Und übrigens

TV-Krimis: Warum der Mörder so oft der Manager ist

Die Spur führt meist in die Chefetage: Professor Boerne (Jan Josef Liefers ) und Silke Haller (Christine Urspruch) in einem Münster-„Tatort“.
Die Spur führt meist in die Chefetage: Professor Boerne (Jan Josef Liefers ) und Silke Haller (Christine Urspruch) in einem Münster-„Tatort“. APA/WDR
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Die „Tatort“-Statistik zeigt: Am häufigsten morden im Krimi Unternehmer. Ein „groteskes Zerrbild“, wie diese meinen? 

Wie sieht ein typischer Mörder aus? Die Drehbuchautoren des „Tatort“ haben ein klares Bild: Er trägt Anzug und Krawatte, sein Büro liegt in der obersten Etage und er wohnt in einer protzigen Villa. Eine aktuelle Auswertung der Folgen aus den letzten sechs Jahren belegt: Unternehmer und Manager sind klar die häufigste Tätergruppe in der beliebtesten Krimiserie im deutschen Sprachraum. Und das ist nur ein Update einer älteren Untersuchung, die sämtliche Plots zwischen 1970 bis 2018 unter die Lupe nahm und zum selben Ergebnis kam. In nur in einer einzigen der über tausend Folgen erwies sich der sprichwörtliche Gärtner als Übeltäter – genauer war es eine Gärtnerin am Tatort Köln.

Woher rührt so viel kriminelle Energie bei den fiktiven Leistungsträgern? Sie werden meist als gefühlsarm, brutal und rücksichtlos dargestellt. Selbst wenn sie selbst das Opfer sind, wundert man sich als Zuseher nicht, warum sie im Kühlraum landen. Die realen Firmenchefs finden das wenig unterhaltsam. Hier werde ein „völlig groteskes Zerrbild“ des Unternehmertums gezeichnet, in dem „Egoismus und Geldgier“ dominieren, ärgerte sich jüngst Christoph Althaus, Präsident des deutschen Mittelstandsverbands, in der „Zeit“. Da dürfe man sich dann nicht wundern, wenn sich in der Gesellschaft „negative Klischees“ breitmachen und immer wenige Junge bereit sind, als Firmengründer ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das Resultat sei Rezession.

Die Klage ertönt nicht zum ersten Mal, das Muster hat Tradition: Inspektor Columbo brachte grundsätzlich die Reichen hinter Gitter. Auch der legendäre Kommissar Derrick fahndete vorzugsweise in Luxusvillen der feinen Münchner Vorstadt. Und alle wussten: Dort, hinter den hohen Thujenhecken, wo die breiten Reifen des fetten Mercedes auf der kiesbedeckten Auffahrt knirschen, ist das Böse zuhause. Was freilich mit der realen Kriminalstatistik nie so recht zusammenpassen wollte: Sie zeigt einen konträren Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und Tendenz zu Gewaltverbrechen. Im Grunde wenig überraschend: Wem es dreckig geht, läuft eher Gefahr, in die Kriminalität abzurutschen. Die Waffen der mächtigen Wirtschaftsmenschen sind eher scharfzüngige Anwälte als scharf geladene Revolver. Und selbst wenn das Klischee stimmen sollte, dass sie für ihren Erfolg über Leichen gehen, sind selbige doch meist nur metaphorischer Art.

Eine subversive Agenda?

Wimmelt es unter Drehbuchautoren von Kapitalismusfeinden mit subversiver Agenda? Wir versuchen die Pflichtverteidigung: Wenn Mitarbeiter am Sonntagabend sehen, wie ein Chef in Handschellen abgeführt wird, baut das ihren Frust über eigene Vorgesetzte ab – wovon am Montag auch diese profitieren. Vor allem aber: Das Publikum liebt den wohligen Schauer, der es erfasst, wenn sich hinter der glänzenden Fassade dunkle Abgründe auftun, wenn die hoch Gestiegenen tief fallen. Diese ehrwürdigen Topoi sind dramaturgisch zu ergiebig, als dass sie ungenutzt blieben. Das Gieren nach Geschichten über Reiche und Ruchlose ist so alt wie das Geschichtenerzählen selbst. Unsere Ahnen drängten sich am Lagerfeuer, um sich neue Folgen ihrer Mythen-Soaps reinzuziehen, über so blutrünstige Gestalten wie Achill, Medea, Blaubart oder Kriemhild – alle aus der Upper Class.

Ästhetischer Natur sind aber auch unsere Bedenken: Ihr Skriptschreiber wollt doch immer originell sein, oft in zwanghafter Art. Warum verlässt euch bei den Tätergruppen die Fantasie? Wo bleiben die mörderischen Pfarrer, Zahntechnikerinnen und Fahrradboten? Auch eine Gärtnerin könnte wieder einmal Rache üben. Auf dass die Langeweile weiche und die Wirtschaft wachse!

Email: karl.gaulhofer@diepresse.com

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