Ukraine

Die Amtszeit von Selenskij läuft ab: Russland schürt bereits die Illegitimitäts-Propaganda

Wolodymyr Selenskij besuchte Ende März die 117. Brigade in der Region Sumy.
Wolodymyr Selenskij besuchte Ende März die 117. Brigade in der Region Sumy. Imago / President Of Ukraine \ Apaimages
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Am 20. Mai wird Wolodymyr Selenskij fünf Jahre lang Präsident der Ukraine gewesen sein. Wegen des Krieges bleibt er dennoch im Amt. Das ruft innenpolitische Gegner auf den Plan und weckt Sorge um eine russische Desinformationskampagne.

Den 20. Mai vor fünf Jahren hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij als jüngster Staatschef in der Geschichte des Landes noch in bester Erinnerung. Er versprach den Ukrainern damals bei seiner Amtseinführung nach einem Rekordwahlergebnis Frieden. „Ich bin ohne zu zögern bereit, meine Popularität und selbst mein Amt zu verlieren, nur damit der Frieden kommt“, sagte er. Stattdessen kämpft der 46-Jährige seit nunmehr als zwei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg.

Das Kriegsrecht hat nicht nur die Pläne für die Präsidentenwahl am 31. März durchkreuzt. Es lässt auch Selenskijs Vollmachten, die eigentlich am 20. Mai auslaufen, weiter in Kraft.

„Unerwartetes Problem für die ukrainische Demokratie“

Trotz dieser im Grunde klaren Lage tobt um das Datum nun eine Debatte. Dass Selenskij über den Tag hinaus an der Macht bleibe und dann ins sechste Amtsjahr startet, „schafft ein unerwartetes Problem für die ukrainische Demokratie“, sagt der Experte Konstantin Skorkin von der Denkfabrik Carnegie. Anders als die Nachbarn Russland und Belarus sei die Ukraine stolz auf ihre Tradition freier Wahlen. Leiseste Zweifel, dass an dieser Errungenschaft gekratzt werden könnte, lösten daher in der ukrainischen Gesellschaft und der Elite „Schockwellen“ aus.

Gegner in Kiew und vor allem in Russland, das seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen hatte, stellen derzeit offen Selenskijs Legitimität infrage. Zwar haben der Präsident und sein Apparat unter die Berufung auf die Verfassung klargemacht, das Kriegsrecht sei Garant für die Fortsetzung der Amtsgeschäfte und der Vollmachten im vollen Umfang. Aber die Debatte darum will nicht verstummen.

Russland heizt die Legitimitätsdebatte an

Vielleicht gebe es nach dem 20. Mai gar keinen Grund mehr, sich über Selenskijs Vollmachten noch Gedanken zu machen, meinte der russische Außenminister Sergej Lawrow Ende März in einem Interview. Deutlicher wurde der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensja, der sagte, dass Selenskij dann nicht mehr legitim im Amt sei, weil er eigenmächtig über die Absage der Präsidentenwahl entschieden habe. Laut Verfassung hätte die Wahl eigentlich am letzten Sonntag im März im fünften Amtsjahr angesetzt werden sollen.

Schon Ende Februar verbreitete der ukrainische Militärgeheimdienst eine Warnung, dass Russland zwischen März und Mai eine Desinformationskampagne zur Legitimität Selenskijs nach dem 20. Mai starten werde. „Der Plan des Feindes sieht vor, dass in der ersten Junihälfte die Lage in unserem Land erschüttert wird und dann unter Ausnutzung der Situation die Ukraine im Osten militärisch besiegt wird“, teilte die Behörde mit. Für den Plan mit dem Namen „Maidan 3“ habe Moskau umgerechnet fast 1,4 Milliarden Euro bereitgestellt, behauptete der Geheimdienst. Das sei somit die teuerste Aktion der russischen Geheimdienste in der Geschichte. Beweise legte der Geheimdienst keine vor.

Doch nicht nur die russische Propaganda will in dem Konflikt, der auch ein Informationskrieg ist, mit solchen Debatten Selenskijs Autorität auf internationaler Bühne schwächen. Auch im Land selbst sind sie längst Gegenstand innenpolitischer Grabenkämpfe.

Poroschenko will wieder antreten

Das Lager um Selenskijs Widersacher Petro Poroschenko, der nach seiner Niederlage 2019 bei der nächsten Wahl wieder antreten will, stellt den Rückhalt für den Präsidenten ebenso in Frage wie frühere Weggefährten des einstigen Schauspielers. Ex-Parlamentschef Dmytro Rasumkow, der Selenskijs Wahlkampf und auch die Partei Diener des Volkes geführt hatte, meinte in einem Videoblogeintrag, dass der Präsident seine Vollmachten abgeben müsse nach dem 20. Mai. Zwar könne nur das Verfassungsgericht eine endgültige Antwort auf die Frage geben, doch ducke sich Selenskij da weg.

„Das schafft Unsicherheit im Inneren des Landes und nach außen“, warnte Rasumkow. Vor allem Kriegsgegner Russland werde das ausnutzen. Ähnlich äußerte sich ein weiterer Abgeordneter, der frühere Selenskij-Gefolgsmann Olexander Dubinskyj, der wegen des Vorwurfs des Hochverrats in Untersuchungshaft sitzt. Legitim sei nur noch das Parlament, die Oberste Rada, sagte er.

Im ukrainischen Parlament wird es komplizierter

Doch bröckelt auch die Unterstützung im Parlament für Selenskij immer weiter. Formell gehören seiner Fraktion noch 235 von einmal 254 Abgeordneten. Doch faktisch nehmen nur noch 170-180 der Abgeordneten an den Abstimmungen teil; Präsident und Regierung sind auf Stimmen anderer Fraktionen oder Gruppen angewiesen. Von den verbliebenen 401 Parlamentariern wollen Selenskijs Fraktionschef David Arachamija zufolge allein bei der Präsidentenpartei mindestens 17 ihr Mandat abgeben. Experten erwarten, dass die schon jetzt nicht einfache Suche nach Abgeordnetenstimmen sich nach dem 20. Mai weiter erschweren wird. Es könnte zu einer Form von Unregierbarkeit kommen.

Selenskij baut indes nach Meinung von Experten einem möglichen Machtverlust vor, wie auch die jüngsten Entlassungen von Wegbegleitern und die Einsetzung von handzahmen Gefolgsleuten zeigten. Selenskij wappne sich durch den Umbau seines Apparats für die schwierigere außen- und innenpolitische Lage, meinte der Carnegie-Experte Skorkin.

Noch hat Selenskij ausreichend Rückhalt in der Bevölkerung

Gestärkt wird nach Einschätzung von Beobachtern vor allem der Leiter der Präsidialverwaltung, Andrji Jermak, der seit Langem als eine Art Präsident im Verborgenen gilt. Anstelle des entlassenen Sekretärs des Sicherheitsrates, Olexij Danilow, und Selenskijs Berater Serhij Schefir seien Leute Jermaks getreten, heißt es.

Umfragen von Meinungsforschungsinstituten sehen zwar weiter Rückhalt in der Bevölkerung für Selenskijs Entscheidungen, aber die Unterstützung sinkt zusehends. „Natürlich werden für sich genommen die Vorwürfe einer Illegitimität Selenskijs einfache Ukrainer nicht beunruhigen“, sagt Skorkin, „aber wenn diese von schweren militärischen und sozialen Problemen begleitet werden, dann können sie ernster werden.“ (APA/dpa)

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