wird, ist auch eine erotische (und Einlass erst ab 18). Der Wiener Schmusechor, langjähriger musikalischer Partner der Gruppe Nesterval, liefert dazu butterweiche Klänge.

Nestervals Faible für einprägsamen Augenschmaus und rauschhafte Dekadenz zeigt sich im fulminanten Showdown dieses „Festbanketts“. Der angekündigte „Abstieg in die Tiefen der eigenen Psyche“ bleibt indessen ein oberflächlicher. Ästhetik und Spielfreude betören hier aber allemal. Kurz: ein Traum, an den man nicht zu viel Traumdeutung verschwenden sollte.

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