Literatur

Scham beginnt, wenn der Kauf einer Ikea-Küchenplatte kein Problem macht: Der „Minihorror“ von Barbi Marković ist nicht so mini

Schon mit „Superheldinnen“ und „Die verschissene Zeit“ hatte sie Erfolg: Autorin Barbi Marković bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik.
Schon mit „Superheldinnen“ und „Die verschissene Zeit“ hatte sie Erfolg: Autorin Barbi Marković bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik.Imago / Dts Nachrichtenagentur
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Über die Wahlwienerin, die nun mit dem Leipziger Buchpreis geehrt wird – und wie ein ins Absurde kippender Alltag bei ihr existenzielle und gesellschaftliche Ängste spiegelt.

Einen Ameisenvogelelefantennashornmenschen hat Barbi Marković als schreib- und mythenbegeistertes Kind in Belgrad einmal zur Hauptperson eines Textes gemacht – das hat sie zumindest in einem Interview erzählt und vermutet, dass sie dieses „Stadium, in dem ich einfach alles hernehme, was mir gefällt“, nie ganz überwunden habe. Ein Glück, denn was ihr gefällt, gefällt anderen auch.

Und zwar dem Publikum wie der Literaturkritik, das zeigten schon ihre Romane „Superheldinnen“ und „Die verschissene Zeit“, das zeigt nun ihr außerordentlich gewitztes und witziges Buch „Minihorror“. Es hat den Leipziger Buchpreis in der Kategorie Belletristik gewonnen und damit einen der wichtigsten jährlichen Buchpreise im deutschsprachigen Raum – auf dessen Shortlist auch noch der österreichische Autor Wolf Haas mit „Eigentum“ stand. Marković ist nach Clemens J. Setz die zweite in Österreich beheimatete Autorin, die den Preis in der Kategorie Belletristik gewinnt; Setz gewann ihn 2011 mit „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“. Der Buchpreis ist mit 15.000 Euro dotiert.

„Minihorror“, erschienen im Herbst 2023 im Residenz Verlag, ist kein Roman, sondern besteht aus lauter kleinen Geschichten über die junge Mini und ihren Freund Miki, an österreichischen Leserinnen und Lesern teils vertrauten Schauplätzen (wie der Lugner City). Die Leipziger Jury nennt das Buch in ihrer Begründung ein Comic in Prosa – das Marković stilsicher und mit bewussten Stilbrüchen erzähle.

„Ihr seid Kekse! Verdammte Kekse!“

Das Verbindende zwischen diesen Miniaturen ist neben den Figuren vor allem, dass das Absurde und Albtraumhafte aus den Poren des Alltags kriecht oder besser herausspringt. Da wird ein Ikea-Besuch zur Schamfalle, ältere Frauen am Land entpuppen sich beim Backen von Weihnachtskeksen selbst als solche – ganz zu schweigen von dem, was hinter den Kulissen der österreichischen Gewürzfabrik namens Sonnengott liegt, aber man will ja nicht spoilern . . . Eine untot wirkende Verwandte Minis lauert Miki auf dem Klo auf, Mini wird von ihrer serbischen Familie in eine Grube gezwungen und ritualhaft beschimpft („Familie, hach!“, tut sie das Miki gegenüber ab). Ja, Marković‘ Figuren sind hart im Nehmen, sie bemühen sich sehr, „sie wollen nett sein, aber nichts ist einfach“.

»Das Schlimmste wäre zu glauben, dass alles noch gut ist, wenn es nicht mehr so ist.«

„Minihorror“

Kleine und große Ängste manifestieren sich in diesem Miniaturhorror, aber auch die ganz gewöhnlichen Fallen unserer Psyche; da kippt zum Beispiel ein „perfekter“ Moment auf der Picknickdicke oder eine schöne Urlaubsstimmung ins Gegenteil - einfach aus Glücksdruck. Trotzdem ist alles nicht so schlimm, auch das Schlimmste nicht, denn die Autorin macht Mini und Miki unverwundbar wie in gewissen Computerspielen. Das Schreckliche hat keine längeren Konsequenzen, nicht einmal eine Trennung zwischen Mini und Miki (er ist nach lang nachwirkender Krankheit - Corona? - Essensguru geworden). Spätestens wenn die nächste Geschichte beginnt, tun die beiden weiter wie gehabt.

