Pianistenlegende

Zum Tod des Pianisten Maurizio Pollini

Schumann, Chopin - und die Avantgarde. Die Mailänder Scala informierte über den Tod des Pianisten.

82-jährig ist Maurizio Pollini gestorben. Die Mailänder Scala, wo er so oft konzertiert hat, versandte am Samstag Nachmittag die Todesmeldung. Er war einer der prägenden Pianisten unserer Zeit, ein Mann, der seine Popularität auch an den Kultstätten der fashionablen Klassik-Pflege, hierzulande den Großen Musikvereinsaal wie das Salzburger Festspielhaus dafür genutzt hat, auch die Musik der Avantgarde bekannt zu machen. Das verstand er als künstlerisches, aber auch als politisches Manifest und kämpfte viele Jahre lang dafür Seite an Seite mit seinem Freund, dem Dirigenten Claudio Abbado.

Im Verein mit dem Komponisten Luigi Nono, dem Schwiegersohn Arnold Schönbergs, widmete sich das Dreigespann gern auch künstlerischen Aktionen im Umfeld der italienischen Linken. Das war aus ihrem Lebensplan nicht wegzudenken. Wenn manche Werke politische Botschaften verkündeten, dann wurden die auch dem bürgerlichen Publikum effektsicher mitgeteilt. Hie und da genügte auch nur die fortschrittliche, jeglichen klassischen Schönheitsbegriff hinter sich lassende Musik, um die erwünschte widerständige Aufmerksamkeit zu provozieren.

Immer wieder Luigi Nono

Maurizio Pollini war früh schon einen Legende. Er gewann 1960 den Warschauer Chopin-Wettbewerb und erntete Lob von Artur Rubinstein, dem damals vielleicht berühmtesten aller Klaviervirtuosen, der als Jurymitglied meinte: „Der junge Bursche spielt besser als wir alle!“ Die Aufnahme von Chopins Etüden aus jener Zeit wurde zu einem Sammlerstück. Und alle Welt wollte den Wundermann aus Mailand hören. Die großen Konzertsäle der Welt standen ihm offen, die wichtigsten Plattenfirmen holten ihn ins Aufnahmestudio. Alle wollten seine Chopin-Interpretationen hören, alle liebten seine Schumann-Aufführungen. Und viele Pollini-Verehrer bissen die Zähne zusammen, wenn irgendwo zwischendrin dann immer auch Dissonanzballungen der musikalischen Moderne an die Reihe kamen.

APA / Harald Hoffmann

Unvergesslich ein Recital im Rahmen der Wiener Festwochen mit einem Werk von Nono im Zentrum: Klavier und Live-Elektronik, das Fortschrittlichste vom Fortschrittlichsten in den Siebzigerjahren; nach der Pause gab es Chopin und das Publikum tobte vor Begeisterung. Als Zugabe bekam es Nono da Capo ...

Immer ausverkauft!

Nicht einmal das konnte die Musikfreunde davon abhalten, sofort Eintrittskarten für den nächsten Pollini-Abend zu buchen, immer wieder auch „blind“ - sogar im Salzburger Festspielprogramm hieß es des Öfteren: Programm wird erst später bekannt gegeben. Pollini war immer ausverkauft!

Die Fachkritik lobte nebst der fanatisch vorangetriebenen Repertoire-Erweiterung vor allem den „coolen“ Zugang des Pianisten zur musikalischen Romantik. Pollini war kein Schönfärber, kein Mann der nachdrücklichen Gefühlstiefe, schon gar nicht neigte er zur Rührseligkeit. Besonders beliebte Stücke reinigte er durch betont sachliches, analytisches Spiel von jeglichem Anflug von Sentimentalität. Überdies holte er vor allem von Robert Schumann nicht nur die „Träumereien“, sondern auch die späten, komplexen, schwer zugänglichen Kompositionen in unsere Konzertsäle: Wer kannte schon die „Gesänge der Frühe“? Pollini hat sie gespielt. Und dann doch wieder auch das Schumann-Klavierkonzert mit Herbert von Karajan am Pult.

So hinterlässt er denn ein reiches Erbe auch an Aufnahmen, die seine ganze künstlerische Bandbreite dokumentieren. Pollini hat beinah bis zuletzt versucht zu konzertieren, verzichtete irgendwann auch auf jegliche Widerborstigkeit bei seinen Programmen. Der Nachwelt bleiben auch via Streaming-Diensten zahllose akustische Erlebnis-Reisen, von millionenfach „geklickten“ Chopin-Piècen bis zur experimentellen Sonate von Pierre Boulez, von Schuberts „Wanderer-Fantasie“ zum Gesamtwerk für Soloklavier von Arnold Schönberg. Wir werden ihn nicht vergessen.

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