Russland im Verdacht

Havanna-Syndrom: Mit Mikrowellen gegen unliebsame Diplomaten

Medienrecherchen deuten darauf hin, dass der russische Geheimdienst gegen US-Diplomaten mit Mikrowellenwaffen aktiv ist.
Medienrecherchen deuten darauf hin, dass der russische Geheimdienst gegen US-Diplomaten mit Mikrowellenwaffen aktiv ist.Getty Images / Kevin Dietsch
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Neue Berichte gehen davon aus, dass der russische Geheimdienst Mikrowellenwaffen gegen Diplomaten eingesetzt haben könnte. Akustische Waffen gelten als wesentliche, künftige Militärtechnologie. In Wien gab es besonders viele Fälle von Havanna-Syndrom.

Der Auslöser für das sogenannte Havanna-Syndrom könnten Mikrowellenwaffen des russischen Militärgeheimdienstes GRU sein. Darauf deuten zumindest Recherchen von „Der Spiegel“, „The Insider“ und „60 Minutes“ hin. Als „Havanna-Syndrom“ werden rätselhafte Symptome wie Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit zusammengefasst, über die ab 2016 in der kubanischen Hauptstadt Havanna lebende US-Diplomaten und ihre Angehörigen klagten.

Später wurden auch an anderen Orten der Welt ähnliche Beschwerden gemeldet, darunter auch in Wien. Einem Bericht des „New Yorkers“ aus dem Jahr 2021 zufolge gab es in Wien zum damaligen Zeitpunkt sogar mehr registrierte Fälle als in jeder anderen Stadt - ausgenommen Havanna.

Betroffene gaben an, dass die Symptome begannen, nachdem sie etwa ein seltsames Geräusch hörten oder starken Druck in ihrem Kopf spürten. Den neuen Recherchen zufolge soll es die ersten Fälle des mittlerweile bekannten Syndroms bereits 2014 in der deutschen Metropole Frankfurt gegeben haben. Diese, so ein Betroffener, seien allerdings von der US-Regierung ignoriert worden.

Elektromagnetische und akustische Waffen

Hinter den Attacken könnte der russische Militärgeheimdienst GRU stehen, heißt es nun in einem „Spiegel“-Bericht. Laut Reise- und Telefondaten seien, so die Erkenntnisse des Rechercheteams, bei vielen Attacken, die das „Havanna-Syndrom“ zur Folge hatten, Mitglieder der GRU-Einheit 29155 an Ort und Stelle gewesen. Konkret könnten elektromagnetische oder akustische Waffen eingesetzt worden sein.

Extrem starke Schallwellen können das Trommelfell einer Zielperson stören und starke Schmerzen oder Desorientierung verursachen. Dies reicht in der Regel aus, um eine Person außer Gefecht zu setzen. Weniger starke Schallwellen können bei Menschen Übelkeit oder Unbehagen hervorrufen.

Menschen hören Geräusche - also Schallwellen - im Bereich von 16 Hertz bis 20 Kilohertz, wobei das Hörvermögen im Alter abnimmt. Alles darunter wird Infraschall genannt, alles was über 20 Kilohertz (also 20.000 Hertz) liegt, bezeichnet man als Ultraschall.

US arbeiten an Mikrowellenwaffen

Mikrowellen arbeiten im Bereich von einem bis 300 Gigahertz. Haushaltsmikrowellen erwärmen Speisen bei etwa 2,5 Gigahertz. Auch die USA arbeiten auf Hochtouren an Mikrowellenwaffen - einerseits, um feindliche Elektronik und Datensysteme zu zerstören, anderseits auch, um Menschen Schmerzen zuzufügen. 2007 wurde das „Active Denial System“ vorgestellt, das über flache Antennen gebündelte Mikrowellen aussendet. Die Mikrowellen sollen große Schmerzen verursachen, das berichteten auch Journalisten, die damals an der Präsentation der Waffe der USA im Selbstversuch teilnahmen. Die Strahlung mit einer Frequenz von 95 Gigahertz dringe aber nur 0,4 Millimeter tief in die Haut ein, sodass keine Gefahr bleibender Schäden bestehe, hieß es damals. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Mikrowellenherd ist das nicht so viel, dort könnte die Strahlung mehrere Zentimeter tief in Gewebe eindringen. Mikrowellenwaffen brauchen auch kein großes Waffensystem, es genügt teils ein Aufsatz auf Geländefahrzeugen. Die Reichweite wäre damit höher, als jene von anderen nichttödlichen Waffen, die derzeit im Einsatz sind, wie Gummigeschoße.

Wie der „Spiegel“ berichtete, stellten die USA vor Jahren einen Prototyp vor, der Mikrowellenimpluse aussendete. Das kleine Gerät mit dem Namen „Medusa“ („Mob Excess Deterrent Using Silent Audio“, also in etwa: „Abschreckung von Menschenmengen-Ausschreitungen durch geräuschlosen Schall“) sei den beschriebenen Symptomen des „Havanna-Syndroms“ recht nahe gekommen. In den USA habe es aber Bedenken gegen den Einsatz gegeben, auf der Internetseite der Navy ist der Bericht über die Arbeit an „Medusa“ mittlerweile nicht mehr zu finden.

Havanna-Syndrom in der US-Botschaft in Wien

Auch Wien kam laut dem nun aktuellen Medien-Bericht in den Flugplänen der Agenten vor. US-Medien hatten Mitte 2021 von Fällen des „Havanna-Syndroms“ in der US-Botschaft in Wien berichtet. Die österreichische Hauptstadt gilt als internationale Drehscheibe für Geheimdienstaktivitäten, aber auch für informellen internationalen Austausch.

Einen von CBS in „60 Minutes“ berichteten Fall bestätigte Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh am Montag (Ortszeit): Demnach sind bei einem hochrangigen Beamten des US-Verteidigungsministeriums beim Nato-Gipfel im litauischen Vilnius im vergangenen Jahr Symptome aufgetreten, die denen des Havanna-Syndroms ähneln.

Die Medienberichte, dass doch der russische Militärgeheimdienst hinter dem Havanna-Syndrom stecken könnte, wollte das US-Außenministerium weder bestätigen noch kommentieren. Man habe betroffene Mitarbeiter mithilfe des Havanna-Gesetzes umfangreich entschädigt und unterstützt. Der Geheimdienstausschuss sei im März 2023 zu dem Schluss gekommen, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein ausländischer Gegner für die Beschwerden bei den Diplomaten verantwortlich sei. An dieser Einschätzung halte man fest. Die Geheimdienste würden neue Informationen auswerten, wenn es solche gebe, hieß es.

Russland weist Vorwürfe zurück

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies die Berichte über eine russische Urheberschaft des „Havanna-Syndroms“ am Montag gegenüber Reportern zurück, wie Reuters berichtete. Das Thema sei nicht neu, und es habe von Anfang an Anschuldigungen gegen Russland gegeben. Niemand habe bisher allerdings überzeugende Beweise für diese „haltlosen Anschuldigungen“ veröffentlicht.

Berichte über gesundheitliche Zwischenfälle lösten unter Diplomaten und reisenden Beamten Panik aus. Mögliche Fälle wurden aus der ganzen Welt gemeldet, und eine Reise von Vizepräsidentin Kamala Harris nach Vietnam im Jahr 2021 wurde aufgrund von Bedenken über einen solchen Vorfall um einige Stunden verschoben. (APA)

>> Bericht auf Spiegel.de

>> Der Bericht im „New Yorker“ über den Schauplatz Wien aus dem Jahr 2021

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