Krieg in der Ukraine

Russische Geländegewinne in der Ukraine: Experten erwarten weitere Vorstöße

Ein Arbeiter baut einen Graben als Teil eines Systems neuer Befestigungslinien in der Nähe der russischen Grenze in der Region Tschernihiw
Ein Arbeiter baut einen Graben als Teil eines Systems neuer Befestigungslinien in der Nähe der russischen Grenze in der Region TschernihiwReuters / Gleb Garanich
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505 Quadratkilometer habe Russland seit Oktober eingenommen, analysiert das US-Institut für Kriegsstudien (ISW). Eine weitere Verzögerung der US-Hilfsgelder würde den Russen weiter in die Hände spielen. In der Nacht auf Freitag flog Russland wieder gezielte Angriffe auf ukrainische Energie-Infrastruktur.

Expertinnen und Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) haben Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine Geländegewinne bescheinigt. Die russischen Streitkräfte hätten eine Fläche von 505 Quadratkilometern seit Beginn der Offensivoperationen im Oktober eingenommen, berichtete das ISW in seiner Analyse vom Donnerstag (Ortszeit). Das entspricht mehr als der Fläche Wiens. Weitere russische Vorstöße werden erwartet.

Zwar verhindere die Ukraine noch, dass Russland größere taktische Gewinne entlang der gesamten Frontlinie mache. „Aber eine weitere Verzögerung der US-Sicherheitshilfe wird die Gefahr eines russischen operativen Erfolgs vergrößern“, hieß es.

Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij vor einer möglichen neuen russischen Großoffensive im Frühsommer gewarnt. Nach ISW-Einschätzung wird Russland sein bisheriges Offensivtempo ungeachtet der derzeit schwierigen Wetterverhältnisse beibehalten und die Probleme der ukrainischen Streitkräfte bei der Materialbeschaffung und beim Personal ausnutzen.

Die Ukraine hingegen sei gezwungen, ihre begrenzten Ressourcen an kritischen Stellen der Front zu konzentrieren. Dadurch wachse das Risiko, dass die russische Armee an weniger gut gesicherten Abschnitten die Verteidigungslinie durchbrechen könnte. Das könne zu bedeutenden Erfolgen der russischen Seite in Zukunft führen.

Ukrainische Luftabwehr wird immer schwächer

Die ISW-Experten unterstrichen die Bedeutung westlicher Hilfe, um den russischen Vormarsch zu stoppen. Sie wiesen zudem darauf hin, dass der ukrainische Luftverteidigungsschirm immer schwächer werde. Selenskij hatte immer wieder auch noch mehr Flugabwehrsysteme vom US-Typ Patriot gefordert, um den Luftraum besser schützen zu können. Eine weitere Schwächung der Flugabwehr gefährde nicht nur für den Krieg wichtige Stützpunkte und Logistikobjekte im ukrainischen Hinterland, sondern ermögliche auch mehr russische Luftschläge mit Gleitbomben entlang Front, hieß es in der ISW-Analyse.

Selenskij hatte das Ausbleiben weiterer amerikanischer Hilfe in Milliardenhöhe, die seit Monaten im US-Repräsentantenhaus von den Republikanern blockiert wird, in einem Interview mit dem US-Cender CBS beklagt. „Seien wir doch ehrlich: Das Geld, das vom Kongress und der US-Regierung zugeteilt wird, bleibt zu 80 oder zumindest 75 Prozent in den USA.“ Zwar erhalte die Ukraine die Waffen und Munition, doch der Kaufpreis dafür bleibe in den USA. „Ja, es ist eine gewaltige Unterstützung, und wir brauchen sie“, unterstrich der ukrainische Präsident.

Die Ukraine wehrt sich seit mehr als zwei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg. Wegen der bröckelnden Unterstützung im Westen warnt die ukrainische Führung immer wieder vor einer möglichen Niederlage sowie vor einem weiteren Vormarsch russischer Truppen in Europa. Auch prominente russische Politiker und Propagandisten hatten wiederholt Angriffe auf westliche Länder ins Spiel gebracht. Kremlchef Wladimir Putin, der die Ukraine-Invasion am 24. Februar 2022 befohlen hatte, wies dies als „völligen Blödsinn“ zurück.

Russische Luftangriffe auf ukrainische Energie-Infrastruktur

Russland hat nach ukrainischen Angaben in der Nacht zum Freitag indes wieder gezielt Teile der Energie-Infrastruktur angegriffen. „Heiz- und Wasserkraftwerke in zentralen und westlichen Regionen wurden beschädigt“, teilte der Netzbetreiber Ukrenergo im Kurznachrichtendienst Telegram mit. In der südöstlichen Region Dnipropetrowsk sei es deswegen zu Notabschaltungen gekommen. Das ukrainische Fernsehen berichtete am Freitagmorgen von der Sichtung russischer Marschflugkörper und über Explosionen in den Regionen Iwano-Frankiwsk und Chmelnyzkij sowie in der Stadt Dnipro.

Energieminister German Galuschtschenko bestätigte Angriffe auf Stromnetze und Kraftwerke in den Regionen Dnipropetrowsk, Poltawa und Tscherkassy. Sie seien mit Drohnen und Raketen ins Visier genommen worden, schrieb er auf Facebook. Der Kraftwerksbetreiber DTEK erklärte, drei Heizkraftwerke seien getroffen worden. Die Anlagen seien erheblich beschädigt worden. Es sei sofort mit den Reparaturen begonnen worden, hieß es auf Telegram. Bereits am vergangenen Freitag hatte die russische Armee Stromnetz und Kraftwerke in der Ukraine massiv angegriffen. Die Ukraine sah sich daraufhin gezwungen, Stromexporte einzustellen.

Baerbock: „Putin will Nato in Krieg hineinziehen“

Russlands Präsident Wladimir Putin steuert aus Sicht der deutschen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf einen militärischen Konflikt mit dem westlichen Militärbündnis Nato zu. „Putins Ziel war und ist, die Ukraine in ihrer Existenz als eigenes, freies Land zu zerstören und die Nato in einen Krieg hineinzuziehen“, sagt die Grünen-Politikerin der Funke Mediengruppe. Die Bundesregierung werde das aber niemals zulassen. Putin sei für Argumente und Menschlichkeits-Appelle nicht erreichbar. „Und verhandeln möchte er schon gar nicht“, sagt sie dem Blatt. (APA/Reuters/dpa)

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