Ukraine/Transnistrien

„Die russische Armee ist zwar am Drücker, aber sie tut sich schwer“

Imago / Artem Kulekin
  • Drucken

Analyse. Moskau zündelt in Transnistrien, laut Analysten droht aber keine militärische Eskalation. Außenminister Schallenberg warnt vor „Spiel mit dem Feuer“ des Kreml.

Wien. In den ersten Tagen nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine, Anfang März 2022, ging ein Bild vom belarussischen Präsidenten, Alexander Lukaschenko, um die Welt. Es zeigt den Kreml-Vasallen mit Zeigestab vor einer Landkarte, auf der mehrere Angriffspfeile zu sehen sind, von denen einer nicht in die Ukraine, sondern in die kleine Republik Moldau führt. Ein paar Wochen später redete ein russischer General davon, dass ein Ziel der russischen Invasion die Einnahme der gesamten ukrainischen Schwarzmeerküste sei, womit eine Landbrücke bis nach Transnistrien errichtet wäre, einer abtrünnigen prorussischen Provinz der Republik Moldau.

Das russische Ziel rückte militärisch hernach in weite Ferne. Es geriet beinahe in Vergessenheit. Seit aber Transnistriens Separatisten diese Woche wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten Russland um „Schutz“ gebeten haben und Moskau diesen Schutz zu einer „Priorität“ erklärt hat, wächst im Westen die Nervosität. Taut Russland den eingefrorenen Konflikt um Transnistrien wieder auf? Und wäre es am Ende sogar in der Lage, dort militärisch eine zweite Front zu eröffnen?

„Unsere Einschätzung ist ganz klar: Wenn Moskau den militärischen Anschluss Transnistriens will, geht das nicht ohne russische Mobilmachung“, sagt Bundesheer-Oberst Berthold Sandtner zur „Presse“. Denn die Russen müssten auf dem Landweg zuerst den kilometerbreiten Dnjepr überwinden und dann auch noch an der „extrem schwer verteidigten“ ukrainischen Küstenmetropole Odessa vorbei. Erst dann würden sie den Landstrich Transnistrien erreichen, der flächenmäßig kaum größer als das Burgenland ist, offiizell auch von rund 220.000 Menschen mit russischem Pass bewohnt wird und sich 1992 von der Ex-Sowjetrepublik Moldau losgesagt hat.

Risiko nicht „besonders hoch“

Für einen solchen Stoß aber fehle zurzeit die Kraft. „Denn die russische Armee ist in der Ukraine zwar am Drücker, aber sie tut sich ebenfalls schwer.“ Beispiel: Auf die Eroberung der Stadt Awdijiwka im Donbass seien keine weiteren Durchbrüche in die Tiefe der Front erfolgt, wie das streng nach Lehrbuch der Fall sein sollte. Zwar bestehe tatsächlich die Möglichkeit, dass die Front der Ukrainer unter dem russischen Druck in nächster Zeit ein- oder zusammenbricht. Aber Sandtner schätzt das Risiko zurzeit als „nicht besonders hoch“ ein, unter anderem auch deshalb nicht, weil den Russen selbst immer mehr Führungskader und auch „hochmobile Reserven“ fehlen würden.

Eher keine Zeit also, um sich dem „Nebenschauplatz“ Transnistrien zuzuwenden und dorthin Kräfte zu verschieben. Aber ohne Nachschub geht es nicht. Transnistrien ist militärisch beinahe nackt. Die Zahl der russischen Soldaten dort wird auf allenfalls 1500 geschätzt. Auch mit den lokalen Kräften zusammen reiche das nicht aus, um beispielsweise einen militärisch herbeigezwungenen Putsch in der proeuropäischen Hauptstadt Chișinău zu erzwingen, sagt Sandtner.

Und Russland kann die Kräfte in Transnistrien auch kaum verstärken. Der Luftweg führt durch feindliches Gebiet. Die Republik Moldau samt abtrünniger Provinz ist ein Binnenstaat ohne direkten Meereszugang. Und eine amphibische Landung in der Nähe ist laut Sandtner kaum vorstellbar. Denn Russlands Schwarzmeerflotte sei geschwächt und der westliche Teil des Binnenmeers unter Kontrolle der Ukrainer.

„Schmutziges Spiel“

Am Donnerstag, in seiner Rede zur Lage der Nation, erwähnte Putin Transnistrien gar nicht. Davor hatte es international teilweise heftige Kritik gegeben am Hilferuf und an Schutzzusagen. „Russland treibt ein sehr gefährliches Spiel mit dem Feuer“, sagte auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) Donnerstagfrüh. „Das wirkt wie aus einem schlechten Drehbuch des Kreml.“ In der Ostukraine hatten Separatisten Russland vor der Invasion um Hilfe gebeten. Das russische Drehbuch werde jedoch nicht funktionieren. Die Aktion zeige, dass der Zugriff Moskaus schwächer werde. Die Republik Moldau habe sich für die Europäische Union entschieden. „Wir werden Moldau auf diesem Weg unterstützen.“

Hintergrund des Schutzgesuchs ist nach Einschätzung Schallenbergs das Ende des russisch-ukrainischen Gastransitvertrags. Deshalb kann Transnistrien künftig kein billiges russisches Gas mehr importieren, um das dortige Kraftwerk zu betreiben. Der Erlös aus dem Strom, der in das moldauische Kernland weiterverkauft wird, ist eine wichtige Einnahmequelle. Auch das für den Herbst angesetzte Referendum über einen EU-Beitritt Moldaus sei Russland vermutlich ein Dorn im Auge, sagte Schallenberg. Er empfahl der Regierung in Chișinău, kühlen Kopf zu bewahren. Sandtner sieht es ähnlich. Moldau eigne sich wegen der EU-Aspirationen und der russischen Minderheit „perfekt“ für „das schmutzige Spiel“ mit hybriden Mitteln. Militärisch sei es aber nicht unmittelbar in Gefahr.

Transnistrien

Die Provinz im Osten der Ex-Sowjetrepublik Moldau zählt offiziellen Angaben zufolge 465.000 Einwohner, davon angeblich 220.000 mit russischem Pass. Sicher ist, dass Transnistrien von Russland militärisch und wirtschaftlich abhängig ist. Die Region hatte sich 1992 im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion von Moldau losgesagt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.