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Moskau stellt Terror-Verdächtige zur Schau und sät neue Zweifel an Verantwortung des IS

Einer der Verdächtigen wurde in Moskau am Sonntag vor Gericht gebracht.
Einer der Verdächtigen wurde in Moskau am Sonntag vor Gericht gebracht.Imago / Kirill Zykov
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Vier Tadschiken wurden formell der Beteiligung an einem terroristischen Angriff beschuldigt. Sie wurden teils mit schweren Verletzungen vor Gericht angehört. Das offizielle Russland streut weiter Zweifel an der Täterschaft des IS. Außenamt-Sprecherin Sacharowa wirft den USA vor, das „Schreckgespenst“ Islamischer Staat zu verbreiten, um die Ukraine zu decken.

Ein Gericht in Moskau hat am Sonntagabend die ersten Haftbefehle gegen mutmaßliche Akteure des blutigen Terroranschlags auf eine Konzerthalle nordwestlich der russischen Hauptstadt erlassen. Vier Tadschiken wurden formell der Beteiligung an einem terroristischen Angriff beschuldigt. Die Verdächtigen sollen auf Anordnung des Gerichts für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen werden. Drei Verdächtige bekannten sich in allen Anklagepunkten für schuldig.

Videoaufnahmen sollen zeigen, dass es bei der Festnahme der Verdächtigen auch zu Folter gekommen sein soll. So zeigt ein in Russland verbreitetes Video etwa, wie einem Mann ein Ohr abgeschnitten wurde. Unabhängig waren die Aufnahmen zunächst nicht zu überprüfen. Die vier Männer, die vor Gericht gebracht wurden, wiesen teils allerdings schwere Verletzungen auf. Einer der Verdächtigen wurde in einem Rollstuhl in das Gericht gebracht. Ihm schien ein Auge zu fehlen. Ein anderer Verdächtiger trug einen Verband über dem rechten Ohr, ein weiterer wies ein blaues Auge auf und hatte ein zerrissenes Plastiksackerl um den Hals. Das Gesicht eines vierten Verdächtigen schien geschwollen zu sein und er konnte kaum die Augen offen halten.

In dem Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau mit Tausenden Plätzen hatten mehrere Täter wahllos auf Besucher geschossen, ehe sie das Gebäude in Brand steckten. Dabei starben mindestens 137 Menschen, die Zahl der Verletzten stieg inzwischen nach neuesten Angaben der Gesundheitsbehörden auf 182. Insgesamt wurden nach der Tat elf Verdächtige festgenommen, berichtete die Staatsagentur Tass.

Putin will über weitere Maßnahmen beraten

Nach dem Terroranschlag nahe Moskau mit mindestens 137 Toten will der russische Machthaber Wladimir Putin noch am Montag über weitere Maßnahmen beraten. Gegen Abend sei ein Treffen unter anderem mit Vertretern aus Sicherheitsstrukturen und anderen staatlichen Bereichen angesetzt, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Es solle dabei auch um die Frage gehen, mit welchen Leistungen Opfer und ihre Angehörigen unterstützt werden können.

Zu den Hintergründen des Angriffs auf die Konzerthalle Crocus City Hall am vergangenen Freitag äußerte sich Peskow indes nicht. Er verwies stattdessen auf Informationen der russischen Strafverfolgungsbehörden. Bereits mehrfach für sich reklamiert hat den Anschlag die Terrormiliz Islamischer Staat. Westliche Sicherheitsbehörden und Experten halten das Bekenntnis für glaubhaft und vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) hinter dem Anschlag. Trotzdem behaupteten Putin und andere russische Vertreter ohne Vorlage von Beweisen, dass angeblich die Ukraine in das Verbrechen verstrickt sei. Die ukrainische Führung hat dies strikt zugewiesen.

Sacharowa: „Sind Sie sicher, dass es ISIS ist?“

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, stellte am Montag erneut die Behauptungen der USA infrage, dass der Islamische Staat, der einst die Kontrolle über weite Teile des Irak und Syriens anstrebte, hinter dem Angriff steckte. „Achtung - eine Frage an das Weiße Haus: Sind Sie sicher, dass es ISIS ist? Könnten Sie das noch einmal überdenken?“ sagte Sacharowa in einem Artikel für die Zeitung Komsomolskaya Pravda. Sacharowa sagte, die Vereinigten Staaten verbreiteten eine Version des „Schreckgespenstes“ Islamischer Staat, um ihre ‚Wächter‘ in Kiew zu decken, und erinnerte die Leser daran, dass Washington die „Mudschaheddin“-Kämpfer unterstützte, die in den 1980er Jahren gegen die sowjetischen Streitkräfte kämpften.

Den USA liegen Geheimdienstinformationen vor, die die Behauptung des Islamischen Staates bestätigen, sagten zwei US-Beamte am Freitag.

Russland hatte nach dem schwersten Anschlag seit 20 Jahren mit einem nationalen Tag der Trauer der Opfer gedacht. Flaggen wehten am Sonntag landesweit auf halbmast. Zahlreiche Menschen legten Blumen am Anschlagsort, der ausgebrannten Crocus City Hall, am Rande von Moskau nieder, wo vier Attentäter am Freitagabend bei einem Konzert der noch aus der Sowjet-Zeit stammenden Rockgruppe Picnic um sich schossen.

Bandleader : „Selbst Untiere tun so etwas nicht“

Die Mitglieder der populären russischen Rockband Piknik legten am Sonntagabend vor der Crocus City Hall Blumen für die Opfer ab. Nach einer Gedenkminute sprachen sie den Hinterbliebenen der 137 Toten ihr Mitgefühl aus, wie die Staatsagentur Tass berichtete. „Diese Gräueltat ist eine sinnlose, unvorstellbare Grausamkeit“, sagte Bandleader Edmund Schkljarski. „Dabei ist es nicht einmal eine Gräueltat, denn selbst Untiere tun so etwas nicht“, so Schkljarski. Unter den Todesopfern war auch eine Assistentin der Band, wie Piknik am Sonntag mitteilte.

Russland will indes nach Worten des Vizechefs des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, die Drahtzieher des Anschlags ins Visier nehmen. „Wir werden jeden einzelnen (der Getöteten und Verletzten) rächen. Und diejenigen, die daran beteiligt sind, unabhängig von ihrem Herkunftsland und ihrem Status, sind jetzt unser wichtigstes und legitimes Ziel“, gab Medwedew über Telegram bekannt. (APA/dpa/Reuters)

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