Russland

Blutbad in Einkaufszentrum am Rand von Moskau

Die brennende Crocus City Hall nach dem Anschlag in der Nacht auf Samstag.
Die brennende Crocus City Hall nach dem Anschlag in der Nacht auf Samstag.Reuters / Maxim Shemetov
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Bewaffnete stürmten am Freitagabend ein Veranstaltungszentrum am Rande Moskaus, schossen um sich und legten Feuer. Mindestens 40 Menschen starben, die Urheber waren vorerst unbekannt.

Bei einer schicken cremefarbenen Ledercouch neben Rolltreppen in dem riesigen Einkaufszentrum liegt ein junges Pärchen, er in Jeans und dunkler Jacke vor der Couch auf dem Boden, sie, in dunkler Hose und einer Art Jeansjacke, zusammengesackt auf der Couch. Von beiden rinnen Blutströme, sammeln sich in Lacken unter den Körpern, auf der cremefarbenen Couch, auf dem beigen Marmorboden.

In der Nähe ziehen sich lange Blutspuren über den Marmorboden, auf dem Boden und im Eingangsbereich zu der Halle liegen Körper, Menschen rennen schreiend vorbei, formen auf dem nächtlichen Gelände des Einkaufszentrums vom zumindest SCS-Format am Rande Moskaus Schlangen, die dem Horror zu entkommen trachten, darunter viele Kinder, man hört sie rufen, während im Hintergrund der Ort, von wo sie kommen, lichterloh brennt.

Zuvor hatten an jenem Freitagabend kurz nach 20 Uhr Ortszeit mindestens vier Bewaffnete das Einkaufszentrum „Crocus City“ an der Moskauer Außenringautobahn bei Krasnogorsk nordwestlich der Hauptstadt gestürmt. Ziel war insbesondere die Crocus City Hall, ein Veranstaltungsort, wo die Rockband Picnic auftreten sollte, und wo in zumindest einer weiteren Halle ein Tanzwettbewerb für Kinder stattfand.

Sturmgewehre, Flammenwerfer

Via Internet verbreitete Videos zeigen, wie die Angreifer in Zivilkleidung, aus Sturmgewehren schießend, in die riesigen Marmorhallen des Zentrums stürmten. Sie schossen einzelne Menschen nieder, ballerten Dauerfeuer in Menschengruppen. Ein Angreifer dürfte einen Flammenwerfer getragen haben.

Die Bilanz und die näheren Hintergründe des Anschlags waren in der Nacht auf Samstag noch unklar. Die russischen Behörden sprachen später in der Nacht von mindestens 40 Todesopfern und mehr als 100 Verletzten. In einer Liste, deren Authentizität unüberprüfbar war, standen die Namen von mindestens drei getöteten Personen unter 12 Jahren. Die Halle brannte großteils aus, von Einsturz des Dachs war sogar die Rede.

In der Hauptkonzerthalle war Platz für bis zu 6000 Menschen, das Konzert war angeblich gut besucht; die Band Picnic, die seit 1978 besteht, hat sich zumindest in der Ukraine unbeliebt gemacht, weil sie auf der 2014 von Russland besetzten und mittlerweile annektierten Krim auftrat und offen kundtat, dass sie sich um westliche Sanktionen gegen Russland nicht schere.

Hunderte, wenn nicht Tausende Polizisten und Soldaten der Nationalgarde sowie Feuerwehrleute rasten am Abend zur Crocus City, es gab Berichte über Gefechte, allerdings dürften die Angreifer laut Berichten aus Polizeiquellen entkommen sein, wobei auch Zahlen von bis zu zehn Männern genannt wurden. Konkret wurde auch nach mindestens einem Fluchtfahrzeug gefahndet, einem weißen Renault Symbol mit dunklem Dach ohne Nummernschild. Am späten Abend hieß es, man habe mindestens einen Mitarbeiter der Crocus City Hall festgenommen, seine mögliche Verstrickung ins Blutbad blieb unklar.

Kiew dementiert Verstrickung

Wer die Angreifer waren, blieb Gegenstand teils wilder Spekulationen. Aus dem ukrainischen Präsidentenbüro hieß es, man habe nichts mit dem Anschlag zu tun. Ein Sprecher des ukrainischen Geheimdienstes sagte gegenüber Medien, es habe sich um eine „bewusste Provokation russischer Sicherheitsdienste“ gehandelt — also um eine inszenierte Tat, die man anderen in die Schuhe schieben wolle.

Andere Quellen und externe Beobachter vermuteten militante russische Regimegegner hinter dem Angriff; bewaffnete Einheiten, etwa das „Russische Freiwilligenkorps“, haben bereits mehrfach von der Ukraine aus Angriffe auf einzelne Ortschaften im russischen Grenzgebiet durchgeführt, zuletzt um den 12. März herum in den Regionen Kursk und Belgorod.

Die russischen Behörden hielten sich mit konkreten Schuldzuweisungen indes zurück; es sei Aufgabe von Justiz und Geheimdiensten, die Schuldigen zu finden. Das russische Außenministerium nannte die Attacke ein „blutiges terroristisches Attentat“. Und: „Die gesamte Weltgemeinschaft muss dieses verabscheuungswürdige Verbrechen verurteilen“, schrieb Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa auf Telegram.

Es gab westliche Warnungen

Interessanterweise waren allerdings seit Monatsbeginn Spekulationen über einen möglichen Anschlag in Moskau kursiert. Am 7. März hatte die US-Botschaft in Moskau so eine Warnung ausgesprochen, wenig später die britische Botschaft; das wurde am 8. März unter anderem auch vom österreichischen Außenministerium übernommen. Konkret wurden Konzertsäle und größere Menschenansammlungen als mögliche Gefahrenorte genannt, US-Bürger sollten diese meiden, so die US-Botschaft.

Präsident Wladimir Putin wiederum hatte am Dienstag „provokative Erklärungen einer Reihe von offiziellen westlichen Strukturen“ über einen möglichen Terroranschlag in Russland heftig angeprangert. „All das erinnert an offene Erpressung und die Absicht, Angst zu verbreiten und unsere Gesellschaft zu destabilisieren“, hatte er ausgerechnet vor den Spitzen des für Terrorbekämpfung verantwortlichen Inlandsgeheimdiensts FSB erklärt.

Der Bürgermeister von Moskau sagte alle Großveranstaltungen am Wochenende ab. Die Sicherheitsvorkehrungen an den Flughäfen und Bahnhöfen der Hauptstadt verstärkt, in mehreren anderen russischen Städten, darunter St. Petersburg, wurden laufende Veranstaltungen geräumt, Sicherheitskräfte fuhren auf.

Die Witwe des kürzlich in sibirischer Haft unter mysteriösen Umständen verstorbenen russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, sprach den Familien der Opfer ihre Anteilnahme aus. Nawalnaja lebt im Exil.

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