Klima: Wandel

Geoengineering: Wer darf die Erde künstlich kühlen?

Schwefelige Partikel in der Atmosphäre könnten die Sonne verdunkeln und die Erde kühlen. Aber zu welchem Preis?
Schwefelige Partikel in der Atmosphäre könnten die Sonne verdunkeln und die Erde kühlen. Aber zu welchem Preis?Reuters
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Gut 50 Länder wagen sich an umstrittene Technologien, die mittels Geoengineering Wetter und Klima beeinflussen und die Erde künstlich kühlen sollen. Was fehlt, sind klare Regeln, um riskante Alleingänge zu verhindern.

Am Hochzeitstag darf es nicht regnen. Das ist klar. Am hundertsten Geburtstag der kommunistischen Partei in China übrigens auch nicht. Doch anders als die meisten Paare, hat Peking im Sommer 2021 nichts dem Zufall überlassen. Die Partei ließ im Vorfeld künstliche Wolken erzeugen und abregnen, damit der Himmel zum Festakt am Tian’anmen-Platz blau war. Die Operation „Blue Sky“ ist nur ein Beispiel, wie sich China und andere Großmächte daran machen, das Wetter nach ihrem eigenen Gutdünken zu gestalten. Schon im kommenden Jahr will die Volksrepublik in der Lage sein, im halben Land auf Knopfdruck zwischen Sonne und Regen wählen zu können.

Da der Welt langsam dämmert, dass sie ihr 1,5-Grad-Ziel zumindest vorübergehend verfehlen wird, wagen sich immer mehr Staaten an umstrittene Technologien, die Wetter und Klima beeinflussen und die Erde künstlich kühlen sollen. Die Schweiz fordert nun einen offenen Diskurs über die Chancen und Risiken. Diese Woche wollen die Eidgenossen bei der Versammlung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Nairobi anregen, dass sich die Staatengemeinschaft erstmals koordiniert mit dem umstrittenen Solar Geoengineering auseinandersetzt.

Sonnenschirme im Weltall. Unter diesem Begriff werden Techniken zusammengefasst, die – kurz gesagt – zum Ziel haben, weniger Sonnenlicht zum Planeten durchzulassen, um die Temperatur zu senken. Dafür soll etwa ein Schleier aus schwefeligen Partikeln in der Stratosphäre verteilt werden, wie das nach natürlichen Vulkanausbrüchen passiert. Diese Partikel reflektieren die Sonnenstrahlung zurück ins All. Andere Forscher wollen Mondstaub auf die Erde werfen oder gigantische Sonnenschirme im Weltall installieren. Schon heute Realität sind „Cloud Seeding“, also das künstliche Säen von Wolken, und „Cloud Brightening“, bei dem Wolken mit Salzkristallen geimpft werden, damit sie weißer werden und mehr Sonnenstrahlen ins All reflektieren.

Verglichen mit dem langwierigen und teuren Zurückfahren der Emissionen scheint Geoengineering vielen Staaten als billige und schnell umsetzbare Lösung. Das Problem: Es gibt keine internationalen Regeln für den Einsatz. Zudem sind die Methoden nicht ausreichend erforscht und bergen große Risiken. Der Weltklimarat IPCC warnt etwa vor saurem Regen, Veränderungen der Regenmuster und der Zerstörung der Ozonschicht. Dazu kommt die Sorge, dass große Emittenten keinen Anreiz mehr hätten, ihren CO2-Ausstoß zu senken, wenn sich der Planet doch auch um weniger Geld auf Temperatur halten ließe. 400 Wissenschaftler forderten deshalb 2022 ein internationales „non-use-agreement“. Selbst die Vereinten Nationen könnten nicht garantieren, dass die Staaten keinen Unsinn mit der Technologie trieben, argumentierten sie.

50 Länder spielen Wettergott. Dass die Schweizer dennoch im großen Kreis darüber reden wollen, hat einen guten Grund: Ohne globale Spielregeln kann jeder machen, was er will. 50 Länder beeinflussen schon heute aktiv das Wetter, sagt die World Meteorological Organization. Die Verdunkelung der Sonne könnte, so der Tenor, ja zumindest im Notfall eingesetzt werden. Aber wer entscheidet das? Und wer verhindert, dass ein Staat auf eigene Faust vorprescht?

Geforscht wird von den USA über den Nahen Osten und Europa bis nach China fast überall. Und obwohl bisher meist nur „Cloud Seeding“ eingesetzt wird, gibt es bereits genügend Konflikte. Der Iran hat Israel beschuldigt, seinen Regen zu stehlen, weil das Land künstliche Wolken erzeugt hat. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudiarabien drängen darauf, es in der Wüste regnen zu lassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das erste Land auf die Idee kommt, in großem Stil Schwefeldioxid in die Stratosphäre zu blasen, um die Erwärmung zu bremsen. Und dann?

Die Partikel halten zwar eine Zeit lang Sonnenstrahlung fern, ändern aber nichts an an der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Stoppt ein Land sein Solares Geoengineering, etwa aus simpler Geldnot, steigen die Temperaturen sprunghaft an.

Keine konstruktive Debatte. 2019 hat die Schweiz schon einmal versucht, eine internationale Debatte über das heikle Thema anzustoßen, um das Risiko zu minimieren. Der Antrag scheiterte am Widerstand von USA und Saudiarabien. Die EU wollte das Vorsorgeprinzip verankert wissen, wonach mögliche Schäden vermieden oder begrenzt werden müssten. Davon wollten die USA unter Donald Trump nichts wissen. Auch die Rolle mancher Umweltschutzorganisationen wurde kritisch gesehen, weil sie die Debatte verhindern wollten und so zur Polarisierung beigetragen haben.

Ob es diesmal konstruktiver ablaufen wird, ist offen. Wünschenswert wäre es in jedem Fall. Die Staaten forschen nicht ohne Grund im Stillen an den umstrittenen Technologien. Wenn die steigenden Temperaturen Wohlstand und Überleben der Länder gefährden, werden sie die „Notoperation“ starten. Ohne klare Regeln und der Pflicht, auch weiter Emissionen zu senken, ist das fatal. Denn dann müssten wir bis in alle Ewigkeit die Sonne mittels künstlicher Vulkanausbrüche verdunkeln. Und ein wenig Regen am Hochzeitstag wäre plötzlich unsere geringste Sorge.

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