Morgenglosse

Was für eine Schmach für Macron: Die EU spricht Deutsch

Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, erlebt bei dieser Europawahl ein sprachliches Waterloo.
Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, erlebt bei dieser Europawahl ein sprachliches Waterloo. Reuters/Ludovic Marin
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Frankreichs Präsident hat einst das Spitzenkandidatensystem bei der Europawahl zerstört. Jetzt bekommt er die Rechnung dafür präsentiert.

Wäre es eine perfide Racheaktion gewesen, sie hätte nicht besser orchestriert werden können. Emmanuel Macron hatte vor fünf Jahren mit seiner Weigerung, den mit der EVP-Fraktion siegreichen Politiker Manfred Weber als Kommissionspräsidenten zu nominieren, das Spitzenkandidatensystem bei EU-Wahlen de facto zerstört. Der Posten ging damals als Kompromiss an Ursula von der Leyen, die aus Macrons Sicht immerhin in Belgien aufgewachsen ist und hervorragend Französisch spricht.

Es war und ist ein wichtiges Anliegen in Paris, die Verbreitung von Französisch in der EU voranzutreiben. Als Sprache der Diplomaten setzte es sich immerhin ein wenig, als vorrangige Verhandlungssprache in den EU-Institutionen aber kaum durch. Selbst stolze Erinnerung an die beiden aus Frankreich stammenden Gründungsväter der Gemeinschaft, Jean Monnet und Robert Schuman, half nicht, das Einigungswerk überwiegend französisch auszurichten. 2020 kam der Brexit, und ein letztes Mal hoffte die Führung in Paris, dass sich nun endlich Französisch als Sprache der EU durchsetzen würde.

Es kam anders und noch schlimmer. Jetzt, vor der Europawahl, erlebt Frankreichs Präsident ein wahres Waterloo in seinem Kampf um die Lingua franca. Denn erstmals haben alle Parteienfamilien, die sich dafür entschieden haben, deutschsprachige Spitzenkandidaten nominiert. Ausgerechnet Deutsch!

Eine TV-Runde dieser Kandidaten braucht nicht einmal einen Dolmetscher. Die Amtsinhaberin, Ursula von der Leyen (EVP), kann sich in ihrer eigenen Sprache mit dem Luxemburger Nicolas Schmit (S&D), der ebenfalls aus Deutschland stammenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Renew), deren Landsfrau Terry Reintke (Grüne) und dem Österreicher Walter Baier (Linke) unterhalten. Nur die rechten Fraktionen (ID und EKR) haben niemanden nominiert.

Wer trotz dieser Schmach für den frankophilen Präsidenten noch immer an Rache denkt, mag sich wünschen, dass sich Macron im Élysée-Palast diese Elefantenrunde ansehen muss – ohne Übersetzung. Damit ihm bewusst wird, dass es in Europa nicht nur um französische Interessen geht.

Um es klarzustellen: Französisch ist eine wunderschöne Sprache. Sie soll gefördert werden, doch auf gleiche Weise wie die restlichen 23 Amtssprachen der gesamten Europäischen Union. Wie hat es schon Victor Hugo, der auf die Kanalinseln verbannte Franzose, in seiner Vision von einem künftigen Europa im Jahr 1849 formuliert? „Der Tag wird kommen, an dem alle Nationen dieses Kontinents, ohne ihre speziellen Qualitäten und ihre ruhmreiche Einzigartigkeit zu verlieren, vollständig in einem höheren Ganzen aufgehen.“

„In Vielfalt vereint“ wurde das Motto der heutigen EU. Oder für Präsident Macron übersetzt: „Unie dans la diversité“.

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