Überforderung, Ziellosigkeit, schlechtes Gewissen

Fängt Marković ein waberndes Lebensgefühl in bestimmten Milieus und (jüngeren bis mittleren) Altersklassen ein? Und hilft mit ihrem Humor zugleich, sich dabei nicht so allein zu fühlen? In „Minihorror“ ist Mini und Miki die Überforderung ebenso deutlich anzumerken wie die Ziellosigkeit und das schlechte Gewissen. Warum zum Beispiel gehen sie zu Ikea? Nicht einfach aus Lust und Laune, sondern um „ihr häusliches Leben in den Griff zu kriegen, weil die Entropie ihnen zu stark wurde“. Und das, obwohl ein Ikea-Besuch für Kinder und Erwachsene unweigerlich in Erschöpfung endet, glaubt man der Autorin. Als es nach einiger Zeit ganz so aussieht, als würde die Küchenplatte ohne Komplikationen geliefert werden, stellt sich bei Mini und Miki Misstrauen ein.

»Sie schämen sich fast dafür, dass es bei dem Kauf der Küchenplatte gar kein Problem gibt. «

„Minihorror“

Sie beginnen „die Situation verdächtig zu finden, sie schämen sich fast dafür, dass es bei dem Kauf der Küchenplatte gar kein Problem gibt. Sie vermeiden dieses Thema, wenn sie Freund:innen treffen.“ „Spät im Kapitalismus“ ist die Ikea-Geschichte übertitelt. Für die „kleinen“ Befindlichkeiten von Marković‘ Figuren gibt es bei ihr zuweilen größere Deutungen im Angebot. Das wirkt beim Lesen wohl entlastend – man ist nicht alleine mit seiner Angst, diese hat Bedeutung – und beunruhigend zugleich.

Belgrad und viel Surreales

Dass die 1980 in Belgrad geborene, gern als Popliteratin bezeichnete Autorin ein Talent hat, „in der Luft liegende“ Gefühle „zur Kenntlichkeit zu entstellen“, wie Brecht es formulierte, wird beim Lesen rasch deutlich. Und das macht sie mit enorm viel Sprachwitz. Ihren Roman „Die verschissene Zeit“ (2021) siedelte sie im Belgrad der 1990er an, einer Zeit des, wie sie es nannte, „riesigen psychowirtschaftlichen Desasters“. Ihre Protagonisten sind Jugendliche und sollen eine Zeitmaschine reparieren, die gebaut wurde, um in die Vergangenheit zu reisen und den Balkankrieg zu verhindern. Statt dessen spielt sie aber verrückt und schleudert ihre Reisenden in den 90ern herum, vorwärts, rückwärts . . .

»Für ihr Debüt „Ausgehen“ hat sie Thomas Bernhards Erzählung „Gehen“ in die Belgrader Clubszene versetzt.«

Surreale Elemente, die Belgrader (eigene) Vergangenheit und überhaupt das Städtische, auch das Jugendliche prägen Marković‘ Bücher. Ihr preisgekrönter Roman „Superheldinnen“ (2016), der auch in einer Bühnenfassung am Wiener Volkstheater gezeigt wurde, handelt von drei jungen Frauen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Wien gekommen sind und mit „Blitzen des Schicksals“ in die Leben anderer Menschen eingreifen. Für ihr 2009 erschienenes Debüt „Ausgehen“ – ursprünglich auf Serbisch unter dem Titel Izlaženje erschienen – hat sie Thomas Bernhards Erzählung „Gehen“ in die Belgrader Clubszene versetzt.

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