Debatte

Philosophin Judith Butler nennt Hamas-Massaker „bewaffneten Widerstand“

Judith Butler auf einem Archivbild.
Judith Butler auf einem Archivbild.Paco Freire
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Ein Auftritt der amerikanischen Gender-Studies-Pionierin Judith Butler sorgt für gewaltigen Aufruhr in sozialen Medien: Der 7. Oktober sei ein „Aufstand“ gewesen, kein terroristischer oder antisemitischer Akt, sagte sie.

Die amerikanische Philosophin Judith Butler, Rhetorikprofessorin an der Elite-Uni Berkeley, wurde mit Theorien über das Geschlecht bekannt, die auch heute noch als radikal gelten. Sowohl das soziale (gender) als auch das biologische (sex) Geschlecht seien Produkte gesellschaftlicher Diskurse und würden stets aufs Neue – durch Sprechakte – erzeugt, propagierte sie. Immer noch gilt Butler als Grande Dame der Gender Studies, doch seit einigen Jahren überschatten ihre politischen Äußerungen ihre Arbeit als Philosophin. Die 68-Jährige, die selbst jüdischen Hintergrund hat, tritt als Kritikerin Israels auf und wirkt dabei immer radikaler. Nun kursieren in sozialen Medien Schnipsel einer Diskussionsrunde in Paris.

Die Aufnahmen stammen offenbar von einer Debatte des Videopodcasts „Paroles d’Honneur“ (Ehrenworte) am Sonntagnachmittag. Zu deren Veranstaltern zählen dem „Spiegel“ zufolge zwei „dekoloniale“, propalästinensische jüdische Organisationen – die UJFP und das Kollektiv „Tsedek!“. Auf der Website des Podcasts ist das Video nicht anzusehen, diese ist „im Wartungsmodus“. Auf Youtube finden sich nur Ausschnitte ohne Kontext, ebenso auf X (Twitter).

»Der Aufstand am 7. Oktober war ein Akt des bewaffneten Widerstands. Es war kein terroristischer Angriff und kein antisemitischer Angriff. Es war ein Angriff gegen Israelis.«

Judith Butler

In einem gut zweiminütigen Clip, der in den sozialen Medien kursiert, sagt Butler, man könne unterschiedlicher Ansicht sein, was die Hamas sei, und unterschiedlicher Ansicht, was bewaffneter Widerstand bedeute. Aber es sei ehrlicher und historisch korrekter, wenn man sage: „Der Aufstand am 7. Oktober (Anm: sie benutzt das Wort uprising) war ein Akt des bewaffneten Widerstands. Es war kein terroristischer Angriff und kein antisemitischer Angriff. Es war ein Angriff gegen Israelis.“

Das habe ihr nicht gefallen, betont Butler, aber sie wäre „ein Narr, wenn ich damals die Feststellung getroffen hätte, dass die einzige Gewalt, die im Spiel war, jene war, die Israelis angetan wurde. Die Gewalt gegen Palästinenser geschieht seit Jahrzehnten.“ Butler spricht weiter von einem „Aufstand aus der Knechtschaft“ heraus gegen einen „gewalttätigen Staatsapparat“.

Judith Butler fordert Beweise für Vergewaltigungen

Man könne für oder gegen den Einsatz von gewalttätigem Widerstand sein, so Butler. Aber man solle das doch „bewaffneten Widerstand“ nennen, dann könne man auch eine Debatte darüber führen, ob das richtig war, oder ob die Hamas „eine andere Strategie“ hätte wählen können. Als Problem nennt sie, dass man verdächtigt werde, die Taten vom 7. Oktober gutzuheißen, wenn man sie „bewaffneten Widerstand“ nenne.

In einem anderen Clip, der auf Twitter kursiert, fordert sie, dass Beweise für die Vergewaltigungen der Hamas an Israelis vorgelegt werden. Zu diesem Zeitpunkt war der Anfang der Woche veröffentlichte UNO-Bericht über systematische sexuelle Gewalt bei den Angriffen der Hamas noch nicht publik.

An der Diskussionsrunde haben „Le Figaro“ zufolge auch drei Abgeordnete der französischen Linkspartei La France Insoumise teilgenommen. „Heuchelei“ und „Unmenschlichkeit“ wirft die französische Zeitung der Philosophin vor. „Vor den Narren einer Judith Butler und ihrer Ungezähmtheit sollte man sich eher fürchten“, schreibt der deutsche „Tagesspiegel“.

Judith Butler sei „Teil des Problems“

Die „Süddeutsche Zeitung“ versucht die Rhetorikprofessorin aus wissenschaftlicher Sicht zu verstehen: „Butler ist der Ansicht, dass die Deutung und Verurteilung des 7. Oktobers als antisemitischer Terror jede Diskussion über die ,politische und gewaltsame Struktur, aus der der Aufstand hervorging‘ sofort unmöglich mache“, schreibt Jens-Christian Rabe. „Butlers eigenes kommunikatives Manöver ist allerdings aufgrund der Belege zum Hergang des 7. Oktobers absurd. Die genuin terroristische Natur des Angriffs in dieser Form infrage zu stellen, lässt nur den bestürzenden Eindruck zu: Hier wird sehenden Auges verharmlost. Nur warum sollte sie das wollen? Ein weiteres Mal ist die berühmteste linke Denkerin der Gegenwart damit viel mehr Teil des Problems als Teil der Lösung dieses zweifellos aufwühlendsten und verzwicktesten Konflikts des Planeten, der scheinbar unaufhaltsam bloß immer weiter eskaliert.“

FAZ“-Feuilletonist Patrick Bahners schrieb auf X, Butler „bleibt konsequent in einem politischen Realismus, der ethischen Streit ermöglicht und nicht vorab für gegenstandslos erklärt. Sie ist eben eine Philosophin.“ Andere Töne schlägt „FAZ“-Herausgeber Jürgen Kaube in einem Text mit dem Titel „Kindermord als Form des Freiheitskampfes“ an: „Butler will sich allen Ernstes die Freiheit bewahren, solche Taten zu befürworten oder abzulehnen?“, fragt er darin. „Butler spuckt auf Gräber, über die sie vorschlägt, ein Seminar zu Wertungsgesichtspunkten bei Abschlachtungen abzuhalten.“

Veranstaltung mit Butler abgesagt

In Frankreich wurde nun eine geplante Veranstaltung mit Butler an der École normale supérieure abgesagt, so der „Spiegel“. In Deutschland wird Butler schon länger nicht mehr eingeladen.

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