Kämpfe

„Denkanstoß“ und „Worst Case“: Experten beurteilen Macrons Truppen-Vorstoß zurückhaltend

Archivbild. Australische und britische Soldaten trainieren ukrainische Kollegen auf einem Übungsgelände im Osten Englands.
Archivbild. Australische und britische Soldaten trainieren ukrainische Kollegen auf einem Übungsgelände im Osten Englands.Reuters / Hollie Adams
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Militärexperte Walter Feichtinger nennt Kampfeinsätze zum jetzigen Zeitpunkt „völlig unrealistisch“. Analyst Gressel kritisiert, dass Macrons Aussage nur zu Verunsicherung führe.

Die Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine nicht auszuschließen, wird von österreichischen Militärexperten zurückhaltend beurteilt. Für den Sicherheitsexperten Walter Feichtinger handelt es sich nur um einen „Denkanstoß“. Kampfeinsätze zum jetzigen Zeitpunkt seien „überhaupt nicht am Horizont und völlig unrealistisch“, sagte Feichtinger am Dienstag gegenüber der Austria Presse Agentur (APA).

Noch etwas kritischer bewertete der österreichische Militär-Analytiker Gustav Gressel den Vorstoß von Macron. „Ich wüsste nicht, was daran hilfreich sein soll.“ Die Aussage führe nur zu einer Verunsicherung der Öffentlichkeit. Eine Entsendung von Bodentruppen einzelner EU-Länder sei „weder geplant noch in Diskussion, noch fordern die Ukrainer das.“ Zurückhaltend äußerte sich auch der Militärexperte Franz-Stefan Gady zu den französischen Äußerungen. Er wisse nicht, was der Präsident genau gemeint habe, sagte Gady auf Anfrage der APA.

Spektrum der Einsatzmöglichkeiten groß

Feichtinger sah in Macrons Worte eine „sehr allgemeine Aussage“ im Sinne, „alle Optionen offen zu halten“. Einzelne NATO-Staaten könnten die angesprochene Maßnahme im Rahmen von bilateralen Sicherheitsabkommen mit der Ukraine „jeder für sich überlegen“. Für das neutrale Österreich käme eine Entsendung von Soldaten jedenfalls nicht in Frage.

Macron habe nicht gesagt, wann und unter welchen Bedingungen man tatsächlich Truppen in Ukraine schicken könnte. Der „worst case“ seien Kampfeinsätze. Das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten umfasse jedoch auch die Unterstützung im Bereich Technik, Logistik, Führungsaufgaben und Nachrichtendienste. „In der Praxis wird das sicher schon teilweise gemacht. Davon kann man ausgehen, vor allem im Aufklärungsbereich.“

Auch die Frage des Zeitpunkts sei eine „ganz entscheidende“, ergänzte Feichtinger. Jetzt befinde sich der Krieg „in einer heißen Phase“, „wo wahrscheinlich alle europäischen Staaten sich sehr, sehr zurückhalten und ein Einsatz aus meiner Perspektive unrealistisch erscheint.“ Erwartet werde später eine sogenannte „Übergangsphase, wo Russland eine Verschnaufpause einlegt.“ In dieser Phase könnte ein Einsatz von Soldaten aus europäischen Staaten „nicht unerheblich sein, um der Ukraine beim Aufbau einer tatkräftigen Abwehr zu unterstützen“.

„Sicherheitspolitisch ambitionierter Denkanstoß“

Feichtinger sieht den „sicherheitspolitisch ambitionierten Denkanstoß“ Macrons außerdem als ein dreifaches Signal. Es gehe darum, Russland die Rute ins Fenster zu stellen und zu sagen: auch das ist möglich. Es sei aber auch ein Signal an die Ukraine sowie eines an die europäischen Staaten, „sich hier bewusst zu werden und mehr für die Ukraine zu tun“. Russland würde einen offiziellen Einsatz europäischer Bodentruppen allerdings „sicher propagandistisch ausschlachten“ - als Bestätigung der Erzählung des Kremls, dass der Westen gegen Russland kämpfe.

Als Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin erachtet Gressel indes die Worte Macrons als weniger geeignet. „Das Problem ist, Signale müssen auch glaubwürdig sein, damit sie irgendeine Wirkung haben.“ Ein solches sei die Aussage nicht. „Der Kreml hat schon sehr lange aufgehört, auf unsere Reden zu hören. Da zählt allein, was getan wird.“

Er könne nur spekulieren, welche Hintergrundüberlegungen Macron gehabt habe, ergänzte der Experte von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations in Berlin: ob Macron „nur“ den deutschen Kanzler Olaf „Scholz ärgern wollte“ oder klarmachen, dass das Engagement der Europäer „ergebnisoffen“ sei.

„Meilenweit“ von Verhandlungen entfernt

Im Falle eines Waffenstillstands könne man eine internationale Präsenz in der Ukraine diskutieren, um zu verhindern, dass Russland wie nach den Friedensverhandlungen von Minsk sich wieder aufrüste und danach wieder eskaliere. Im Moment sei man jedoch „meilenweit davon entfernt, irgendwas zu verhandeln“, erklärte Gressel. „Der Krieg ist Jahre entfernt, aufzuhören. In dem Sinn führt das eigentlich nur zur Verunsicherung, so etwas öffentlich zu diskutieren.“ Ihm sei „fremd“, warum Macron „solche Aussagen jetzt tätigt“.

Gressel sieht zwar ein Mobilisierungsproblem, „aber das muss die Ukraine selber lösen“. Der Experte verwies auf die innenpolitische Debatte über die Mobilmachung. So gebe es in der Ukraine Diskussionen darüber, inwieweit es sich das Land wirtschaftlich leisten könne, Menschen aus der Arbeit herauszuziehen und Zahlungen für Freiwillige zu erhöhen. Andererseits gehe es auch um die Frage, wer eingezogen werde, also ob auch Familienväter oder sehr junge Erwachsene an die Front kommen sollen.

„Der Westen ist zur Zeit hinten nach, der Ukraine Munition zu liefern und die Waffen zu produzieren, die die Ukraine braucht. Wir können der Ukraine im Grund alles Mögliche liefern, nur nicht Ukrainer selber“, verwies Gressel darauf, dass es in der Ukraine ein Kampf der Ukrainer gegen den russischen Aggressor sei. Die Zahl der schwerverwundeten Soldaten schätzte der Experte auf „das Dreifache der Getöteten“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuletzt die Zahl der Todesopfer im ukrainischen Militär seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor mehr als zwei Jahren mit 31.000 Soldaten beziffert. (APA)

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