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Warum Prognosen von Analysten oft einem Ratespiel gleichen

Händler an der New York Stock Exchange (NYSE).
Händler an der New York Stock Exchange (NYSE). APA / AFP / Angela Weiss
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Die Rallye an den Börsen lässt die Experten wieder einmal schlecht aussehen. Sie revidieren ihre Jahresprognosen, dabei liegt das Problem in der Aufgabenstellung: Derartig kurzfristige Prognosen sind nutzlos.

New York. Nvidia hat wieder einmal alle überrascht. Bevor der Chiphersteller und Prozessorenentwickler vergangene Woche seine Quartalsergebnisse veröffentlichte, war die Nervosität an den Märkten groß. Die wichtigsten Indizes gaben allesamt nach, vor allem der Technologieindex Nasdaq war unter die Räder geraten. Viele Experten fragten sich, ob die Kurse vielleicht doch schon in zu luftige Höhen gestiegen sind und Aktien, vor allem jene, die durch den Hype um die künstliche Intelligenz angetrieben wurden, bereits zu teuer sind. Mit einem Quartalsumsatz von 22,1 Milliarden und einem Gewinn von 12,29 Milliarden Dollar sollte Nvidia einmal mehr alle Erwartungen übertreffen. Die Nachfrage nach der Technologie von Nvidia sei „astronomisch“, sagte Firmenchef Jensen Huang, ein Ende sei kaum absehbar.

Kursfeuerwerk

Es folgte ein neuerliches Kursfeuerwerk, nicht nur von Nvidia. Das nach Marktkapitalisierung drittgrößte US-Unternehmen zog sämtliche Indizes nach oben. Der Leitindex S&P 500 sollte am Donnerstag neuerlich einen Rekord markieren und die Marke von 5000 Punkten überschreiten. Im Windschatten der USA eilte Japans Nikkei zum ersten Allzeithoch seit 34 Jahren und auch in Europa legten die Börsen zu. Man kann die Schar an  Analysten kaum dafür kritisieren, dass sie das Ausmaß dieser Rallye völlig unterschätzt haben. Jedes Jahr im November oder Anfang Dezember publizieren die wichtigsten Finanzhäuser ihre Prognosen für den S&P 500 für das kommende Jahr. Der US-Leitindex ist der wichtigste der Welt und die Vorhersagen der Experten finden an der Wall Street in der Regel viel Beachtung.

Geringer Anstieg

Deshalb nochmals zur Erinnerung: Anfang November stand der S&P 500 Index bei 4200 Punkten. Die meisten Banken prophezeiten einen überschaubaren Anstieg für das kommende Jahr. Zum Ende des Jahres 2024 erwartete Morgan Stanley einen Wert von 4500 Punkten, Goldman Sachs sagte 4700 Punkte vorher. Die Deutsche Bank und Bank of America zählten mit Prognosen von 5100 beziehungsweise 5000 Punkten zu den optimistischeren Finanzhäusern. Laut der Finanzplattform MarketWatch lag die Durchschnittsprognose der 14 wichtigsten Analysten bei 4900 Punkten. Es versteht sich von selbst, dass die meisten dieser Vorhersagen mittlerweile obsolet sind. Nach der Ergebnisbekanntgabe von Nvidia stieg der 500 Aktien umfassende S&P Index auf mehr als 5050 Punkte, das Kursplus seit Anfang November beläuft sich auf 20 Prozent. Nun könnten sich die Analysten einfach eingestehen, dass sie sich vertan haben und es dabei belassen.

Oder sie können versuchen, den Entwicklungen hinterherzulaufen und ihre Prognosen anzupassen – auch wenn sich nahezu alle Börsianer einig sind, dass Vorhersagen über einen Zeitraum von einem Jahr oder weniger kaum möglich sind. Einige Banken entscheiden sich trotzdem dazu, das Spiel weiterzuspielen. Goldman Sachs etwa hat im Dezember seine Prognose auf 5100 Punkte angehoben und – damit nicht genug – Mitte Februar nachgelegt. Das Geldhaus prognostiziert für den Leitindex nun 5200 Punkte zum Ende 2024. Ähnlich handhabte es die Schweizer UBS, sie erhöhte die Vorhersage im Jänner von 4850 auf 5150 Punkte.

Am besten lässt sich das Problem der Analysten folgendermaßen erklären: Es stimmt schon, im langjährigen Durchschnitt gewinnen die wichtigsten Indizes jedes Jahr einen höheren einstelligen Prozentwert dazu. Je nach Zeitspanne und je nachdem, ob Dividenden berücksichtigt werden, fährt der S&P 500 Index historisch betrachtet einen durchschnittlichen Jahresgewinn von sieben bis elf Prozent ein. Experten mögen sich deshalb auf der sicheren Seite wähnen, wenn sie in ihren Jahresprognosen ein Plus in eben dieser Gegend vorhersagen.

Prognose gleicht dem Ratespiel

Denn, so ehrlich sollte jeder Börsianer sein, am Ende des Tages gleicht eine Vorhersage über einen Zeitraum von zwölf Monaten einem Ratespiel. Die meisten Analysten haben die Rallye von 2023 ebenso wenig kommen sehen wie den Kurseinbruch von 2022.

Trotzdem werden Experten eben auch dafür bezahlt, dass sie kurzfristige Prognosen abgeben. Dass sie sich dabei häufig für den langjährigen Durchschnitt entscheiden, klingt auf den ersten Blick logisch. Allerdings beendet der S&P 500 Index ein einzelnes Jahr nur selten mit einem Durchschnittsplus. Die New Yorker Finanzforscher von Fundstrat haben sich das im Detail angesehen und sind zu dem Schluss gekommen, dass der S&P 500 seit 1900 in mehr als der Hälfte aller Jahre zweistellig zugelegt hat. Mit einem leichten Plus zwischen null und fünf Prozent schließt der Index nur jedes zehnte Jahr ab und seit 1990 gibt es nur sechs Jahre, in denen das wichtige Börsenbarometer ein einstelliges Plus zu Buche stehen hat.

Es bleibt die Erkenntnis, dass ein vernünftiger Prognose- und Anlagehorizont länger als ein Jahr sein sollte. Über zehn oder 20 Jahre ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Erträge dem historischen Durchschnitt annähern. Über einen Zeitraum von einem Jahr ist es hingegen viel wahrscheinlicher, dass die Rendite deutlich über oder unter den Erwartungen liegt.

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