Gericht

Elf Jahre Haft in Wiener Mafia-Prozess

Dejan S. muss sich am Wiener Landesgericht verantworten.
Dejan S. muss sich am Wiener Landesgericht verantworten.APA/GEORG HOCHMUTH
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Unter noch nie dagewesenen Sicherheitsvorkehrungen stand in Wien die mutmaßliche „rechte Hand“ des bereits im Vorjahr zu lebenslanger Haft verurteilten Mafia-Paten Dario D. alias „Dexter“ vor Gericht. Dejan S. soll Drogen in großen Mengen nach Österreich geschafft haben.

Am Wiener Landesgericht ist am Dienstag die mutmaßlich „rechte Hand“ des im Dezember 2023 in Wien zu lebenslanger Haft verurteilten angeblichen Mafia-Paten Dario D. alias „Dexter“ abgeurteilt worden. Der 29-jährige Dejan S. wurde zu elf Jahren Haft verurteilt, weil er innerhalb von nur zwei Monaten - nämlich zwischen Ende März und Ende Mai 2021 - 43 Kilogramm Kokain und 39 Kilogramm Heroin nach Österreich geschafft und sieben Kilogramm Suchtgift in Verkehr gesetzt haben soll.

Das Urteil wegen Suchtgifthandels - im Detail waren acht einzelne Lieferungen prozessgegenständlich, die der Angeklagte von Thailand aus organisiert haben soll - ist nicht rechtskräftig. „Was machen Sie da? Sie haben keine Beweise!“, rief der 29-Jährige während der Urteilsverkündung dazwischen. Verteidiger David Jodlbauer meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Der Staatsanwalt legte daraufhin Berufung gegen die Strafhöhe ein.

Bisher nie da gewesenen Sicherheitsvorkehrungen

Die Verhandlung fand unter am Landesgericht bisher nie da gewesenen Sicherheitsvorkehrungen statt. Der gesamte Trakt, der zum Verhandlungssaal führte, war gesperrt. Wer passieren und zur Verhandlung wollte, musste sich per Ausweis legitimieren, wobei die Daten von Beamtinnen und Beamten des Bundeskriminalamts schriftlich erfasst wurden. Durchgelassen wurde man nur, nachdem man sich neuerlich einer Durchsuchung auf verdächtige Gegenstände gestellt hatte - eine erste eingehende Überprüfung hatte es bereits im Eingangsbereich des Gerichts gegeben. Fotografen und Kameraleute wurden nicht durchgelassen - das Präsidium hatte ein absolutes Fotografier- und Filmverbot verhängt. Die anwesenden Medienvertreter und sonstigen Besucherinnen und Besucher hatten im Gerichtssaal unter der Androhung, ansonsten den Saal verlassen zu müssen, ihre Handys abzuschalten.

Der Angeklagte selbst wurde in Hand- und Fußfesseln von schwerbewaffneten, mit Schutzhelmen und -westen versehenen Beamtinnen und Beamten der Sondereinsatzgruppe der Justizwache in den Saal eskortiert. Fünf bis sechs durchaus furchteinflößende Sicherheitskräfte der Justizwache blieben durchgehend im Saal, zugleich waren Wega-Beamte, verkabelte Vertreter des Bundeskriminalamts und weitere Polizeikräfte präsent.

Dem Angeklagten wurden für die Dauer der Verhandlung zwar die Hand-, aber nicht die Fußfesseln abgenommen. Außerdem war der 29-Jährige angeleint: Er trug einen Gürtel um den Bauch, der mit einer großen Schlaufe versehen war, deren Ende ein Beamter, der hautnah neben dem Angeklagten saß, gewissenhaft in der Hand hielt. Die Journalistinnen und Journalisten wurden aufgefordert, die am Verfahren Beteiligten in ihren Berichten nicht namentlich zu erwähnen.

Der Angeklagte stellte in Abrede, in „Dexters“ kriminelle Organisation überhaupt eingebunden gewesen zu sein. Er habe nicht - wie ihm von der Anklage vorgeworfen wurde - von Thailand aus für den mutmaßlichen Banden-Boss Drogen nach Österreich geschafft, sondern in Phuket in einer Pizzeria gearbeitet, behauptete er. Ein zeugenschaftlich vernommener informierter Vertreter des Bundeskriminalamts widersprach dem diametral. Der Angeklagte habe unter dem Pseudonym „Funnynative“ in „Dexters“ krimineller Organisation eine „sehr hohe Position“ inne gehabt: „Ein absoluter Hochkaräter. Es gibt ganz wenige, die in diesem Stil Drogen nach Österreich importiert haben.“

Hinweise auf konkretes Bedrohungsszenario

Das nach Österreich gebrachte Kokain wies laut Anklage mit einem Reinheitsgehalt von 70 Prozent eine erstklassige Qualität auf. Der Staatsanwaltschaft zufolge wurde die Ware gewinnbringend an den Mann gebracht. Dejan S. gilt als hochgefährlich. Er befindet sich in der Justizanstalt (JA) Josefstadt in Isolationshaft und wird bei Spaziergängen im Innenhof des Gefängnisses strengstens bewacht. Vor wenigen Wochen wurde in seiner Zelle eine Razzia durchgeführt und dabei ein illegales Handy beschlagnahmt. Auf diesem fanden sich Textnachrichten bzw. Hinweise, die auf ein konkretes Bedrohungsszenario gegen einen am Verfahren Beteiligten hindeuteten.

