Europawahl

Machtpoker um EU-Top-Jobs beginnt

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sozialdemokratischer Spitzenkandidat Nicolas Schmit.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sozialdemokratischer Spitzenkandidat Nicolas Schmit.Thierry Monasse/Getty Images
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Die Sozialdemokraten küren heute ihren Spitzenkandidaten Schmit. Wer ergattert neben von der Leyen hohe EU-Posten?

Der Wahlkampfauftakt soll mit viel Pomp über die Bühne gehen, wenn schon der Spitzenkandidat ein (relativ) Unbekannter ist: Das Who‘s who der europäischen Sozialdemokratie reist am heutigen Samstag nach Rom und kürt den Luxemburger EU-Arbeitskommissar, Nicolas Schmit, zum Frontmann für den Urnengang in knapp 100 Tagen. Reden von Pedro Sánchez (Spanien), Elly Schlein (Italien), Olaf Scholz (Deutschland) und Mette Frederiksen (Dänemark) sollen unter den Delegierten den nötigen Enthusiasmus entfachen. Denn der Abstand der zweitplatzierten Sozialdemokraten zur Europäischen Volkspartei (EVP) hat sich zuletzt in Umfragen wieder vergrößert. Derzeit darf die S&D-Fraktion auf 137 Sitze im Europaparlament hoffen, die EVP auf 174. Hinzu kommt, dass die amtierende Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, für eine zweite Amtszeit quasi fix gesetzt ist, die offizielle Kür der Deutschen findet beim EVP-Kongress Mittwoch und Donnerstag kommender Woche in Bukarest statt.

Im Gefeilsche um die EU-Top-Jobs nach der Wahl, bei dem traditionell Nationalität und politische Färbung gleichermaßen eine Rolle spielen, spekulieren die Sozialdemokraten nun auf das Amt des Ratspräsidenten, das derzeit der Liberale Charles Michel innehat. Das berichtet die Plattform Politico. Auch Parlamentspräsident(in) und EU-Außenbeauftragte(r) – in Zeiten des Krieges eine besonders wichtige Rolle – müssen im Herbst neu bestimmt werden.

Ass im Ärmel

Hier kommt Spitzenkandidat Schmit ins Spiel: Der 70-Jährige gilt als ausgezeichneter Verhandler und Kenner der Brüsseler Szene, der genau weiß, dass die Sozialdemokraten als (mutmaßlich wieder) zweitstärkste Parlamentsfraktion ein Ass im Ärmel haben: Sie könnten ihre Zustimmung zu von der Leyen von der Vergabe der übrigen Spitzenämter abhängig machen. Denn die Chefin der Brüsseler Behörde wird zwar vom Rat der Mitgliedstaaten vorgeschlagen, muss aber von einer Mehrheit der Abgeordneten bestätigt werden – was 2019 nur knapp gelang. Im Lichte des prognostizierten Zugewinns EU-kritischer, rechtspopulistischer Parteien, die von der Leyen kaum ihre Stimme geben dürften, ist die EVP also auf die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten angewiesen.

Läuft alles nach Plan, könnten der ehemalige portugiesische Regierungschef António Costa oder die dänische Premierministerin Mette Frederiksen (beide S&D) die künftigen EU-Ratstreffen leiten. Beide Namen halten sich in der Brüsseler Gerüchteküche hartnäckig. Doch auch die Liberalen bringen sich in Stellung: Der luxemburgische Außenminister Xavier Bettel gilt ebenso als möglicher Kandidat für einen EU-Top-Job wie die estnische Premierministerin Kaja Kallas.

Wer auch immer am Ende das Rennen macht, hat wohl auch diesmal nur indirekt mit dem Votum der EU-Bürger zu tun. Das Spitzenkandidatensystem, wonach der Kandidat der stimmenstärksten Fraktion auch zum Kommissionspräsidenten ernannt werden soll, wurde 2014 informell eingeführt, um die Motivation, bei der Europawahl eine Stimme abzugeben, zu erhöhen – damals siegte bekanntlich der Konservative Jean-Claude Juncker gegen den Sozialdemokraten Martin Schulz.

Weber hatte Nachsehen

Beim letzten Urnengang vor fünf Jahren entschieden sich die EU-Staaten allerdings dagegen und schlugen dem EU-Parlament nicht den damaligen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber, sondern eben die damalige deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen als Chefin der Behörde vor.

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