Die Anklage sei „überhaupt nicht richtig“, sagte Dejan S. in seiner Beschuldigteneinvernahme. Er beschwerte sich außerdem über die Haftbedingungen: „Seit ich eingeliefert wurde, werde ich wie ein Terrorist behandelt.“ Er müsse seine Hofspaziergänge mit zu lebenslanger Haft verurteilten Anhängern der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) bestreiten: „Warum werde ich mit den Leuten ins selbe Eck gedrängt?“

Nach Thailand abgesetzt

Während „Dexter“ im Sommer 2021 im Zuge der Operation „Achilles“ festgenommen wurde, bei der Ermittler im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) mafiöse Strukturen dank der Auswertung von Chats in Kryptomessenger-Diensten zerschlagen hatten, hatte sich Dejan S. bereits 2017 nach Thailand abgesetzt. Zuvor soll er in Serbien an einer tödlichen Schießerei beteiligt gewesen sein - in einer Bar wurde im Zuge einer mutmaßlichen mafiösen Auseinandersetzung ein Mann per Kopfschuss getötet. Gegen Dejan S. alias „Funnynative“ wird deswegen von den serbischen Behörden wegen Beteiligung am Mord ermittelt.

Der mit internationalem Haftbefehl Gesuchte war im Dezember 2021 in Thailand festgenommen und von Zielfahndern des Bundeskriminalamts nach Österreich gebracht worden - mit erheblichen Schwierigkeiten. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, schilderte der Zeuge vom Bundeskriminalamt dem Schöffensenat. Es habe ein Privatflugzeug gechartert werden müssen, nachdem der Mann sich in einer Linienmaschine mit massiver Gewalt und Selbstverletzungen - er soll seinen Kopf gegen den Boden geschlagen haben - gegen das Außer-Landes-Bringen gewehrt hatte. Der Pilot der Linienmaschine hätte sich geweigert, mit dem renitenten Passagier den Flug von Thailand nach Europa anzutreten. Detail am Rande: im Privatjet wurde Dejan S. zwar an seinen Sitz gefesselt transportiert, seine Hände waren allerdings frei. Während des Langstreckenflugs las er die Biografie des kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar.

Chats auf Krypto-Handys

Die Anklage stützte sich - wie bereits im Prozess gegen „Dexter“ - auf Text- und Audionachrichten, die die beiden und andere Mitglieder der kriminellen Organisation in vermeintlich abhörsicheren Chats geteilt hatten. Die Gruppierung um „Dexter“ nutzte Krypto-Handys, bei denen nicht ein Mal eine Standort-Peilung möglich war. Man konnte mit den Geräten auch nicht telefonieren, dafür aber Bilder, Videos und Audio-Nachrichten verschicken. Über die Dienste Sky ECC - ein in Frankreich entwickeltes Apple-Gerät mit einer fix installierten App und einer gefinkelten Verschlüsselungstechnologie - bzw. Anom - vom FBI entwickelt und als „verdeckte Maßnahme“ gezielt unter Kriminellen verbreitet, um deren Machenschaften nachvollziehen zu können - hatte der mutmaßliche Banden-Boss seine Geschäfte dokumentiert.

Europäischen Strafverfolgungsbehörden war es allerdings gelungen, die Kommunikation der Kriminellen um „Dexter“ zu knacken und die Inhalte, die über Server in Kanada und Frankreich liefen, zu sichern. In weiterer Folge wurden die Chats mit Hilfe des FBI entschlüsselt. Bei den von „Dexter“ genutzten Geräten traten dokumentierte Drogen-Lieferungen, Anweisungen an seine Untergebenen und sogar eine Art Buchhaltung zutage. Letzten Endes wurde er auf Basis dieser Beweise vor knapp drei Monaten für über 300 Drogen-Deals, die nach Ansicht des Erstgerichts die Einfuhr und das Inverkehrsetzen von hunderten Kilogramm Heroin und Kokain belegten, zur Höchststrafe verurteilt. „Dexters“ Verurteilung zu lebenslanger Haft ist allerdings nicht rechtskräftig - ein dagegen eingebrachtes Rechtsmittel ist beim Obersten Gerichtshof (OGH) anhängig.

Anwalt: „Auf dieser Grundlage kann man kein Verfahren führen“

Für Verteidiger David Jodlbauer war die Heranziehung der Chats im Verfahren gegen Dejan S. unzulässig. „Der Staat verpflichtet sich, sich an strenge Regeln zu halten. So funktioniert der Rechtsstaat“, meinte der Anwalt. Im vorliegenden Fall wisse man schlicht nicht, wie die Chats zustande kamen und wo diese aufgezeichnet wurden, und vor allem sei Österreich gar nicht im Besitz der vom FBI ausgelesenen Unterhaltungen: „In Österreich hat aber ein Angeklagter das Recht, diese Chats zu sehen.“ Werde seinem Mandanten dies verwehrt, „wird ihm das fundamentalste Recht genommen, sich zu verteidigen. Auf dieser Grundlage kann man kein Verfahren führen“.

„Die aktuelle Rechtslage ist so, dass diese Chats verwendet werden dürfen“, hielt dem am Ende der Senatsvorsitzende in der Urteilsbegründung entgegen. Somit lägen ausreichende Beweise vor, „dass Sie ‚Funnynative‘ sind. Die Kausalitätskette zu Ihnen ist geschlossen“, meinte er in Richtung des 29-Jährigen, der die Ausführungen des Richters immer mit Zwischenrufen auf Serbisch oder Englisch unterbrach.

Bei der Strafbemessung wurden neben der großen Menge an gehandeltem Suchtgift die führende Funktion innerhalb der mafiösen Bande sowie das Handeln aus Gewinnstreben erschwerend berücksichtigt, bei einer Strafdrohung von einem bis zu 15 Jahren erschienen dem Schöffensenat elf Jahre tat- und schuldangemessen.

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